Demokratische Resilienz: Mehr Partizipation der Zivilgesellschaft forcieren

In Resilienz stärken
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Bei der Ermöglichung aktiver Partizipation der Zivilgesellschaft ist in Deutschland noch viel Luft nach oben. Dieser mühsamen aber lohnenden Aufgabe muss sich die Bundesregierung stellen, um die Demokratie mit neuem Leben zu füllen.

In der Debatte um die Nationale Sicherheitsstrategie geht es darum, die großen Herausforderungen zu formulieren: Wie steht es um Deutschlands sicherheits- und verteidigungspolitische Lage und welche Strategie ist am besten dafür geeignet mit dieser umzugehen? Die Politik soll dazu ambitionierte Antworten liefern. Neben den verschiedenen Ressorts unterstützen zivilgesellschaftliche Dialogprozesse mit dem Ziel der Transparenz die Ausarbeitung die Strategie. Aber reicht das aus? 

Wir vertreten die Auffassung, dass es für die Nachhaltigkeit, Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger:innen in die Sicherheitsstrategie einer deutlich stärkeren Berücksichtigung der demokratischen Resilienz‘ mit dem Schwerpunkt Zivilgesellschaft bedarf. Politische Entscheidungsträger:innen sollten demokratische Resilienz nicht nur dem Ausarbeitungsprozess der Sicherheitsstrategie als Strukturprinzip zugrunde legen, sondern es nachhaltig als politisches Leitprinzip verankern. 

Die Förderung von demokratischer Resilienz könnte den Fokus der Krisen und Angst getriebenen Debatte so verschieben, dass aus den aktuellen Herausforderungen Entwicklungsgewinne und neue Chancen gezogen werden. Das ist wichtig, da sich bereits jetzt starke Tendenzen einer Versicherheitlichung ganzer gesellschaftlicher Subsysteme im Rahmen der Diskussion zeigen. Dies folgt nicht zuletzt der Logik der federführend beteiligten Ressorts (Innen, Verteidigung, Außen). 

Um dem Ziel einer demokratischen Resilienz näher zu kommen, sollte die Politik an bereits bestehende politische Maßnahmen, Erkenntnisse und Prozesserfahrungen anknüpfen. Etwa an die, die große Bundesprogramme wie Demokratie leben!“ oder Zusammenhalt durch Teilhabe“ generierten. Es stellt sich auch die Frage, ob Ressorts, die sich schwerpunktmäßig mit Demokratie, Zivilgesellschaft und Vielfalt befassen — wie das Bundesfamilienministerium — stärker in die Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie eingebunden werden müssten. 

Notwendig ist eine Politik, die demokratische Resilienz zur Grundlage ihres Handelns macht. So trägt sie dazu bei, die bisherige Schieflage zwischen staatlich bevorzugten Risiko- und Präventionskonzepten zugunsten breiterer beteiligungsorienter‑, macht- und herrschaftskritischer Ansätze zu öffnen.

Kernpunkte:

  1. Demokratische Resilienz sollte ein Schlüsselkonzept in der Nationalen Sicherheitsstrategie sein.
  2. Der Schlüsselfaktor demokratischer Resilienz ist die Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung muss deren Partizipation in sicherheits- und verteidigungspolitischen Entscheidungsprozessen fördern.
  3. Ressorts wie das Bundesfamilienministerium sollten stärker in die Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie eingebunden sein.

Keine demokratische Resilienz ohne aktive Zivilgesellschaft

Resilienz als wesentlicher Faktor in der Politik hat in den vergangenen Jahren Eingang in die Planungen aller wichtiger internationaler Organisationen – zum Beispiel der Europäischen Union, der WTO oder der NATO — gefunden. Grundsätzlich geht es immer darum, künftige Notsituationen zu bewältigen, Krisenreaktionsmechanismen aufzubauen und widerstandsfähig(er) gegenüber Risiken zu werden. Die Felder, in denen es gilt, Resilienz zu stärken sind vorwiegend Subsysteme der Technologie, Geoökonomie sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aber auch bei jüngeren Verwerfungen, wie die Finanz- oder Klimakrise, spielt Resilienz eine Rolle. 

Resilienz sollte ein Schlüsselkonzept in der Nationalen Sicherheitsstrategie sein. Dabei ist die Berücksichtigung subsystemspezifischer Resilienzen zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Grundlage. Die Bundesregierung sollte deutlich stärker und in normsetzender Funktion demokratische Resilienz mit dem Schwerpunkt Zivilgesellschaft forcieren.

Mit demokratischer Resilienz‘ bezeichnen wir die Fähigkeit des Staates und der Gesellschaft, trotz Krisensituationen und Transformationsprozessen, das Vertrauen in die Demokratie zu erhalten. Gemeint ist dies in einem die Grundwerte einer vielfältigen Gesellschaft verteidigenden Sinne. Resilienz darf nämlich nicht auf die Fähigkeit, spezifische Herausforderungen zu meistern, begrenzt sein. Stattdessen muss Resilienz in fairer und demokratischer Weise gestaltet und explizit nachhaltig gefördert werden. Bezugspunkt der von uns angestrebten demokratischen Resilienz ist dabei ein Verständnis von Demokratie, das weit über eine parlamentarisch-repräsentative Herrschaftsform hinausgeht. Zwar sind Strukturen und Institutionen (wie Wahlen und Parteien) zentral, sie machen aber nur eine Dimension von Demokratie aus. Wesentlich sind prinzipielle und aktive Mitentscheidungs‑, Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten und die Identifikation möglichst vieler Bürger:innen in und mit ihrem Gemeinwesen. Je stärker diese ausgeprägt sind, umso besser steht es auch um die demokratische Resilienz.


» Demokratische Resilienz ist die Fähigkeit des Staates und der Gesellschaft, trotz Krisensituationen und Transformationsprozessen, das Vertrauen in die Demokratie zu erhalten. «

— Mirjam Weiberg & Olaf J. Kleist

Ein Schlüsselakteur bei der Beförderung demokratischer Resilienz ist die Zivilgesellschaft (organisierte, aktive Bürger:innen). Diese hat sich in den vergangenen Jahrzehnten, nach Parteien und Gewerkschaften, zu einer neuen Art von politischem Akteur in einer stärker von unten‘ geprägten Demokratie entwickelt. Notwendig für den Aus- und Aufbau demokratischer Resilienz ist entsprechend die aktive Beteiligung möglichst breiter und diverser Bevölkerungsgruppen in sozio-politischen Debatten. Dies bedeutet, dass zivilgesellschaftliche Akteure nicht nur die Möglichkeit erhalten müssen, sich zum Beispiel über Dialog- und andere Teilhabeprozesse einzubringen, sondern auch, dass ihre Positionen tatsächlich Berücksichtigung bei der Umsetzung politischer Maßnahmen finden. Alibibeteiligungen führen nämlich zum Gegenteil des Erwünschten: zu Enttäuschung und Distanzierung von der Demokratie. 

Klar ist, die Förderung demokratischer Resilienz durch zivilgesellschaftliche Beteiligung ist voraussetzungsvoll: Sie bedarf – auf Seiten des Staates und der Zivilgesellschaft — einer grundsätzlichen Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit, um unterschiedliche Meinungen, Positionen und Überzeugungen auszuhalten und auszuhandeln. Gleichzeitig endet Pluralität und Toleranz da, wo menschen- und demokratiefeindliche Tendenzen zu Tage treten.

Wieviel Beteiligung braucht die Nationale Sicherheitsstrategie, um demokratische Resilienz glaubwürdig zu stärken?

Von der Beteiligung und zur Partizipation

Eine aktive Mitgestaltung von Bürger:innen baut Vertrauen in und Identifikation mit politischen Maßnahmen auf. Wir müssen daher auch in (konflikthaften) Entscheidungsprozessen der Sicherheit und Verteidigung mehr Demokratie wagen. Gemeint ist eine vielfältige Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der von den Maßnahmen betroffenen beziehungsweise vulnerablen Gruppen. 

Um demokratische Resilienz in und um die Nationale Sicherheitsstrategie zu fördern sind weitere Anstrengungen nötig. Zum einen sollten die politischen Entscheidungsträger:innen über ein grundlegend neues Verständnis von Beteiligung mit neuen Formaten nachdenken. 

Aktuell sieht die Nationale Sicherheitsstrategie zwar einen Austausch mit Fachpersonen, Organisationen und Bürger:innen vor. Es ist aber sehr fraglich, ob dies als qualifizierte Beteiligung ausreicht, um demokratische Resilienz zu stärken. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Formate den von Innenministerin Nancy Fraser formulierten drei Grundpfeilern – Verteidigung der freiheitlichen Demokratie und des Rechtsstaats, Stärkung der Widerstandsfähigkeit unseres Staates und Gesellschaft sowie Schaffen eines Sicherheits-Bewusstseins in der Bevölkerung – gerecht werden.


» Wir müssen auch in konflikthaften Entscheidungsprozessen der Sicherheit und Verteidigung mehr Demokratie wagen. «

— Mirjam Weiberg & Olaf J. Kleist

Bei allen Bemühungen fokussiert Beteiligung bisher nur auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft im Vorlauf und ist begleitend nicht institutionalisiert. Zudem fehlen klare Angaben dazu, ob und wie die Ergebnisse der Expert:innen- und Bürger:innendialoge‘ verwendet werden. 

Darauf deuten auch die genutzten Wordings hin. Die an der Nationalen Sicherheitsstrategie beteiligten Ressorts sprechen überwiegend von: Beteiligungsprozess“ (BMI), Dialogprozess“ (AA) oder nur Austausch“ (BMVg). Besser wäre es, den international und von der UN in ähnlichen Prozessen verwendete Begriff der Partizipation (participation) zu nutzen und auch anzuwenden, um den Aspekt der Mitentscheidung deutlicher zum Ausdruck zu bringen. 

Sicher muss man in Rechnung stellen, dass Partizipation der Zivilgesellschaft sehr aufwendig ist. Denn leider gibt es fast nie ausreichende Budgets, Ideen und Maßnahmen, um alle Beteiligungswünsche effektiv zu gestalten. Hinzu kommt das Beteiligungsparadox: Das Interesse an einem Projekt zu dem Zeitpunkt am geringsten, an dem es die größten Möglichkeiten der Einflussnahme auf ebendieses Projekt gibt. In der weiteren Fortentwicklung des Projektes steigt das Interesse, die Möglichkeiten darauf Einfluss zu nehmen sinken aber. Allerdings drängt sich angesichts der begrenzten und wenig innovativen Standartformate im bisherigen Prozess die Frage auf, ob die Ressorts, die diese Beteiligung organisieren, sie wirklich und in aller Konsequenz wollen.

Bisher noch nicht in der Debatte berücksichtigt sind zudem Synergien mit bereits bestehenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Erzielung nachhaltiger demokratischer Resilienz, wie sie zumindest intentional in den großen Sonderprogrammen Demokratie leben!“ (BMFSFJ) und Zusammenhalt durch Teilhabe“ (BMI) angelegt sind.

Welche Möglichkeiten gibt es?

Glaubwürdige Partizipation wagen

Insgesamt ist noch viel Luft nach oben – besonders bei der Erzeugung nachhaltiger demokratischer Resilienz und aktiver Partizipation möglichst breiter und diverser Bevölkerungsgruppen, um Identifikation und Vertrauen mit der Nationalen Sicherheitsstrategie aufzubauen.

Für den Beteiligungsprozess bedeutet dies über eine neue Qualität und nicht ein mehr derselben herkömmlichen Formate und beteiligten Gruppen nachzudenken. Dazu gehören auch besonders Kritiker:innen und Betroffene der geplanten Maßnahmen sowie marginalisierte Positionen, die den Status quo in Frage stellen, einzubeziehen. Politische Entscheidungsträger:innen sollten Beteiligte ferner mit den notwendigen finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen ausstatten. Zu einem qualitativ hochwertigen Prozess gehört auch, verbindliche Absprachen über die Verwendung der Ergebnisse aus den Bürger:innen- und Dialogprozessen mit den Beteiligten zu treffen und ernst zu nehmen. Denn die harte Realität ist: In den meisten Fällen kommt lächerlich wenig partizipative Beteiligung zustande. Das ist sehr schade und ein zentraler Grund dafür, dass die Legitimität der Ergebnisse von Beteiligungsverfahren zu Recht in Zweifel gezogen werden. Beteiligungsformate, in denen es eigentlich um Co-Creation gehen sollte, verlaufen deshalb so oft so enttäuschend.


» Alibibeteiligungen führen zu Enttäuschung und Distanzierung von der Demokratie. «

— Mirjam Weiberg & Olaf J. Kleist

Für eine nachhaltige Verankerung von demokratischer Resilienz über die Sicherheitsstrategie hinaus, bedarf es zudem einer strukturellen Förderung der Zivilgesellschaft durch die Politik. Sie bietet Bürger:innen einen Raum zum Engagement, zum konstruktiven und inklusiven Umgang mit Pluralität. Zivilgesellschaft ist der Ort für Vertrauensbildung durch Mitgestaltung, Beteiligung und geteilte Machtausübung im Organisationsalltag und über diesen hinaus im Gemeinwesen. Empfehlenswert ist hier ein Ausbau der bestehenden (Sonder-)Programme zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismus- und Radikalisierungsprävention sowie ihre begleitende Überprüfung und Weiterentwicklung durch wissenschaftliche Evaluation. In diesem Zusammenhang wäre auch zu prüfen, ob bereits Wissen bereitsteht, dass für die Nationale Sicherheitsstrategie thematisch und bei der Frage von alternativen Partizipationsmöglichkeiten gehoben werden sollte. Dazu könnte auch das BMFSFJ ein guter Ansprechpartner sein. 

Die Bundesregierung sollte auch über die bestehende Kommunikationsstrategie nachdenken: Anders als es die Debatte über die Nationale Sicherheitsstrategie häufig suggeriert, sind interne und externe Krisen und Bedrohungslagen für demokratische Gemeinwesen keine exzeptionellen Phänomene, sondern die Regel. Deshalb muss ihre Adressierung, neben den gebotenen kurz- oder mittelfristigen spezifischen Maßnahmen, eben auch immer über langfristige strukturelle Maßnahmen erfolgen. Demokratische Resilienz sollte sich daher nicht alleine auf die Fähigkeit, schnell auf exogene Schocks zu reagieren und die Rückkehr in den Systemzustand vor einem Schockereignis zu erreichen, fokussieren (bounce back). Stattdessen geht es darum, Krisen als notwendige Möglichkeit der kontinuierlichen Anpassung unter sich verändernden Umweltbedingungen wahrzunehmen (bounce forward), bei denen das betroffene System oder das Gemeinwesen nach der Krise leistungsfähiger und langlebiger ist als zuvor. Generell geht es darum, Demokratie positiver zu formulieren, ihre Vorteile hervorzuheben und den Wunsch in der Zivilgesellschaft zu wecken, sich zu beteiligen. 

Dies ist alles eine dauerhafte und mitunter mühsame Aufgabe, da Demokratie keineswegs selbstverständlich ist und immer wieder von neuem mit Leben gefüllt, gelebt und erlernt, gestärkt, geschützt und gefördert werden muss. Gleichwohl gibt es keine andere Möglichkeit. Demokratie braucht diverse Partizipation und Einmischung.


Mirjam Weiberg

Leiterin Fachgruppe Demokratie, Transfer und Politikberatung, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

Olaf J. Kleist

Co-Leiter Fachgruppe Demokratie, Transfer und Politikberatung, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

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