Kohärente Friedenspolitik: Auf den Inhalt kommt es an
(Bundeswehr /Marc Tessensohn via Flickr)
Dass Ressortkonkurrenz außenorientierte Politik nicht erfolgreicher macht, ist eine Binsenweisheit. Dass alle Teile der Regierung am selben Strang ziehen, reicht jedoch nicht aus. Es muss auch die Richtung stimmen.
Russlands Angriff auf die Ukraine hat das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig eine kohärente Außenpolitik ist – und zwar über verschiedenste Politikfelder hinweg. So stehen aktuell Fragen der Energiesicherheit im Fokus; und die wahrscheinlich dramatischen Auswirkungen des Krieges auf die globale Ernährungssicherheit beginnen sich gerade erst abzuzeichnen. In den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aus dem Jahr 2017 hat sich die Bundesregierung vorgenommen, ihr Engagement für Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung regierungsintern enger abzustimmen. Und laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung soll deutsche Außenpolitik „aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen“. Auch Außenministerin Annalena Baerbock hat in ihrer Auftaktrede zur Konzipierung einer Nationalen Sicherheitsstrategie im März die Bedeutung einer kohärenten Außenpolitik betont. Dafür, so Baerbock, müssten die einschlägig aktiven Ressorts ihre „Zusammenarbeit im außen‑, aber auch wirtschafts‑, energie‑, entwicklungspolitischen Raum“ sehr viel stärker miteinander koordinieren. Klare Zielvorstellungen also – nur die Umsetzung bleibt schwierig.
Kooperation nur in der Krise
Seit langem ist von einem erweiterten oder umfassenden Sicherheitsbegriff die Rede. Dabei beschränkt sich die Wahrnehmung meist immer noch auf die Instrumente von Militär, Diplomatie und Entwicklungspolitik (auch „3D“ genannt: defense, diplomacy, development). In Fachkreisen dagegen weiß man auch um den Wert etwa von internationalen Polizeimissionen und darum, dass Weltfinanz- und Welthandelsbeziehungen, Energie- und Ressourcenpolitik, globaler Klimaschutz und weitere Politikfelder mit internationaler Ausstrahlung wichtige Beiträge dazu leisten können, Frieden zu schaffen – oder aber im Negativfall gewaltsame Konflikte zu befeuern.
Dennoch: Vertreter:innen der Ministerien für Wirtschaft, Finanzen oder Umwelt waren in den vergangenen Jahren höchst selten in ressortübergreifenden Abstimmungsrunden zum deutschen Engagement in fragilen Staaten zu finden – und wenn, dann meist erst im Angesicht akuter Krisen. Wenn umgekehrt im Wirtschaftsministerium über eine Strategie zu Deutschlands Engagement in Afrika oder eine Rohstoffstrategie diskutiert wurde, blieben Fragen zu Krieg und Frieden meist außen vor – ganz so, als spielten Auseinandersetzungen um Erdöl und Mineralien oder subventionierte Lebensmittelexporte aus der EU keine Rolle für die Konfliktdynamiken auf dem Kontinent. Um Erwägungen dieser Art musste man sich bislang erst dann wieder kümmern, wenn Menschen auf der Flucht vor Gewalt auch in Europa anklopften – und dann delegierte man das Thema der präventiven Außen(wirtschafts)politik gerne an das Entwicklungsministerium.
Kernpunkte:
- Für Partnerländer, in denen sich mehrere Ministerien parallel substanziell engagieren, sollte die Bundesregierung verbindlich ressortgemeinsame Länderstrategien entwickeln.
- Deutschland sollte Kohärenz im Bereich Friedenspolitik nicht nur auf nationaler Ebene anstreben. Auch auf EU-Ebene und international sowie vor Ort in Konfliktregionen braucht es mehr strategische Zusammenarbeit.
- Wichtige Voraussetzungen für kohärenteres Handeln: bessere Analysen, umfassenderes Kontextwissen, mehr personelle Kapazitäten in den Botschaften und eine engere Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren.
Friedenspolitisches Leitbild umsetzen
Ist eine durchgehend kohärente Ressortzusammenarbeit in der Krisenprävention bis heute eine Baustelle mit wenigen tragenden Wänden, so hat sich das Bild bei der Bearbeitung akuter Krisen in den vergangenen Jahren merklich gewandelt. Im operativen Tagesgeschäft beginnen sich Abstimmungsrunden zu etablieren, in denen Vertreter:innen der vor Ort aktiven Ressorts einen intensiven Austausch pflegen, wie in zwei vom Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung beauftragten Studien zur friedenspolitischen Kohärenz deutschen Regierungshandelns deutlich wird. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass die inhaltliche Ausrichtung des abgestimmten Vorgehens nach wie vor erhebliche Fragen aufwirft: Eine klare Orientierung an einer friedenspolitischen Zielsetzung, wie sie in den „Krisenleitlinien“ formuliert ist, konnte nicht ausgemacht werden.
Eine Analyse der afrikabezogenen Leitlinien und Strategiepapiere der Bundesregierung und einzelner Ressorts hat zudem etwa gezeigt, dass nachhaltiger Frieden kein übergeordnetes Ziel dieser Strategien ist, sondern vielmehr als Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung verstanden wird. Eine weitere Studie, die Länderfälle untersuchte, kommt zu dem Schluss, dass es deutscher Regierungspolitik in Mali und Niger im Spannungsfeld zwischen Terrorismusbekämpfung, Migrationspolitik und Bündnistreue bislang nicht gelungen ist, ein ressortgemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, welche Maßnahmen dazu beitragen können, langfristig nachhaltigen Frieden zu schaffen.
» Das Instrument verbindlicher ressortübergreifender Länderstrategien existiert bislang nicht – und damit auch kein Ort, an dem um die Inhalte solcher Strategien gerungen und über das Für und Wider alternativer Herangehensweisen gestritten werden könnte. «
Das Instrument verbindlicher ressortübergreifender Länderstrategien existiert bislang nicht – und damit auch kein Ort, an dem um die Inhalte solcher Strategien gerungen und über das Für und Wider alternativer Herangehensweisen gestritten werden könnte. Das zu ändern sollte für die Bundesregierung im Zuge der Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie hohe Priorität haben. Denn: Kohärente Politik alleine schafft noch keinen Frieden, wenn sie nicht mit einer plausiblen Strategie unterlegt ist, die darlegt, wie Positives bewirkt und Schädliches vermieden werden kann.
Kohärenz auch international und vor Ort stärken
Deutsche Diskussionen über Kohärenz enden allzu oft mit Forderungen nach mehr ressortübergreifendem Handeln. Kohärenz erfordert aber mehr als nur eine bessere Koordination zwischen verschiedenen Ministerien in Berlin. Gerade wenn Konflikte eskalieren, kommt es oft zu einem plötzlichen Anstieg der medialen und politischen Aufmerksamkeit für bestimmte Länder und Regionen. Gleichzeitig stehen dann auch mehr (finanzielle) Ressourcen zur Verfügung, die sich wiederum in einem plötzlichen Anstieg der Zahl von Projekten und Maßnahmen vor Ort in den jeweiligen Krisenkontexten niederschlagen. So hat sich beispielsweise allein der finanzielle Umfang des deutschen Engagements in Mali von 2013 bis 2021 von etwa 120 Millionen Euro auf über 700 Millionen Euro vervielfacht.
Koordinationsbedarf besteht aber nicht nur mit Blick auf das Engagement verschiedener deutscher Ministerien, sondern auch im Hinblick auf die Aktivitäten internationaler Organisationen und anderer Geberstaaten, von denen viele oft ebenfalls in Konfliktregionen aktiv sind. Internationale Kohärenz wird nicht nur durch widerstreitende Ziele erschwert, die unterschiedliche Staaten und Organisationen verfolgen, sondern auch durch Konkurrenzdenken zwischen Gebern, die im Wettbewerb um Ideen und Reputation stehen und außerdem darum ringen, wirtschaftlichen und politischen Einfluss in ihren Partnerländern ausüben zu können. Auch Deutschland selbst engagiert sich zumeist nicht nur bilateral, sondern parallel in EU- und UN-Missionen. Hinzu kommen die geförderten Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gerade für die zivile Krisenprävention von großer Bedeutung sind.
Nimmt man erneut Mali und den Sahel als Beispiele, so sind dort im vergangenen Jahrzehnt zwar verschiedene Foren der Geberkoordination entstanden – etwa die Sahel-Allianz, die Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel oder die Koalition für den Sahel. Ihre Mandate überlappen jedoch teilweise und ihr Verhältnis untereinander ist nicht vollständig geklärt. Zudem werden sie allesamt von Frankreich dominiert, das den Ruf hat, sich vor allem auf kurzfristige Stabilisierung und Sicherheit zu konzentrieren, was strukturelles friedenspolitisches Engagement konterkariert.
Friedenspolitische Kohärenz sollte für Deutschland also nicht nur auf nationaler Ebene ein Anliegen sein, sondern auch in Europa und international sowie vor Ort in Konfliktregionen. Um aber die Kohärenz internationalen Engagements dort zu erhöhen, ist neben politischem Willen auch zusätzlicher Einsatz notwendig, der nicht zuletzt mehr personelle Kapazitäten in den Botschaften erfordert.
Lokales Wissen und Bedarfe einbeziehen
Bei alledem darf nicht die Perspektive der Partnerländer verlorengehen. Nur ein Engagement, das sich an den Bedürfnissen der von Krisen und Konflikten Betroffenen orientiert, kann tatsächlich helfen, Krisen zu vermeiden und nachhaltigen Frieden zu schaffen.
Dazu braucht es entsprechende Analysen und Kontextwissen – und lokale Akteure müssen einbezogen werden, womit nicht nur die jeweiligen Regierungsvertreter:innen gemeint sind, deren Legitimität nicht selten infrage steht, sondern auch Akteur:innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Zwar nutzen deutsche Ministerien unterschiedliche Formen der Konfliktanalyse und verfügen auch über Frühwarnsysteme. Diese sind aber unzureichend, wenn es darum geht, lokales Wissen systematisch einzubeziehen. Zudem sind die Ergebnisse und Analysen zumeist den jeweiligen Ressorts vorbehalten und werden nur selektiv gemeinsam genutzt und ausgewertet.
» Kohärenz verlangt Strategien, die für die jeweiligen Konflikte angepasst werden und plausibel darlegen, wie Frieden ressortgemeinsam erreicht werden kann. Dafür bleibt trotz mancher Fortschritte bei der Ressortkoordinierung in den vergangenen Jahren viel zu tun. «
Friedenspolitische Kohärenz in der Nationalen Sicherheitsstrategie
In der Nationalen Sicherheitsstrategie sollte sich Deutschland klar zum Ziel der friedenspolitischen Kohärenz bekennen und diese stärken. Dazu muss die Bundesregierung nicht nur sicherstellen, dass sich die Ressorts konsistent am Leitbild eines nachhaltigen Friedens orientieren, und dafür geeignete Strukturen und Prozesse schaffen. Kohärenz verlangt darüber hinaus auch Strategien, die für die jeweiligen Konflikte angepasst werden und plausibel darlegen, wie Frieden ressortgemeinsam erreicht werden kann. Dafür bleibt trotz mancher Fortschritte bei der Ressortkoordinierung in den vergangenen Jahren viel zu tun.
Für Partnerländer, in denen sich mehrere Ressorts substanziell engagieren, sollten verbindlich ressortgemeinsame Länderstrategien entwickelt werden. In der Nationalen Sicherheitsstrategie könnten diese als Instrument festgelegt werden. Zugleich ist klar, dass Deutschlands Anstrengungen zur Stärkung friedenspolitischer Kohärenz nicht in Berlin enden dürfen. Sie müssen international und vor allem vor Ort, also in den Konfliktregionen und fragilen Staaten, fort- und umgesetzt werden.
Eine längere Fassung dieses Beitrags ist ursprünglich in Internationale Politik Special (5 /2022) erschienen.
Melanie Coni-Zimmer
Senior Researcher & Projektleiterin, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK/PRIF)
Jörn Grävingholt
Senior Researcher & Projektleiter, German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
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