Die Sicherheitsstrategie muss zur Führung befähigen
Photo: Bundeswehr /Flickr
Eine aktiv gestaltende Sicherheitspolitik kann nur gelingen, wenn Strategie mit dem politischen Willen einhergeht, in Europa und international tatsächlich eine Führungsleistung zu erbringen.
Der Entschluss der Koalition, eine Nationale Sicherheitsstrategie zu verfassen, reifte vor Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Der russische Tabubruch schuf einen radikal neuen sicherheitspolitischen Kontext, den die Strategie sich nunmehr aneignen, auf den sie Antwort geben muss. Damit schafft sie zugleich Erwartungen, markiert Prioritäten, kurz: Sie setzt einen Rahmen und Maßstab für zukünftiges Regierungshandeln.
Die Bundesrepublik weist beim Thema Sicherheit strukturelle Besonderheiten auf. Sie haben auch sprachlich ihre Wegmarken hinterlassen: Die Last der Vergangenheit; Entspannungsdividende; Kultur der militärischen Zurückhaltung; ein Land umgeben von Freunden. Es mangelt an realistischem Bedrohungsbewusstsein, an der selbstverständlichen Debatte sicherheitspolitischer Themen in Gesellschaft und politischen Institutionen, an Übung und Bereitschaft zu strategischer Kommunikation und entschlossenem Handeln auf diesem „heiklen“ Feld. Sicherheitspolitische Entscheidungen von Bundesregierungen stehen regelmäßig unter dem Primat innenpolitischer Konfliktvermeidung.
» Sicherheitspolitische Entscheidungen von Bundesregierungen stehen regelmäßig unter dem Primat innenpolitischer Konfliktvermeidung. «
Konzept plus politischer Wille
Schon die Beteiligung Deutschlands an den Einsätzen der NATO in Afghanistan erfolgte von Beginn an bewusst konzentriert auf den „sicheren“ Norden des Landes. Zehn Jahre später verließ man vorübergehend die Aufklärungskomponente (AWACS) der NATO, um eine geringfügige Anhebung der Mandatsobergrenze zu vermeiden und ohne jede Rücksicht auf die weitreichenden allianzpolitischen Auswirkungen dieses Schrittes. Die deutsche Beteiligung an der militärischen Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und Irak wurde wiederum sorgsam so zugeschnitten, dass andere das „schmutzige Handwerk“ des Bombenwerfens erledigten. Deutsche Tornados lieferten lediglich das Bildmaterial. Solidarische partnership in leadership sieht anders aus.
Deutschland will heute dem im Begriff Zeitenwende mitschwingenden Anspruch einer aktiv gestaltenden Sicherheitspolitik gerecht werden. Das gelingt nur, wenn dafür nicht nur ein Konzept, sondern zugleich der politische Wille erkennbar wird, diese Führungsleistung angesichts einer Vielzahl von Herausforderungen tatsächlich zu erbringen. Auch eine gewichtigere europäische Rolle in der Sicherheitspolitik kann beispielsweise ohne deutsche Initiative und politische Schubkraft nicht gelingen.
Handlungsfähigkeit im Inneren
Eine Grundorientierung hat die NATO bereits in ihrem aktuellen Strategischen Konzept vom Juni 2022 in Madrid gegeben – mit unserer Stimme. Dort heißt es, von Russland gehe die „größte und unmittelbarste Gefahr“ für unsere Sicherheit aus. Aber auch Chinas Politik fordere die Interessen, die Sicherheit und die Werte der Staaten des Bündnisses heraus. Damit sind zwei zentrale Parameter auch für die deutsche Sicherheitsstrategie gesetzt. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird sich auf die Frage konzentrieren, was Deutschland nun daraus folgert. Handelt es sich bei der Strategie um ein zahnloses Expertenpapier oder hat die Regierung eine effektive Handlungsstrategie im Geist der Zeitenwende vorgelegt? So oder ähnlich wird man fragen.
» Wer international führen will, muss anschlussfähige Ziele mit deutlicher Stimme artikulieren und in Krisenlagen selbst handlungsfähig sein. Das setzt tragfähige Entscheidungs- und Abstimmungsstrukturen im Innern voraus. «
Die Verantwortung hierfür liegt bei der ersten Reihe der Politik. Es wird für den Bundeskanzler jedenfalls zunehmend schwieriger, auf den Ruf nach mehr Handlungs- und Führungsfähigkeit mit Verweis auf die Innenpolitik zu reagieren. Wer international führen will, muss anschlussfähige Ziele mit deutlicher Stimme artikulieren und in Krisenlagen selbst handlungsfähig sein. Das setzt tragfähige Entscheidungs- und Abstimmungsstrukturen im Innern voraus. Wenn die Bundesregierung über die Nationale Sicherheitsstrategie zu Rate sitzt, sollte es vor allem diese Frage sein, die den Kabinettstisch beschäftigt. Notwendig ist ein von der Spitze gesteuertes enges Zusammenspiel aller relevanten Akteure mit verbindlichen Ergebnissen, die nach innen und außen zeitgerecht kommuniziert werden. Gemeinsam wahrzunehmende Verantwortung für Krisen-Haushaltsmittel könnte den Prozess unterstützen.
Die Antwort muss nicht Bundessicherheitsrat heißen, aber sie sollte belastbar im Sinne von „zu Führung befähigend“ sein. Daran wird die Welt – und daran sollten auch wir – die deutsche Sicherheitsstrategie messen. Das mag für ihre Autoren analytisch unbefriedigend sein, politisch beschreibt es jedoch die Realität.
Ekkehard Brose
Präsident, Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) & ehemaliger Botschafter Deutschlands im Irak
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