Artikel von Andreas Fulda

Deutschlands Verstrickungen mit China sind ein Sicherheitsrisiko

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(Moritz Lüdtke /​Unsplash)

In Interdependenz neu denken
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Angesichts der neoimperialen Gelüste in Moskau und Peking kann Deutschland weder in geopolitischen noch in geoökonomischen Fragen neutral bleiben. Gerade in sensiblen Bereichen muss die Politik Verflechtungen mit China aktiv reduzieren.

Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist schmerzhaft offenkundig geworden, wie abhängig Deutschland von billigem russischem Gas ist. Die aktuellen Anstrengungen der Bundesregierung, die Konsequenzen dieser Abhängigkeit abzufedern, zeigen, dass Sicherheitsgefahren nicht nur im militärischen Bereich liegen. Verstrickungen mit Autokratien können ein Land politisch und wirtschaftlich erpressbar machen.

In wirtschaftlicher Hinsicht stellt uns China vor noch größere Herausforderungen als Russland. Abhängig sind wir von Peking nicht nur, wenn es um seltene Erden und andere Rohstoffe geht, sondern auch im Bereich elektrische Bauteile und kritische medizinische Güter. Sollte Chinas Präsident Xi Jinping einen Angriff auf Taiwan anordnen, würden die wirtschaftlichen Konsequenzen einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China Deutschland hart treffen. Es gibt derzeit zwar Anzeichen dafür, dass diese Erkenntnis langsam auch im politischen Berlin Einzug hält. Doch auf einen möglichen Taiwan-Schock“ ist die Bundesregierung bislang nicht vorbereitet. Gleichzeitig verdrängen in China stark investierte deutsche Unternehmen wie VW oder BASF immer noch die Lektionen des Ukraine-Kriegs. Sie verstricken sich immer mehr mit China – einem Land, das von einer zunehmend neototalitären Kommunistischen Partei kontrolliert wird.


» Ein zentrales Ziel der Nationalen Sicherheitsstrategie muss darin bestehen, wirtschaftliche Verstrickungen mit China als Sicherheitsrisiko zu benennen und diese durch gezielte Maßnahmen zu verringern. «

— Andreas Fulda

Vor allem das Beispiel Litauen zeigt, wie eng Politik und Wirtschaft verknüpft sein können. Diplomatische Annäherungen Vilnius an Taiwan konterte Pekings Führung jüngst mit einem chinesischen Handelsembargo. Indirekt betroffen war auch das deutsche Unternehmen Continental, welches in Litauen hergestellte Autoteile nach China exportiert und dessen Produkte an der Grenze aufgehalten wurden. Ein zentrales Ziel der Nationalen Sicherheitsstrategie muss daher darin bestehen, wirtschaftliche Verstrickungen mit China als Sicherheitsrisiko zu benennen und diese durch gezielte Maßnahmen zu verringern.

Politische und wirtschaftliche Erpressbarkeit

In den letzten Jahrzehnten galten Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in den Wachstumsmarkt China als Investition in die Zukunft. Die deutsche Politik hat die Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit China durch Außenwirtschaftsförderung und Diplomatie aktiv flankiert und unterstützt. Die Eigentümerinnen beziehungsweise Anteilseigner deutscher Unternehmen haben mögliche geopolitische Risiken angesichts satter Renditen fast vollständig ausgeblendet. Das Ergebnis ist, dass die deutsche Automobil- und Chemieindustrie heute besonders stark vom chinesischen Absatzmarkt abhängig ist.

Im Jahr 2020 beliefen sich deutsche Direktinvestitionen in China auf 89 Milliarden Euro. Der tatsächliche Wert der Vermögenswerte dürfte, je nach Berechnungsmethode, jedoch weit darüber liegen. Und weil in China das Primat der Kommunistischen Partei gilt und Rechtssicherheit auch mal ausgehebelt werden kann, wenn es der chinesischen Regierung passt, sind deutsche Unternehmen hohen Verlustrisiken ausgesetzt. Diplomatische oder geopolitische Verstimmungen können sich schnell auf ihren Erfolg auswirken.

Ein Krieg in der Taiwanstraße würde zu einer direkten Konfrontation zwischen der Volksrepublik und den USA führen. Deutschland müsste sich dann entscheiden, ob es sich solidarisch mit Washington verhält, oder ob die wirtschaftlichen Interessen überwiegen. So oder so wäre in solch einer Situation jedoch undenkbar, dass deutsche Unternehmen ihre Geschäfte in China einfach weiterführen können, als wäre nichts geschehen. Im schlimmsten Fall könnte eine harte wirtschaftliche Entkopplung von China einen Totalverlust der deutschen Investitionen bedeuten. Durch Unterbrechungen auf der Beschaffungsseite könnten ganze Wertschöpfungsketten wegfallen. Eine tiefgreifende Rezession wäre die Folge. Wie sollte die Bundesregierung mit solchen Risiken umgehen?

Kernpunkte:

  1. Die Sicherheitsstrategie muss wirtschaftliche Verstrickungen mit China als Sicherheitsrisiko benennen und diese durch gezielte Maßnahmen verringern.
  2. Die Neuausrichtung des globalen Handels hat bereits begonnen. Die Politik sollte deutsche Unternehmen in die Verantwortung nehmen und klar machen, dass Investitionen in China hohen Risiken ausgesetzt sind.
  3. Die nötige Neuausrichtung in der Chinapolitik ist eine Chance für eine grüne Re-Industrialisierung Deutschlands. Strategische Fehler wie der Niedergang der deutschen Solarindustrie könnten so korrigiert werden.

Europäische Machtlosigkeit

Wenn es um Geopolitik geht, wird in Berlin gerne auf Brüssel verwiesen. Nur ein geeintes Europa könne sich gegenüber Autokratien wie Russland und China behaupten. Und in der Tat ist gemäß Vertrag von Lissabon in außen- und sicherheitspolitischen Fragen Einstimmigkeit nötig. Schert nur einer der 27 Mitgliedsstaaten der EU aus, ist eine einheitliche Position unmöglich. Häufig wird jedoch vergessen, dass in der Handels- und Wirtschaftspolitik Mehrheitsentscheidungen ohne Veto möglich sind, was mehr Handlungsfähigkeit ermöglicht. 

Auf europäischer Ebene wird China seit 2019 als Partner, Wettbewerber und Rivale angesehen. In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt in diesem Dreiklang deutlich in Richtung Systemrivalität verschoben. Deswegen hat die EU bereits eine Reihe von wirtschaftlichen Defensivinstrumenten auf den Weg gebracht. Ein Beispiel ist das EU-Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang durch Drittländer, welches im Dezember 2021 von der Europäischen Kommission angenommen wurde. Es könnte eine angemessene Reaktion auf Zwangspraktiken ausländischer Mächte darstellen, welche darauf abzielen, die Wirtschaftsautonomie von EU-Mitgliedstaaten zu schwächen. Während das Vorhaben im Europäischen Parlament auf Zustimmung gestoßen ist, bestehen im Europäischen Rat Zweifel an dem Instrument. Der Thinktank Swedish National China Centre hat bereits vor Eskalationsspiralen gewarnt, bei denen China letztlich am längeren Hebel sitzen könnte. Das Gesetzgebungsverfahren könnte sich darüber hinaus bis Ende 2024 hinziehen. Und selbst bei einem erfolgreichen Abschluss wäre nicht sichergestellt, dass dieses Instrument ausreicht, um die chinesische Seite von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen abzuhalten.

Kultur des strategischen Denkens

An beherztem Handeln auf nationaler Ebene führt also kein Weg vorbei. Im Rahmen der Sicherheitsstrategie gehört deshalb auch Deutschlands inadäquate strategische Kultur auf den Prüfstand. Damit ist laut einer Definition von Jack L. Snyder die Summe der Ideen, konditionierten emotionalen Reaktionen und gewohnheitsmäßigen Verhaltensmuster“ gemeint, welche Mitglieder einer nationalen strategischen Gemeinschaft durch Unterweisung oder Nachahmung erworben haben“. Deutschlands Ansatz gegenüber Autokratien war jahrzehntelang von den Dogmen Wandel durch Handel“ und Diplomatie, Dialog und Kooperation“ geprägt. Außenwirtschaftsförderung kann jedoch nicht eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik ersetzen. 

Wir müssen uns bewusst sein, dass die Außenwirtschaftspolitik der Kommunistischen Partei strategisch darauf abzielt, Chinas wirtschaftliche Position zu stärken und die der demokratischen Staaten zu schwächen. Der Niedergang der deutschen Solarindustrie sollte Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Berlin eine Warnung sein. Wir können uns den Luxus der Machtvergesessenheit nicht länger leisten. Deutschland ist keine große Schweiz und kann weder in geopolitischen noch in geoökonomischen Fragen neutral bleiben.


» Wir können uns den Luxus der Machtvergesessenheit nicht länger leisten. Deutschland ist keine große Schweiz und kann weder in geopolitischen noch in geoökonomischen Fragen neutral bleiben. «

— Andreas Fulda

Neue Grüne Führung

Jüngste Impulse der Ampelkoalition geben Anlass für Hoffnung. Außenministerin Annalena Baerbock scheint nicht länger bereit zu sein, sich die Chinapolitik vom einflussreichen Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft (APA) diktieren zu lassen. Im Frühjahr 2021 sprach sich Baerbock im Umgang mit China für Dialog und Härte“ aus. Daraufhin kritisierte der APA-Vorsitzende Roland Busch Baerbock für ihre konfrontative Außenpolitik“ und warnte vor Exportverboten. Dessen ungeachtet verweigerte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Führung von Robert Habeck im Mai 2022 VW erstmals Bürgschaften für das Chinageschäft des Konzerns. Darüber hinaus legte Habeck im August 2022 beim geplanten Einstieg der chinesischen Reederei Cosco bei einem Hamburger Hafenterminal ein Veto ein. 

Damit übernehmen zwei prominente Grüne Führung in der Neuausrichtung der deutschen Chinapolitik. Das politische Sorgenkind bleibt hingegen das von der SPD geführte Bundeskanzleramt. Jens Plötner, außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz, weckte im Juni 2022 Zweifel daran, wie ernst die Zeitenwende gegenüber Autokratien wirklich gemeint ist. Bei einem Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik warnte er davor, China und Russland in einen Topf“ zu werfen. Dabei hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Xi Anfang Februar 2022 gerade erst ihre grenzenlose Freundschaft“ zugesichert. Beide eint das gemeinsame Ziel, dem Westen endlich die Stirn zu bieten.

Diversifizierung als Chance

Angesichts der neoimperialen Gelüste in Moskau und Peking führt an folgender Erkenntnis kein Weg mehr vorbei: Die Neuausrichtung des globalen Handels hat bereits begonnen. Unter Xi und der von ihm propagierten Politik der zwei Kreisläufe“ schottet sich China immer stärker von der Außenwelt ab. Sollten deutsche Industrielle die Signale immer noch nicht erkennen, müssen sie von der Politik immer wieder ins Gebet genommen werden. Die Bundesregierung sollte ihnen klar machen, dass ihre Investitionen hohen Risiken ausgesetzt sind. Gleichzeitig tragen sie Verantwortung für den Standort Deutschland. Erfolge der letzten Jahrzehnte dürfen bei der Maximierung von Aktionärswerten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Klumpenrisiken müssen vermieden werden.


» Die notwendige Neuausrichtung in der Chinapolitik sollte gleichzeitig als Chance für eine grüne Re-Industrialisierung aufgefasst werden. Damit könnten auch strategische Fehler der Vergangenheit, wie der Niedergang der deutschen Solar- und Windkraftindustrie, korrigiert werden. «

— Andreas Fulda

Gerade sensible Bereiche oder kritische Lieferketten sollten von der Bundesregierung aktiv diversifiziert werden – und die Sicherheitsstrategie muss dieses Ziel widerspiegeln. Fehler wie bei VW, BASF und russischem Gas dürfen sich nicht wiederholen. Japan und auch die USA sind hier bereits weiter. Beide Länder schaffen für ihre Unternehmen Anreize, Produktionsstätten und Lieferketten nachhause (reshoring) oder in Nachbarländer (nearshoring) umzusiedeln. Darüber hinaus ist auch der Ansatz des bevorzugten Handels mit politisch ähnlich gesinnten Ländern (friend-shoring) im Gespräch, wonach Lieferketten innerhalb eines Kreises vertrauensvoller Partner priorisiert werden. 

Die notwendige Neuausrichtung in der Chinapolitik sollte gleichzeitig als Chance für eine grüne Re-Industrialisierung aufgefasst werden. Damit könnten auch strategische Fehler der Vergangenheit, wie der Niedergang der deutschen Solar- und Windkraftindustrie, korrigiert werden. Zusammen mit europäischen Partnern geht es jetzt darum, Energieunabhängigkeit anzustreben. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss dafür den notwendigen Grundstein legen.


Andreas Fulda

Associate Professor, School of Politics and International Relations, Universität Nottingham

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