Artikel von Andreas Wittkowsky

Entwicklung und Sicherheit: Die Befriedung eines angespannten Verhältnisses wagen

In Krisen da draußen: Vorbeugen, Entschärfen, Helfen
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Sicherheit ist die Voraussetzung für Entwicklung. Und: Erfahrungsberichte und Evaluierungen sind die Grundlage für eine effektive, ressortgemeinsame Entwicklungspolitik.

Ist es eigentlich verwerflich, dass Entwicklungszusammenarbeit zu Sicherheit beitragen soll? Seit Jahren schwelt diese Kontroverse in Deutschland. Besonders stark waren die Reaktionen, nachdem das Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr die vernetzte Sicherheit’ zum Leitbild der Bundesregierung machte. In der entwicklungspolitischen Gemeinschaft stieß dies auf erhebliche Bedenken. Befürchtet wurde insbesondere eine Versicherheitlichung‘ der Entwicklungspolitik, die von ihren eigentlichen Zielen ablenke: der Armutsbekämpfung und der Förderung der sozioökonomischen Entwicklung. 

Die Formel Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden“ wurde in der UN-Agenda 2030 festgeschrieben. Dadurch setzte sich ein Kompromiss durch, der in der entwicklungspolitischen Gemeinschaft offenbar akzeptabel war. Offen blieb damit zum einen, ob Sicherheit ein Ziel von entwicklungspolitischer Arbeit sein kann und soll. Außerdem die Frage, wie es sich mit der Kausalität beziehungsweise der Hierarchie zwischen den beiden Zielen verhält.


» Ohne ein Minimum von Sicherheit ist Entwicklung weitgehend unmöglich. «

— Andreas Wittkowsky

Grenzen der Entwicklungspolitik anerkennen

Nicht jeder erfolgreiche Entwicklungsprozess führt zu mehr Sicherheit oder zur Abnahme von Konfliktpotentialen. Auch entwickelte Länder sind Parteien von Gewaltkonflikten – insbesondere dann, wenn sie wachsende Staatseinnahmen für die Aufrüstung verwenden. Der Zweite Karabachkrieg im Herbst 2020 wäre kaum möglich gewesen, wenn Aserbaidschan nicht einen erheblichen Teil seiner Rohstofferlöse in die Modernisierung seiner Streitkräfte investiert hätte. Umgekehrt münden Armut und Ungleichheit nicht zwangsläufig in Gewaltkonflikten. Zwar macht Armut vielerorts die Rekrutierung von Gewaltakteuren einfacher, doch die Konfliktursachen sind in der Regel deren Kampf um Macht und Ressourcen. Oft wird der Konflikt von einer ethnischen oder religiösen Dimension verstärkt.

Dennoch kann Entwicklungspolitik in bestimmten Fällen zu Frieden und Sicherheit in ihren Partnerländern beitragen – zur Sicherheit Deutschlands somit nur indirekt. Darauf ausgerichtete Programme haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Unter anderem fördern sie die Resilienz von Partnerländern, damit diese mit Krisen umgehen können, ohne dass die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zerbrechen. Oder sie bekämpfen die Ursachen von Flucht und Vertreibung, einschließlich der Folgen des Klimawandels.


» Nicht jeder erfolgreiche Entwicklungsprozess führt zu mehr Sicherheit oder zur Abnahme von Konfliktpotentialen. (…) Umgekehrt münden Armut und Ungleichheit nicht zwangsläufig in Gewaltkonflikten. «

— Andreas Wittkowsky

Allerdings muss hier auch Wasser in den Wein gegossen werden. Mitunter überwiegt die sicherheitspolitische Hoffnung die tatsächliche Wirkung deutlich. Insbesondere lässt sich in vielen Fällen nicht belegen, dass entwicklungspolitische Maßnahmen effektiv zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Die sogenannte Theory of Change – also die Annahme, wie die eigenen Aktivitäten wirken – bleibt Theorie. Einzelne Studien legen sogar nahe, dass Entwicklungsprogramme in unsicheren Kontexten Gewalt eher fördern als reduzieren.

Infolge des Kollapses des internationalen Afghanistan-Einsatzes ist aktuell vor allem der Glaube an stabilisierende Entwicklungsmaßnahmen erschüttert. Die andauernde Diskussion über die Abgrenzung und Anschlussfähigkeit von Stabilisierung und Entwicklungszusammenarbeit legen hierüber beredt Zeugnis ab. Sie sind aber auch begründet in dem deutschen Verständnis der Ressortautonomie, das nicht immer vorrangig auf gemeinsame Wirkung zielt. Dies betrifft insbesondere, aber nicht ausschließlich, die sogenannten Kernministerien des vernetzten Ansatzes: die Ministerien für Auswärtiges, Verteidigung, Inneres und Entwicklung. 

Entwicklungspolitische Erfahrungen nutzen

Für die Nationale Sicherheitsstrategie ergeben sich hieraus vier Aufträge:

Zunächst wäre es wichtig, die Wechselwirkung von Entwicklung und Sicherheit genauer zu definieren. Die vielfältigen – und nicht immer ermutigenden – Erfahrungen mit Entwicklungsprozessen in von Fragilität und Konflikt betroffenen Staaten legen nahe, Sicherheit als Voraussetzung und konstitutives Element von Entwicklung zu verstehen. Ohne ein Minimum von Sicherheit ist Entwicklung weitgehend unmöglich.

Es ist auch an der Zeit, die sicherheitspolitische Wirkung von entwicklungspolitischen Maßnahmen gründlicher zu evaluieren und bestehende Erfahrungsberichte systematisch zusammenzutragen. Erste Schritte sind in den letzten Jahren unternommen worden. So hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sein Afghanistan-Engagement mit einem kritischen Meta-Review begleitet, der alle verfügbaren Studien zur Wirksamkeit des internationalen Entwicklungsengagements ausgewertet hat. Erstmals konnten sich auch das Auswärtige Amt und das BMZ darauf verständigen, eine gemeinsame Evaluierung ihrer Irak-Aktivitäten in Auftrag zu geben. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte die Ressorts darauf verpflichten, diese Grundlagen für ein evidenzbasiertes Handeln zu verstetigen.

Kernpunkte:

  1. Sicherheit ist die Voraussetzung und das konstitutive Element von Entwicklung. 
  2. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte die Ressorts dazu verpflichten, entwicklungspolitische Erfahrungen zu nutzen und sicherheitspolitische Wirkanalysen als Grundlage für ein evidenzbasiertes Handeln zu verstetigen.
  3. Ein Nationaler Sicherheitsrat wäre eine effektive institutionelle Voraussetzung für ressortgemeinsames Handeln.

    Gleichzeitig wurde nicht nur in der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch in Programmen der Sicherheitssektorreform, ein breiter Schatz von Erfahrungen gewonnen, wie Fragen der Governance wirksam berücksichtigt werden können. In der Sicherheitsstrategie festzulegen, diesen Schatz zusammenzutragen, ressortgemeinsam auszuwerten und nutzbar zu machen, wäre der Herausforderung angemessen.

    Noch konsequenter wäre auf die Umsetzung eines ressortgemeinsamen Handelns zu drängen und hierfür effektivere institutionelle Voraussetzungen zu schaffen. Die verstärkt diskutierte Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats wäre eine Option.


    Andreas Wittkowsky

    Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF)

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