Article by Matthias Wachter

Gar nicht losgelöst: Weltraum und europäische Sicherheit

Posted in Rethinking Interdependence
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Satelliten und die von ihnen generierten Daten sind für das Funktionieren von modernen Gesellschaften essenziell. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss dem Rechnung tragen. Auch weil der Angriff auf die Ukraine im Weltraum begann.

Am 24. Februar 2022, eine Stunde vor dem Einmarsch der russischen Bodentruppen in die Ukraine, hat ein Cyberangriff auf den amerikanischen Satellitennetz-Provider Viasat stattgefunden. Die EU, USA und Großbritannien sind sich einig, dass der russische Militärgeheimdienst dafür verantwortlich ist. Ziel der Cyber-Attacke war es offenbar, die Ukraine vom Internet abzuschneiden und ihr so die Möglichkeit zur Kommunikation mit dem Ausland und den eigenen Truppen zu nehmen. Der Angriff auf Viasat hatte weitreichende Folgen für die Ukraine und Teile Europas. Das Internet in der Ukraine wurde temporär gestört und mehrere tausend Windräder in der Nordsee waren nicht mehr erreichbar. Offshore-Windparks werden in der Regel über Satelliten-Verbindungen gesteuert. Angriff und Zeitpunkt zeigen, welche strategische Bedeutung Moskau dem von der Ukraine genutzten Satellitennetz beigemessen hat. Weltraumsysteme sind folglich eine kritische Infrastruktur.

Europa braucht die Raumfahrt

Bereits heute sind Raumfahrt und ein souveräner Zugang ins All elementar für die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Handlungsfähigkeit von Regierungen. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind ohne die Unterstützung durch Weltraumsysteme nicht mehr denkbar. Der Weltraum wurde von der NATO neben Land, See, Luft und Cyber als gleichbedeutende fünfte militärische Dimension definiert. Die Nutzung von Satelliten und die von ihnen generierten Daten und Dienste sind für die militärische Aufklärung, Kommunikation und Operationsführung unverzichtbar. Die ukrainische Informationsüberlegenheit gegenüber dem russischen Aggressor beruht maßgeblich auf westlichen Spionage- und Erdbeobachtungssatelliten. Für die Kommunikation und Vernetzung ist das kommerzielle Starlink-Satellitensystem von Elon Musk mittlerweile unverzichtbar für die Ukraine.


» Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde die Kooperation zwischen ESA und Roskosmos beendet. Die Zeitenwende ist auch eine Zeitenwende für die europäische Raumfahrt. «

— Matthias Wachter

Dennoch hat sich Europa im Weltraum, analog zu Erdgas, stark von Russland abhängig gemacht. Basis hierfür bildete die enge Zusammenarbeit zwischen der European Space Agency (ESA) und Roskosmos, der Weltraumorganisation der Russischen Föderation. So fanden 2021 insgesamt 13 Raketenstarts unter europäischer Flagge statt. Sieben dieser Starts wurden mit russischen Sojus-Raketen durchgeführt und nur jeweils drei mit in Europa entwickelten und produzierten Ariane 5 und Vega-Trägerraketen. Europa ist die Abhängigkeit von Russland im All bewusst eingegangen. Die russischen Raketen galten als günstig und zuverlässig. Europa konnte so kommerziellen sowie staatlichen Kunden zusätzliche Startmöglichkeiten und ein weiteres Träger-Segment anbieten. Politisch galt die Kooperation lange Zeit als unproblematisch. Sowohl beim Gas als auch in der Raumfahrt war die Devise: Die Zusammenarbeit führt zu beidseitigen Vorteilen und Russland ist ein zuverlässiger Partner. Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde die Kooperation zwischen ESA und Roskosmos beendet. Die Zeitenwende ist auch eine Zeitenwende für die europäische Raumfahrt.

Als Konsequenz kann Europa vorerst keine weiteren Galileo-Satelliten ins All verbringen. Die Satelliten sollten mit Sojus-Raketen gestartet werden. Dies ist nun nicht mehr möglich. Die in Bremen gefertigten Satelliten für das strategisch wichtige europäische Navigationssatelliten- und Zeitgebungssystem müssen nun eingelagert werden. Auch Partner wie die USA verfügen aktuell über keine freien Raketenkapazitäten. Die sich bereits im All befindlichen Satelliten reichen zudem nicht aus, um das System souverän europäisch zu betreiben.

Noch gravierender ist, dass Europa vorübergehend seinen eigenen Zugang ins All verloren hat. Sollten Satelliten gestört, gehackt oder abgeschossen werden, kann Europa kurzfristig keinen Ersatz mit eigenen Trägerraketen starten. Zum einen ist die Ariane 5 ein Auslaufmodell und wird nicht weiter produziert. Zum anderen kann die kleinere Vega-Rakete nur noch eingeschränkt genutzt werden, weil sie in der Oberstufe ein Triebwerk aus der Ukraine verwendet. Produktion und Ersatzteilversorgung des Triebwerks sind kriegsbedingt unterbrochen. Der Erstflug der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 wurde auf 2023 verschoben. Anders als geplant kann sie die Ariane 5 damit nicht nahtlos ersetzen. Wann der reguläre Flugbetrieb startet, ist offen.


» Raumfahrt trägt dazu bei, das Leben auf der Erde nachhaltiger, digitaler und innovativer zu machen sowie die Wettbewerbsfähigkeit in vielen Bereich zu stärken. «

— Matthias Wachter

Raumfahrt innovativ und nachhaltig nutzen

Gleichzeitig steigt die globale Bedeutung der Kommerzialisierung von Raumfahrt und ihrer zunehmenden Verzahnung mit der Non-Space-Wirtschaft, NewSpace genannt. Im digitalen Zeitalter ist Raumfahrt der Schlüssel für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0, das Internet der Dinge (IoT) oder globale Konnektivität in Echtzeit an jedem Ort der Welt. Gerade für das Hightech- und Industrieland Deutschland ist sie folglich essenziell.

Raumfahrt trägt dazu bei, das Leben auf der Erde nachhaltiger, digitaler und innovativer zu machen sowie die Wettbewerbsfähigkeit in vielen Bereichen zu stärken. Sie leistet wichtige Beiträge für den globalen Umwelt- und Klimaschutz. Satelliten liefern kontinuierlich und über territoriale Grenzen hinweg präzise Daten und Informationen über die Atmosphäre, die Luft- und Wasserqualität oder den Zustand von Böden und Pflanzen. Diese Daten tragen erheblich zum besseren Verständnis des Klimawandels und anderer Umweltphänomene bei und unterstützen wirksame Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz. Laserkommunikation, Cloud Computing und künstliche Intelligenz helfen dabei, Daten und Informationen schneller und effektiver für individuelle Anwendungen und gänzlich neue Geschäftsmodelle zu nutzen. Mit der steigenden Bedeutung von Raumfahrt steigt auch die Gefahr von Angriffen. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss diesen Entwicklungen Rechnung tragen.

Raumfahrt in der Nationalen Sicherheitsstrategie

Erstens, Raumfahrt ist militärisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich sowie im Hinblick auf den Umwelt- und Klimaschutz von strategischer Bedeutung. Raumfahrtgestützte Infrastrukturen und Anwendungen sind die Basis für moderne Informationsgesellschaften. Entsprechend groß sind die Chancen, aber auch Verwundbarkeiten. Raumfahrt sollte deshalb als ein zentrales und querschnittliches Handlungsfeld der Bundesregierung definiert und priorisiert werden. Ein nationaler Weltraumrat nach Vorbild des US-Space Councils sollte zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit und strategischen Planung eingerichtet werden.

Kernpunkte:

  1. Der Krieg gegen die Ukraine verdeutlicht die strategische Bedeutung des Weltraums.
  2. Für Sicherheit, Wirtschaft, Gesellschaft und Klimaschutz ist Raumfahrt längst elementar.
  3. Die gesamte Bundesregierung muss die Raumfahrt als Handlungsfeld priorisieren.

Zweitens, die Kooperation mit Russland in der Raumfahrt ist vorbei. Sie wird auf absehbare Zeit nicht wiederkehren. Europa muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Die Zusammenarbeit mit transatlantischen und like-minded Partnern sollte zudem, auch im Hinblick auf die zunehmende Systemrivalität mit autokratischen Regimen wie China, ausgebaut werden. Deutschland trägt hierbei eine besondere Verantwortung für Europa. Zum einen, weil es über die meisten NewSpace-Unternehmen in der EU verfügt. Zum anderen, weil seine hoheitlichen Systeme auch durch die Streitkräfte der Mitgliedstaaten und weiterer Bündnispartner genutzt werden. Statt in die Zusammenarbeit mit Moskau sollte Deutschland in seine eigenen Köpfe, junge Unternehmen und Fähigkeiten investieren. Notwendig hierfür ist ein Systemwechsel in der europäischen Raumfahrt nach US-Vorbild. EU, ESA und Bundesregierung sollten primär als Kunden agieren und Fähigkeiten bei innovativen Unternehmen einkaufen, statt sie in Eigenregie selbst zu entwickeln. Aufträge sind die marktwirtschaftlichste und effizienteste Form der Förderung und stärken damit die staatliche Handlungsfähigkeit.

Drittens, der Zugang ins All ist der Flaschenhals für die Nutzung des Weltraums. Europa verfügt bisher über nur einen Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana in Südamerika. Zur Erhöhung der Flexibilität und Resilienz werden weitere Startmöglichkeiten in EU-Kontinentaleuropa benötigt. Dies ist auch im Hinblick auf kurzfristige Starts erforderlich. Um innerhalb kürzester Zeit flexible Nutzlasten und Ersatzsysteme bei Ausfällen ins All verbringen zu können, ist der Aufbau einer sogenannten Responsive-Space-Fähigkeit notwendig. Deutschland verfügt mit verschiedenen kommerziellen Trägersystemen und einer von der Industrie initiierten schwimmenden Startplattform für kleine Trägerraketen in der Nordsee über alle notwendigen Voraussetzungen für die Realisierung. Die Bundesregierung sollte eine Responsive-Space-Fähigkeit deshalb federführend in und für Europa aufbauen und für UN‑, EU- und NATO-Missionen einbringen.


Matthias Wachter

Abteilungsleiter für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) & Geschäftsführer, deutsche NewSpace-Initiative

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