Artikel von Monika Benkler

Für die Sicherheit in Friedenseinsätzen: Desinformation mit strategischer Kommunikation bekämpfen

In Krisen da draußen: Vorbeugen, Entschärfen, Helfen
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Feindliche Desinformationskampagnen gefährden Friedenseinsätze und dadurch auch deutsches Einsatzpersonal. Die beste Verteidigung dagegen: strategische Kommunikation verankern.

Der Schutz der Wahrheit ist eine tägliche Herausforderung für Friedenseinsätze. Feindliche Narrative untergraben ihre Glaubwürdigkeit und damit die Fähigkeit, wirksam ihre Mandatsaufgaben umzusetzen. Desinformationskampagnen destabilisieren die Sicherheitssituation im Einsatzland. Die sicherheitsrelevante Dimension feindlicher Kommunikationsangriffe im Umfeld von Friedenseinsätzen ragt jedoch über das Einsatzland hinaus: Desinformation schwächt die entsendenden multilateralen Organisationen und das westliche politische System. Sicherheit ist auch im Informationsumfeld von Friedenseinsätzen zu verteidigen — Deutschland sollte dies bei der Entwicklung seiner Nationalen Sicherheitsstrategie berücksichtigen. 

Desinformation: fabrikmäßige Produktion

Das globale Ausmaß von Desinformation hat in den vergangenen Jahren rapide zugenommen. Waren es 2019 noch 70 Länder, resümiert das multidisziplinäre Oxford Internet Institute in seinem jüngsten Bericht, dass im Jahr 2020 81 Länder organisierte Desinformationskampagnen durchgeführt haben – sowohl intern – zum Beispiel zur Beeinflussung von Wahlen – als auch zur geopolitischen Einflussnahme. Mittlerweile ist eine industriemäßige Fabrikation von falschen Inhalten festzustellen: In 48 Ländern haben private Unternehmen im Jahr 2020 mit politischen Akteuren an Desinformationskampagnen gearbeitet. Die prozesshafte Entwicklung von Desinformation wird auch als Wertschöpfungskette beschrieben, durch die Akteur:innen Einfluss, Macht, Status oder Geld gewinnen.


» In der Nationalen Sicherheitsstrategie sollten Desinformation und andere Phänomene der sogenannten Information Disorder als zunehmende Gefahr für das deutsche Einsatzpersonal beschrieben werden. «

— Monika Benkler

Auch internationale und regionale Organisationen oder Allianzen und ihre Friedensoperationen müssen mit der Weaponization of Digital Communications and Social Media in ihrem Umfeld umgehen. Zunehmend sind sie selbst Zielscheibe von Desinformation. Das gilt für Einsätze der UN, EU, OSZE und NATO gleichermaßen. Nach eigener offizieller Aussage waren 2020 sämtliche EU-Einsätze betroffen. Die Leiter der UN-Abteilungen für Peace Operations und Operational Support, Jean-Pierre Lacroix und Atul Khare, konstatierten 2021: Rumors and manipulated falsehoods directly impact the security of our police, military and civilian peacekeepers.“ In der Nationalen Sicherheitsstrategie sollten Desinformation und andere Phänomene der sogenannten Information Disorder als zunehmende Gefahr für das deutsche Einsatzpersonal beschrieben werden.

Die Wirkmacht: der Fall Mali

Wie real die Bedrohungslage im Informationsumfeld internationaler Einsätzen ist, zeigt unter anderem der Fall Mali. Das Digital Forensic Research Lab des Atlantic Council deckte auf, wie ein Netzwerk von Facebook-Seiten nach dem Putsch im Mai 2021 pro-russische sowie gegen den Westen, Frankreich und die UN gerichtete Narrative verbreitete. Mit Posts engagierte sich das Netzwerk für die Verschiebung der für Februar 2022 angekündigten Wahlen und warb für das private Militärunternehmen Wagner vor dessen offizieller‘ Ankunft in Mali. Einige dieser Kampagnen standen in direktem Zusammenhang mit Jewgeni Prigoschin, dem Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin und Kontrolleur von Wagner. Russland gab die Inhalte auch an einheimische Facebook-Nutzer:innen weiter, die diese posteten; was die Bemühungen erschwerte, dagegen vorzugehen.

Die von Desinformation befeuerten, gravierenden politischen Spannungen zwischen der Militärregierung in Bamako und Paris sowie den internationalen Partnern führten schlussendlich zum Abzug der französischen Truppen. Brüssel setzte die Ausbildungsarbeit der EU-Mission in Mali vorerst aus. Die UN-Mission MINUSMA kämpft seit dem Auftreten der Wagner-Gruppe mit einer steigenden Anzahl von Falschinformationen über ihr Mandat und ihre Aktivitäten. Infolgedessen schwindet das Vertrauen und die Bereitschaft lokaler Gemeinschaften Informationen zu teilen. Letzteres beeinträchtigt ihre Fähigkeit zur Verhinderung von Anschlägen UN SC/​14966.

Kernpunkte:

  1. Desinformationskampagnen und feindliche Kommunikation gefährden zunehmend die Sicherheit von Friedenseinsätzen und deren Einsatzpersonal.
  2. Strategische Kommunikation kann die Deutungshoheit im Informationsraum gegenüber feindlichen Akteuren wie Russland, Iran und China verteidigen. 
  3. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte den ressortübergreifenden Kampf gegen Desinformation sowie den Ausbau der Zusammenarbeit mit einschlägigen internationalen Institutionen verankern.

Friedenseinsätze: vier Handlungsbereiche

Das russische Agieren in Mali zeigt die Wirkmacht feindlicher kommunikativer Maßnahmen, die in fragilen Kontexten besonders einflussreich sind und laut UN-Generalsekretär António Guterres zunehmend als weapon of war“ genutzt werden. Auch die EU und NATO haben die politische und sicherheitspolitische Herausforderung von Desinformation in zahlreichen Dokumenten anerkannt und ihre Bemühungen zur Bekämpfung von Foreign Information Manipulation and Interference (EU), beziehungsweise Hostile Information Activities (NATO), spätestens seit der russischen Annexion der Krim 2014 verstärkt. So haben Mitgliedstaaten beider Organisationen unter anderem 2017 das Hybrid CoE (The European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats) in Helsinki gegründet, das Strategien gegen Hackerangriffe, Propaganda und Desinformationskampagnen entwickelt. Der Ausbau der Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Institutionen und Einrichtungen wie dem CoE oder den StratCom Task Forces des Europäischen Auswärtigen Dienstes im Kampf gegen Desinformation sollte in der Sicherheitsstrategie der Bundesregierung verankert werden. 

Friedenseinsätzen steht bislang keine dezidierte Strategie im Umgang mit Desinformation zur Verfügung, wenngleich richtungsweisende Ansätze in den internationalen Organisationen zu erkennen sind. Dazu gehören die für 2022 angekündigte FIMI Toolbox für GSVP-Einsätze der EU sowie eine in Überarbeitung befindliche Counter-Hostile Information and Disinformation Toolbox der NATO, die in ihrer neuen Version stärker als bisher auch NATO-Einsätze adressieren soll. Auch bei der OSZE laufen Bemühungen die Kapazitäten auszubauen. Für die UN als bei weitem größten Akteur mit 12 Blauhelmeinsätzen und 13 Politischen Sondermissionen schlägt die neue Strategy for the Digital Transformation of UN Peacekeeping (2021) den Aufbau einer multidisziplinären, integrierten Kapazität am Hauptsitz der Organisation vor. Diese soll eng mit den Missionen zusammenarbeiten und sie unter anderem mit neuen Technologien unterstützen. 

Im Wesentlichen gibt es für Friedenseinsätze vier Handlungsbereiche um Desinformation zu begegnen. Diese umfassen sowohl kurz- als auch langfristige Maßnahmen. Es geht darum, (I) die Bedrohung im Informationsraum frühzeitig zu erkennen (Situational Awareness), (II) effiziente Strukturen strategischer Kommunikation zu etablieren (Response), (III) die Resilienz von Einsätzen und Einsatzländern gegen Desinformation zu stärken (Resilience) sowie (IV) geeignete Kooperationen mit nationalen und internationalen Partnern aufzubauen (Cooperation).

Strategische Kommunikation: die zentrale Line of Defense

Strategische Kommunikation ist eine zentrale Line of Defense, um die Deutungshoheit im Informationsraum nicht feindlichen und produktiven Akteuren wie Russland, Iran oder China zu überlassen. Im Juli 2022 befasste sich erstmals der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema. Er stellte fest, dass die Kapazitäten der Friedenseinätze für strategische Kommunikation weiter verbessert werden müssen und beauftragte Guterres, bis April 2023 eine Strategic Review von StratCom in UN-Friedenseinsätzen und im Headquarter vorzunehmen. Die personalstellenden Mitgliedstaaten werden unter anderem aufgefordert, den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien zu unterstützten sowie qualifiziertes Personal für strategische Kommunikation bereitzustellen.


» Strategische Kommunikation ist eine zentrale Line of Defense, um die Deutungshoheit im Informationsraum nicht feindlichen und produktiven Akteuren wie Russland, Iran oder China zu überlassen. «

— Monika Benkler

Allerdings ist nicht nur eine bessere personelle und technische Ausstattung der Missionen erforderlich. Es geht vielmehr um einen notwendigen Cultural Shift. Strategische Kommunikation muss – und das betont auch der Sicherheitsrat — als Whole-of-Mission Approach angelegt sein, also in der Verantwortung uniformierter wie ziviler Einsatzkomponenten liegen, und missionsübergreifend eingesetzt werden. Die dazu nötige Koordinierung zwischen den Missionskomponenten und mit den Landesteams der UN steht allerdings vor der Herausforderung, mit den Dynamiken der digitalen Welt, die schnelle Reaktionen erfordern, mitzuhalten. 

Kommunikation: Beitrag zur Herstellung von Sicherheit

Auch Mitgliedstaaten und insbesondere die Entsender von Militär, Polizei und zivilem Personal müssen den Einsatz strategischer Kommunikation für den Erfolg von Friedenseinsätzen und das Vertrauen in die sie entsendenden internationalen Organisationen maximieren. Communications is not a side issue or an afterthought. More than ever, strategic communications is central to the success of all our work”, so UN-Generalsekretär Guterres im Juli vor dem Sicherheitsrat. Neben der Unterstützung der aktuellen Initiativen internationaler Organisationen geht es in Deutschland auch darum, die Kommunikation zum deutschen Engagement in Friedenseinsätzen zu stärken und diese ressortübergreifend auszubauen. Aufbauend auf den etablierten Monitoring- und Analyse-Kapazitäten sollten vorhandene Strukturen in der Bundesregierung stärker als bisher genutzt werden, um proaktiv Narrative zu definieren und Maßnahmen zu ihrer Umsetzung festzulegen.


» Mitgliedstaaten und insbesondere die Entsender von Militär, Polizei und zivilem Personal müssen den Einsatz strategischer Kommunikation für den Erfolg von Friedenseinsätzen und das Vertrauen in die sie entsendenden internationalen Organisationen maximieren. «

— Monika Benkler

Wenn die blaue Flagge der UN durch feindliche Kommunikation von einem Symbol der Sicherheit in ein Angriffsziel verwandelt wird, schmälert das zwangsläufig die Handlungsmöglichkeiten der Organisation im Bereich Frieden und Sicherheit. Unkonventionelle Sicherheitsgefahren im Umfeld von Friedenseinsätzen wie Desinformation sind daher ein Thema auch für die Nationale Sicherheitsstrategie. Sie muss Prozesse definieren, durch die Ziele festgelegt und Maßnahmen abgestimmt werden können — auf nationaler Ebene und im Verbund mit Partnern im multilateralen Rahmen. Nur so kann der Beitrag von strategischer Kommunikation zur Herstellung von Sicherheit KAS 2021 maximal gestaltet werden.


Monika Benkler

Wisschenschaftliche Mitarbeiterin, Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF)

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