Pandemische Erreger als biologische Waffen: Deutsche Biosicherheit neu denken
Das Risiko für katastrophale Pandemien steigt. Fortschritte in der Biotechnologie könnten es bald tausenden Individuen ermöglichen, pandemische Viren künstlich herzustellen und als biologische Waffen zu missbrauchen.
Die COVID-19 Pandemie ist nur das jüngste Beispiel für die verheerenden Folgen der Ausbreitung neuer, pandemischer Erreger. Wieder und wieder leidet die Menschheit unter Ausbrüchen neuer Infektionskrankheiten. Die Erfolgsgeschichte der Viren ist unter anderem darin begründet, dass ihre Verbreitung exponentiell erfolgt – sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Eine koordinierte Reaktion von Politik, Medizin und Wissenschaft kommt jedoch oft zu spät und kann die Ausbreitung von Erregern nicht stoppen. So sind in Deutschland bislang mehr als 160.000 Menschen im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben. Dabei weist eine Infektion mit SARS-CoV‑2 im Vergleich zu Erregern wie Ebola eine niedrige Fallsterblichkeit auf. Pandemische Viren, die tödlicher oder ansteckender sind, würden eine ungleich größere Bedrohung als SARS-CoV‑2 darstellen. Einerseits könnten zoonotische Krankheitserreger in Zukunft häufiger Pandemien verursachen. Solche von Tieren übertragene Erreger haben bislang den Großteil neuer Infektionskrankheiten verursacht. Klimawandel und Biodiversitätsverluste erhöhen die Wahrscheinlichkeit dieser Übertragungsevents vom Tier zum Menschen. Andererseits könnten aber auch im Labor veränderte oder künstlich hergestellte Viren eine immer größere Gefahr darstellen. Fortschritte in der Biotechnologie machen es immer einfacher, Viren im Labor herzustellen. Künstlich optimierte Krankheitserreger mit höherer Übertragbarkeit oder Fallsterblichkeitsrate könnten daher die größten Katastrophen verursachen.
Die Menschheit ist wachsenden Risiken durch den Missbrauch pandemischer Erreger aber nicht hilflos ausgesetzt. Daher sollte die Bundesregierung im Rahmen der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie Biosicherheitsfragen priorisieren. Investitionen in defensive Technologien und ein verstärktes diplomatisches Engagement auch auf europäischer Ebene können die nationale Sicherheit entscheidend stärken.
» Künstlich optimierte Krankheitserreger mit höherer Übertragbarkeit oder Fallsterblichkeitsrate könnten die größten Katastrophen verursachen. «
Biotechnologie im Spannungsfeld von Fortschritt und Risiko
Die rasche Entwicklung von mRNA-Impfstoffen war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg aus der COVID-19 Pandemie. Die neuen Impfstoffe stehen beispielhaft für den rasanten Fortschritt im Feld der Biotechnologie – ein Fortschritt, der auch Risiken birgt. So befähigen über den Postversand erhältliche synthetische DNA und frei verfügbare experimentelle Protokolle global tausende Individuen, hochansteckende Krankheitserreger wie Corona- oder Influenzaviren künstlich herzustellen.
In der Vergangenheit wurde die Biologie wieder und wieder als Waffe missbraucht – auch in Deutschland: 2018 fand das Bundeskriminalamt bei einem Kölner Ehepaar aus der islamistischen Szene große Mengen Rizin. Der Einsatz des Giftstoffes hätte rechnerisch zu bis zu 27.000 Toten und Verletzten führen können. Und im Januar dieses Jahres wurden zwei iranische Brüder in Nordrhein-Westfalen festgenommen. Auch sie sollen einen islamistischen Anschlag mit Rizinsamen geplant haben. Die Beispiele illustrieren, dass Terrorist:innen vor dem Gebrauch biologischer Waffen nicht zurückschrecken. Neben lokal begrenzt wirkenden Giften wie Rizin oder Milzbrandsporen können diese auch im Labor hergestellte, sich selbst verbreitende Krankheitserreger sein – mit ungleich drastischeren Folgen. Die Biotechnologie ist daher ein Forschungsfeld mit inhärentem Dual-Use-Potenzial: Terrorist:innen können Forschungsergebnisse von wohlmeinenden Forscher:innen missbrauchen, um Mensch und Umwelt absichtlich zu schädigen.
Kernpunkte:
- Durch die Demokratisierung der Biotechnologie wächst das Missbrauchsrisiko durch Terrorist:innen, die pandemische Erreger als biologische Waffen einsetzen könnten.
- Durch die Stärkung der Biowaffenkonvention, die Regulierung sicherheitsrelevanter Forschung und Investitionen in defensive Technologien kann die Bundesregierung Deutschlands Biosicherheit erhöhen.
Neue Gefahren durch im Labor veränderte pandemische Viren
Aktuell sind keine glaubwürdigen Baupläne für neue, einfach im Labor herzustellende pandemische Erreger bekannt. Gewisse Forschungsprojekte könnten diese Baupläne jedoch kreieren: Immer wieder versuchen Forscher:innen, die Ansteckungsrate extrem tödlicher, aber schlecht übertragbarer Pathogene im Labor zu erhöhen, um sie besser untersuchen zu können. Die Wissenschaftler:innen hoffen, durch die Kenntnis neuer oder veränderter viraler Genomsequenzen zukünftige Pandemien besser vorauszusehen, um wirkungsvolle Medikamente und Impfstoffe früher bereitstellen zu können. Jedoch würden auch kriminelle Einzeltäter:innen oder Organisationen durch die freie Veröffentlichung der Ergebnisse und insbesondere der Genomsequenzen schlagartig den aktuell noch fehlenden Bauplan erhalten. Einen Bauplan, der es ermöglicht, hochgefährliche Erreger im Labor zu synthetisieren und als kostengünstige biologische Waffe einzusetzen.
Viele historische Beispiele demonstrieren zudem, dass die Sicherheitsstandards biologischer Labore inadäquat sind. Gefährliche Viren gelangen immer wieder versehentlich aus Hochsicherheitslaboren in die Allgemeinbevölkerung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und Leopoldina sprechen aufgrund des hohen Missbrauchs- und Unfallrisikos dieser Experimente daher von „besorgniserregender sicherheitsrelevanter Forschung”.
Erforderliches Umdenken in der deutschen Biosicherheitspolitik
Die COVID-19 Pandemie hat in Deutschland alleine in den Jahren 2020 und 2021 wirtschaftliche Ausfälle von 330 Milliarden Euro bedingt. Angesichts der wachsenden Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien sind daher höhere Investitionen und ein verstärktes politisches Engagement in der Biosicherheit sinnvoll. Folgerichtig waren während der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 eine verbesserte Pandemieprävention und die Minimierung biologischer Risiken politische Prioritäten. Zudem rief das Auswärtige Amt bereits 2013 das Deutsche Biosicherheitsprogramm ins Leben, das Partnerländer in Afrika, Zentralasien und Osteuropa bei Biosicherheitsfragen unterstützt. In der inländischen Politik hat Biosicherheit jedoch lange zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. So attestiert der Global Health Security Index 2021 Deutschland in den Bereichen Pandemieprävention und ‑bekämpfung Mängel. Die Bundesregierung muss daher der Biosicherheit in Deutschland und Europa mehr Aufmerksamkeit schenken. Dabei sollte der Fokus auf Maßnahmen liegen, die auch vor Pandemien aus dem Labor schützen.
» Der Fokus sollte auf Maßnahmen liegen, die auch vor Pandemien aus dem Labor schützen. «
Lösungsansätze im Kontext der Nationalen Sicherheitsstrategie
Es gibt keine Patentlösung, um die Welt vor der Gefahr aller biologischen Waffen zu schützen. Deutschland kann jedoch sein diplomatisches Engagement verstärken und die Entwicklung defensiver Technologien priorisieren – Stichwort „differenzielle technologische Entwicklung“. Die folgenden Vorschläge haben einen zivilen und keinen militärischen Charakter. Sie können die nationale Sicherheit erhöhen, ohne eskalierende Signale zu setzen:
Stärkung der Biowaffenkonvention
Neben Terrorist:innen haben in der Vergangenheit immer wieder auch Staaten Biowaffen produziert und eingesetzt. 1975 trat daher mit der Biowaffenkonvention ein internationales Abkommen in Kraft, das die Herstellung, Lagerung und den Einsatz biologischer Waffen verbietet. In Abwesenheit eines Kontrollmechanismus, der verpflichtende Überprüfungen verdächtiger Aktivitäten vorsieht, ist der Nutzen der Konvention jedoch limitiert. Deutschland sollte sein diplomatisches Engagement für die Verabschiedung eines Kontrollmechanismus verstärken und gezielt Brücken zwischen diplomatischen Lagern bauen. Zudem ist die Biowaffenkonvention chronisch unterfinanziert – ihr Budget ist kleiner als das eines durchschnittlichen McDonald’s Restaurants. Die Bundesregierung sollte daher auch ihre finanzielle Unterstützung der Biowaffenkonvention durch freiwillige Zahlungen ausbauen.
Zielgerichtete Regulierung sicherheitsrelevanter Forschung
Der Deutsche Ethikrat ist 2014 zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Deutschland geltenden Rahmenbedingungen für sicherheitsrelevante Forschung nicht ausreichen. Seither gab es Schritte in die richtige Richtung: So richteten viele Forschungsinstitute Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung ein. Dies erfolgt jedoch auf freiwilliger Basis, sodass sicherheitsrelevante Forschung in Deutschland nicht einheitlich und lückenlos reguliert ist. Eine nationale, rechtlich verbindliche Regelung, wie vom Ethikrat gefordert, könnte dieses Problem lösen.
Zudem gilt: Krankheitserreger halten sich nicht an Grenzen. Die deutsche nationale Sicherheit hängt daher auch von der Biosicherheitspolitik anderer Nationen ab. In vielen EU-Mitgliedsstaaten ist sicherheitsrelevante Forschung jedoch nicht ausreichend reguliert. Dies widerspricht klar dem Vorsorgeprinzip, das in der europäischen Umweltpolitik seit Jahrzehnten gilt: Liegen Anhaltspunkte für die Schädigung von Mensch und Natur vor, soll trotz fehlender Gewissheit vorbeugend so gehandelt werden, dass Schäden vermieden werden. Deutschland sollte daher seine Führungsrolle ernst nehmen und eine politische Reevaluation der geltenden Vorschriften auch auf EU-Ebene initiieren.
Investitionen in Technologien zur Pandemiefrüherkennung und ‑bewältigung
Die Omikron-Variante infizierte circa ein Viertel der US-Bevölkerung innerhalb von nur 100 Tagen, und auch in Europa wurde eine rasante Ausbreitungswelle beobachtet. Erregerspezifische Gegenmaßnahmen wie Impfungen brauchen Zeit und können die Ausbreitung pandemischer Erreger daher häufig erst zu spät stoppen. Die Bundesregierung kann jedoch in Schutzmaßnahmen investieren, die gegen jede Art von Erreger einsetzbar sind: So könnte durch das Aufstocken und die Entwicklung besserer Masken kritische Infrastruktur während einer Pandemie aufrechterhalten werden. Abwasserkontrollen auf neuartige Erreger können zudem die Ausbreitung pandemischer Viren im Frühstadium identifizieren, sodass Politik und Forschung schnell und gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen können. Laufende Pilotprojekte in Deutschland weisen SARS-CoV‑2 RNA im Abwasser nach, können aber nicht die Ausbreitung bis dahin unbekannter Erreger identifizieren. Stattdessen sollte Deutschland dem Beispiel Großbritanniens folgen und stärker in die metagenomische Sequenzierung investieren. Im Gegensatz zu etablierten Ansätzen erlaubt es diese neue Technologie, alle Nukleinsäuren in einer Probe zu identifizieren und weist somit auch die Ausbreitung neuer Erreger nach.
Es ist sinnvoll, viele dieser Maßnahmen auch im Kontext der Europäischen Union (EU) umzusetzen. Mit der 2021 neu gegründeten Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA) strebt die EU an, Lücken in der europäischen Gesundheitssicherheit zu schließen.
Eine Zeitenwende, auch für die deutsche Biosicherheit
Mit der ersten deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie hat die Bundesregierung die Chance, eine strategisch weitsichtige Biosicherheitspolitik zu priorisieren. Dabei sollte Deutschland eng mit internationalen Partnern wie der Biden-Administration zusammenarbeiten, die in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie 2022 zur globalen Kooperation in der Pandemiepolitik aufgerufen hat: “no one is safe until everyone is safe”. Die geforderte Zeitenwende in der Sicherheitspolitik muss daher auch heißen, Biosicherheit neu zu denken.
Janika Schmitt
Researcher in Biosecurity, Universität Heidelberg
Jonas Sandbrink
Researcher in Biosecurity, University of Oxford
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