Effektiv Desinformation und Verschwörungsideologien bekämpfen
Desinformation ist eine fundamentale Herausforderung für liberale Demokratien. Um erfolgreich dagegen vorzugehen, braucht die Bundesregierung einen systematischen und multiperspektivischen Ansatz.
Desinformation und Verschwörungserzählungen sind eine Herausforderung und Bedrohung für liberale Demokratien. Dennoch adressieren wir in Deutschland das Thema nur anlassbezogen, statt es systematisch zu diskutieren. Das erschwert eine systematische und effiziente Bekämpfung von Desinformationskampagnen. Nach der Wahl des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump gab es breite Debatten um die Rolle von ‚Fake News‘ und verschwörungsideologischen Gruppierungen wie QAnon. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie wurde auch einer breiten Öffentlichkeit klar, welche Rolle Verschwörungserzählungen beim Management von Gesundheitskrisen spielen. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass sich liberale Demokratien gegen Beeinflussungsversuche wappnen.
Andere Länder wie Taiwan oder die baltischen Staaten können bereits jahrelange Erfahrung im Kampf gegen Beeinflussungsversuche aufweisen. In Deutschland sind die Debatte und systematische Auseinandersetzung mit Desinformation als Bedrohung für Gesellschaft und Demokratie vergleichsweise neu. Sowohl in Politik und Behörden als auch in der Gesellschaft muss ein Bewusstsein für systematische Beeinflussungsversuche und ihre Folgen oft erst noch geschaffen werden. Im Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2022 schrieb das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass die Bedrohung im Cyberraum – verschärft durch den russischen Angriffskrieg – so hoch sei wie nie. Es ist also dringend notwendig, systematische Strategien zu implementieren.
» Wir haben es mit einem chronischen Stressfaktor zu tun, der liberale Demokratien im Mark erschüttern soll. «
Krisen stellen akute Stressoren dar, die die Resilienz von Gesellschaften und Individuen herausfordern und empfänglicher machen für Stimmungsmache und Beeinflussungsversuche. Dennoch sollte man nicht den Fehler machen, Desinformation als reines Krisenphänomen abzutun. Wir haben es hier mit einem chronischen Stressfaktor zu tun, der liberale Demokratien im Mark erschüttern soll. Eine nationale Sicherheitsstrategie braucht vorausschauendes und aktives Handeln. Ein guter Umgang mit Falsch- und Desinformation hat oft einen entscheidenden Einfluss auf das Management von Krisen und die Verfassung der demokratischen Gesellschaft als Ganzes.
Vor die Welle kommen: Krisen als Nährboden für Desinformation
Letztendlich zeigt sich, dass beinahe jede größere Krise und Katastrophe mit einem Dreiklang aus Falschinformationen, Desinformationen und Verschwörungserzählungen einhergeht. Informationslücken und Unsicherheit befördern Gerüchte sowie Spekulation, die oft zu zusätzlichen Herausforderungen für die verschiedenen Akteure im Krisenmanagement führen. Die Fragilität, die die Krisensituation in sich birgt, ist oft die ideale Grundlage für Kampagnen von Akteuren, die liberale Demokratien angreifen wollen. Dies zeigt sich sowohl bei Gesundheitskrisen, Naturkatastrophen und Terroranschlägen als auch bei größeren gesellschaftlich relevanten Ereignissen.
» Letztendlich zeigt sich, dass beinahe jede größere Krise und Katastrophe mit einem Dreiklang aus Falschinformationen, Desinformationen und Verschwörungserzählungen einhergeht. «
Da Krisen vermutlich eher zu- als abnehmen werden, ist es wichtig, sich hier zu wappnen und diesen nicht unvorbereitet zu begegnen. Dafür benötigt es ein gesamtgesellschaftliches Verständnis darüber, wie sich Desinformation durch wen verbreitet und bei wem sie verfängt. Auch für die Bundesregierung und die verschiedenen Behörden sind diese Kenntnisse von großer Bedeutung, um zielgerichtet gegen diese Gefahren vorgehen zu können. Es braucht Wissen über technologische Möglichkeiten, psychologische Fallstricke und sinnvolle Intervention. Dementsprechend verlangt es auch für die Nationale Sicherheitsstrategie einen systematischen Ansatz, der sowohl schnelle Intervention zum Debunking mitdenkt als auch langfristig daran arbeitet, die Bevölkerung zu befähigen, Desinformation und Falschinformationen zu erkennen. Passiert dies nicht, wird jede Krisenlage durch die Verbreitung falscher Inhalte erschwert. Ob es eine Ablehnung von Impfungen in der Pandemie ist oder zusätzliche Herausforderungen beim Management von Naturkatastrophen, weil die gestreuten Falschinformationen wieder berichtigt werden müssen.
Desinformation und Verschwörungserzählungen als multiperspektivische Herausforderung begreifen
Im Hinblick auf den anhaltenden Angriffskrieg auf die Ukraine und den weiteren Krisen, denen wir uns als Gesellschaft stellen müssen, bedeutet das, dass ein umfangreicheres Verständnis von Propaganda und Desinformation entwickelt werden muss. Dies muss sich auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie widerspiegeln. Auch eine tiefergreifende gesellschaftspolitische Debatte zu der Frage, wie die Bevölkerung der zunehmenden Flut an Desinformationskampagnen begegnen kann, ist erforderlich. Häufig ist der Blick auf Desinformation in gesellschaftlichen, aber auch in fachlichen Debatten zu eng gefasst.
Ein oft genutzter Ansatz ist, Desinformation aus einer reinen Informationsperspektive zu betrachten. Hierbei geht es darum, Desinformation zu widerlegen. Etwa durch Faktenchecker:innen, die schnell und effektiv korrekte Informationen zur Verfügung stellen. Dieser Ansatz ist sowohl im Bereich Journalismus als auch in der Bildung verortet, spielt aber teilweise auch eine Rolle für Behörden – von der Schulung der Mitarbeiter:innen bis hin zu Richtigstellungen. In der öffentlichen Debatte wird vielfach vorranging auf Medienkompetenz gesetzt. Wenn Desinformation bei Personen verfängt, wird dies häufig zum Kompetenzproblem reduziert, das insbesondere junge Menschen in den Fokus nimmt. Medienkompetenz ist allerdings nur ein, wenn auch wichtiges, Puzzleteil in der Auseinandersetzung mit Desinformation und sollte weder in seiner Wirkung überschätzt noch isoliert als einziger Ansatz betrachtet werden.
Stattdessen ist es wichtig, Desinformation aus multiplen Perspektiven zu betrachten und dementsprechend passende Interventionen zu entwickeln. Desinformation kann sowohl als Bedrohung von ‚innen‘ als auch ‚außen‘ verstanden werden. Illegitime Einflussaktivitäten fremder Staaten, sogenannte hybride Bedrohungen, beispielsweise durch Russland, aber auch durch Rechtsextreme zählen zu dieser Sicherheitsperspektive. Interventionen finden hier auf Ebene von Sicherheitsbehörden oder der EU statt. Ein Beispiel sind die von der EU verhängten Sanktionen gegen die Sendetätigkeiten der staatseigenen Medien RT/Russia Today und Sputnik in der EU.
» Desinformation ist kein Problem der Neuzeit, aber Desinformation ist eine fundamentale Herausforderung für Demokratien. «
Bei Ansätzen, die Desinformation aus einer technologischen Perspektive betrachten, liegt der Fokus auf dem digitalen Raum und den dort vorhandenen Verstärkungsmechanismen (wie Algorithmen, Policy Regeln von Plattformen). Das digitale Umfeld, in dem sich Desinformation am meisten verbreitet, kann sich auch von Land zu Land und pro Zielgruppe unterscheiden. Interventionen finden hier auf juristischer, regulatorischer oder zivilgesellschaftlicher Ebene statt. Während Ansätze im digitalen Raum immer professioneller werden, wird die analoge Welt in Deutschland häufig vernachlässigt. In Schweden wurde beispielsweise bereits 2018 die Broschüre „Wenn die Krise oder der Krieg kommt” veröffentlicht und die an alle Haushalte im Land verschickt. Das Infoblatt informierte die Öffentlichkeit unter anderem darüber, wie sie zuverlässige Informationen finden kann.
Die psychologische Perspektive zur Bekämpfung von Desinformation ist ein relativer neuer Ansatz, der in Deutschland noch wenig Beachtung findet. Das schwedische Amt für psychologische Verteidigung hat 2022 seine Arbeit mit dem Ziel aufgenommen, Desinformation effektiv zu bekämpfen. Der Fokus bei dieser Perspektive liegt auf der individuellen Disposition, an Falsch- und Desinformation zu glauben und die Entwicklung demokratischer Resilienz. Der Ansatz zielt darauf ab, die Gesellschaft gegen externe Beeinflussungsversuche zu immunisieren.
Eine weitere Perspektive, die in Deutschland bisher nur wenig Beachtung findet, ist Desinformation als demokratische Schwachstelle zu verstehen. Desinformation richtet sich oft an vulnerable Gruppen, wie Studien aus den baltischen Staaten immer wieder gezeigt haben. Auch in Deutschland sind nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleich empfänglich für Propaganda. Dies verdeutlicht auch noch einmal, warum es zu kurz greift, Desinformation als Kompetenz- oder Wissensmangel zu begreifen. Dementsprechend sollten Ansätze gegen Desinformation nicht nur kurzfristig angelegte Interventionen berücksichtigen, sondern Demokratien stärken.
Evidenzbasierte Ansätze fördern
Wer Desinformation bekämpfen möchte, muss die gesellschaftliche Lage verstehen. Insbesondere bei längerfristigen Krisenlagen sind bevölkerungsrepräsentative Befragungen wie das COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO) sinnvoll, um ein tiefgreifendes Verständnis über die gesellschaftliche Stimmungslage und die Effektivität von Interventionen zu erlangen. Auch im Kontext von Desinformation ist es wichtig, die Zustimmungswerte zu Propaganda und Desinformationsnarrativen zu kennen. Durch diesen evidenzbasierten Ansatz erlangt man auch ein tieferes Wissen über die Verbreitung in gesellschaftlichen Subgruppen. Unsere Analysen zeigen beispielsweise einen Anstieg aller Zustimmungswerte zu pro-russischen Verschwörungserzählungen und Propagandaaussagen in der deutschen Gesamtbevölkerung zwischen Frühjahr und Herbst/Winter 2022. Auch die Werte der teils-teils-Antworten im Hinblick auf die Haltung zu pro-russischen Verschwörungserzählungen in der deutschen Bevölkerung stiegen im Vergleich zu den Umfrageergebnissen unserer Analyse vom April 2022 signifikant an. Andere Analysen befassen sich mit Indikatoren, um die Cybersicherheit oder Resilienz durch verschiedene Faktoren bewerten zu können. Blickt man etwa auf die Ergebnisse vom FM Global Resilience Index, der ökonomische Faktoren und klimabezogene Erfahrungen in die Wertung einfließen lässt, lag Deutschland 2022 insgesamt auf Platz 5, bei Cybersecurity aber nur auf den zwanzigsten Platz. Der Global Cybersecurity Index 2022 rankt Deutschland auf Platz 13.
Gleichzeitig ist es auch für die Forschung herausfordernd, die Wirkungsmacht von Desinformation zu messen. Häufig ist es nur schwer nachweisbar, ob es sich um Falschinformationen ohne böse Absicht oder (direkt oder indirekt) staatlich gelenkte Desinformationskampagnen handelt. Teilweise werden Desinformationskampagnen auch durch ökonomische und weniger durch politische Interessen gelenkt, können aber trotzdem den Interessen autoritärer Staaten nutzen. Dennoch braucht es mehr Wissen darüber, welche Akteure mit welchen Interessen falsche Inhalte verbreiten. Gerade auch in Bezug auf mögliche Interventionen sind evidenzbasierte Evaluationen wichtig, um zu verstehen, welche Ansätze langfristig sinnvoll und wirksam sind.
» Häufig ist es nur schwer nachweisbar, ob es sich um Falschinformationen ohne böse Absicht oder staatlich gelenkte Desinformationskampagnen handelt. «
Wichtig ist dabei, dass Erkenntnisse auch systematisch gesammelt und aufbereitet werden müssen. Aktuell existieren verschiedene Forschungsstränge und ‑arbeiten, die zwar unter Expert:innen bekannt sind, jedoch für eine breitere Öffentlichkeit, Politik und Behörden häufig nur begrenzt zugänglich sind. Die Förderung von Forschung sollte daher auch damit einhergehen, dass die entstehenden Erkenntnisse sichtbarer gemacht werden. Die Systematisierung von Wissen könnte sowohl durch Forschungsinstitutionen oder durch die Wissenschaftlichen Dienste stattfinden.
Desinformation bekämpfen: Die Frage nach Verantwortlichkeiten
Desinformation ist kein Problem, das Regierungen allein lösen können und sollten. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass autoritäre Staaten den Themenkomplex gerne für sich nutzen, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Das türkische Parlament hat beispielsweise 2022 ein Gesetz verabschiedet, das Haftstrafen für die Verbreitung „falscher oder irreführender Nachrichten” vorsieht. Auch im Iran finden ähnliche Diskussionen über ein Gesetz gegen angebliche „Fake News“ statt. Daher sollten Demokratien die Zivilgesellschaft und Wissenschaft stark in die Bekämpfung von Desinformation einbeziehen, Engagement fördern und die eigene Rolle reflektieren.
Menschen, die offen für Propaganda sind, zeigen häufig ein Misstrauen gegen den Staat und seine Institutionen. Auch deswegen eignet sich der Staat oft nicht als Kommunikator. Hier braucht es vielmehr Community Stakeholder:innen, die das Vertrauen in der jeweiligen Community genießen.
Kernpunkte:
- Da Falschinformationen und Verschwörungserzählungen das Management von Krisen erschweren, braucht die Bundesregierung einen systematischen Ansatz, um Desinformation zu bekämpfen.
- Es reicht nicht, Desinformation als ‚Medienkompetenzproblem‘ zu verstehen. Stattdessen sollte die Bundesregierung das Problem aus multiplen Perspektiven betrachten.
Desinformation ist kein Problem der Neuzeit, aber Desinformation ist eine fundamentale Herausforderung für Demokratien. Den einen Ansatz, der Desinformation erfolgreich bekämpft, gibt es nicht. Hier braucht es den Austausch zwischen Ländern und verschiedenen Akteur:innen, um Goldstandards entwickeln und etablieren zu können.
Gerade mit Blick auch auf zukünftige Krisen ist ein systematischer Ansatz zur Bekämpfung von Desinformation zentral. Katastrophen, Krisen und Kriege werden mit einer Zunahme an Falschinformationen, Desinformationen und Verschwörungserzählungen einhergehen. Daher sollte die Bundesregierung die Auseinandersetzung mit Desinformation auch im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie als querschnittliche Aufgabe betrachten. Bei der Flutkatastrophe 2021 konnte man sehen, dass sowohl Falsch- als auch Desinformation eine zusätzliche Herausforderung darstellten. Auch bei der Klimakrise und im Kontext von Kriegen und Konflikten wird sich dies sehr wahrscheinlich verstärkt zeigen.
Wir dürfen gesellschaftliche Resilienz gegen Desinformation nicht nur aus einer Perspektive betrachten. Erst durch das Zusammenspiel können sinnvolle Ansätze entwickelt werden. Gerade auch in Bezug auf Zielgruppen ist es elementar, nicht nur besonders vulnerable Gruppen zu identifizieren, sondern auch die gesamte Lebensspanne miteinzubeziehen. Dazu gehört, dass Kampagnen sich nicht nur auf den digitalen Raum beziehen, sondern auch die analoge Welt miteinschließen. Informationen verbreiten sich schließlich überall da, wo Menschen sich aufhalten.
Für die Nationale Sicherheitsstrategie ist es daher wichtig, die Bedrohung durch Falsch- und Desinformation ernst zu nehmen und dies auch im Strategieprozess zu verankern. Dazu gehören auch klare Zuständigkeiten. Schweden ist hier ein Vorbild mit der neu gegründeten Behörde für psychologische Verteidigung. Gleichzeitig braucht es für die Eindämmung von Desinformation eine nachhaltige Förderung von wissenschaftlicher, journalistischer und zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Desinformation. Gerade weil es sich bei der staatlichen Auseinandersetzung mit Wahrheit und Fakten um sensible Themen handelt, ist die Stärkung der Demokratie ein elementarer Pfeiler bei der Bekämpfung von Desinformation.
Pia Lamberty
Geschäftsführerin, Center for Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)
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