Für eine generationengerechte Außenpolitik: Junge Menschen in der Nationalen Sicherheitsstrategie
(YOUNGO@UNFCCC via Flickr)
Die Politik nimmt Kinder und Jugendliche immer noch vorrangig als passive Bevölkerungsgruppe wahr. Mit der Sicherheitsstrategie hat Deutschland die Chance, das zu ändern und junge wie kommende Generationen systematisch besser zu beteiligen.
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat einen massiven blinden Fleck: die Belange junger Menschen und zukünftiger Generationen. Im Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 wird von Jugend nur im Zusammenhang mit Radikalisierungsprävention gesprochen, ebenso in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern”, in denen die internationale Agenda zu Youth, Peace and Security (YPS) lediglich im Referenzrahmen erwähnt wird. Und in der Jugendstrategie der Bundesregierung finden sich auf 168 Seiten lediglich vier Absätze, die sich mit internationaler Politik beschäftigen.
Wenn man auf die strategische Ebene deutscher Außen- und Sicherheitspolitik blickt, ist klar: Junge und ungeborene Menschen werden bisher kaum beachtet – und wenn sie vorkommen, dann wird meist über sie gesprochen anstatt mit ihnen. Junge Menschen werden von der Politik immer noch vorwiegend als passive Bevölkerungsgruppe wahrgenommen und beschrieben statt sie als die sehr diversen, aktiven und handlungsfähigen Akteur:innen zu begreifen, die sie sind – und sie entsprechend in Politikplanungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Während innerhalb des UN-Systems umfassende Maßnahmen zur besseren Jugendbeteiligung, wie beispielsweise ein UN Youth Office analog zu UN Women, diskutiert und umgesetzt werden, scheinen solche Überlegungen in der aktuellen Debatte zur deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie kaum vorzukommen oder gar realisiert zu werden – von den Interessen zukünftiger Generationen ganz zu schweigen. Dabei erkannte der UN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 2250 zu Jugend, Frieden und Sicherheit bereits 2015 erstmals die wichtige Rolle junger Menschen bei Bearbeitung von Konflikten, der Erhaltung und Förderung von Sicherheit und von internationalem Frieden an.
» Wenn man auf die strategische Ebene deutscher Außen- und Sicherheitspolitik blickt, ist klar: Junge und ungeborene Menschen werden bisher kaum beachtet – und wenn sie vorkommen, dann wird meist über sie gesprochen anstatt mit ihnen. «
Es ist ein Menschenrecht junger Generationen, sich politisch beteiligen zu können. Aber darüber hinaus verschiebt eine institutionalisierte Einbeziehung junger Menschen auch den Fokus der Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt: weg von einer Politik, die junge Menschen vor allem als Betroffene sieht, und hin zu einer Perspektive, die Jugendliche als politisch handelnde Akteur:innen versteht. Eine solche Politik zielt unweigerlich auch darauf ab, dass die Lebensgrundlagen aller heute und zukünftig auf der Erde lebenden Menschen geschützt werden, dass keine Kosten in die Zukunft verlagert werden und dass alle zukünftig lebenden Menschen mindestens die heute bereits geltenden Rechte voll ausschöpfen können.
Um Jugendliche besser und systematischer in die Gestaltung von Außen- und Sicherheitspolitik einzubeziehen, kann und sollte sich Deutschland an international und auch national bereits erprobten Instrumenten und Konzepten orientieren. Auf den deutschen Kontext angepasst können diese Beteiligung nicht nur ermöglichen, sondern nachhaltig sicherstellen und erfolgreich gestalten.
Junge Menschen sind keine homogene Gruppe
So einfach die Forderung nach einer besseren Einbeziehung junger und kommender Generationen in außen- und sicherheitspolitische Belange klingt, so herausfordernd ist es, sie umzusetzen. Junge Menschen, darunter Kinder (also Menschen zwischen 0 und 18 Jahren) und Jugendliche (15 bis 29 Jahre), sind eine höchst heterogene Gruppe. Sie mögen miteinander verbunden sein durch ihr Alter und den damit einhergehenden Mangel an Einflussmöglichkeiten insbesondere auf formelle Politikprozesse – davon abgesehen finden sich junge Menschen jedoch in sehr diversen Lebensrealitäten und Kontexten wieder. Die Interessen kommender Generationen sind noch einmal schwieriger abzubilden, weil sie nicht direkt erfragt werden können und daher vage bleiben oder gar politisch instrumentalisiert werden können. Eindeutige Forderungen dazu, wie Deutschland seine Außen- und Sicherheitspolitik zukünftig ausrichten und umsetzen sollte, lassen sich also nicht so ohne weiteres ableiten.
» Jede Politik, nach innen wie nach außen, sollte von dem Anspruch geleitet sein, Menschen in der Zukunft mindestens die gleichen Rechte und deren vollumfängliche Ausschöpfung zu ermöglichen wie heute. «
Sehr wohl lassen sich allerdings gewisse Rahmenbedingungen formulieren, die eine deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in jedem Fall zu erfüllen hat, wenn sie die Perspektive junger Menschen ernstnehmen will: Sie sollte, erstens, ermöglichen, dass junge und kommende Generationen ihre Grundbedürfnisse befriedigen können und daher, zweitens, darauf hinwirken, dass „irreversible Gefährdungen der Lebensgrundlagen der zukünftigen Menschheit“ unterlassen werden. Das erfordert unter anderem Investitionen in die Resilienz von Ökosystemen, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Ebenso sollte Deutschland Politiken verhindern, die Kosten in die Zukunft verlagern, ohne dort einen Nutzen zu generieren – oder gar Schaden anrichten. Jede Politik, nach innen wie nach außen, sollte von dem Anspruch geleitet sein, Menschen in der Zukunft mindestens die gleichen Rechte und deren vollumfängliche Ausschöpfung zu ermöglichen wie heute.
Kernpunkte:
- Die Sicherheitsstrategie sollte die Voraussetzungen für eine bessere Beteiligung Jugendlicher an Außen- und Sicherheitspolitik schaffen – indem Ziele die Interessen junger Menschen reflektieren und diese an der Umsetzung der Strategie beteiligt werden.
- Um Sicherheitspolitik generationengerechter zu gestalten, sollte die Bundesregierung auf bereits existierende Institutionen für Jugendpartizipation zurückgreifen und die Rolle einer Ombudsperson für den Schutz der Rechte kommender Generationen schaffen.
- Um reale Zugangsbeschränkungen zum politischen Prozess abzubauen, sollte die Politik Jugendpartizipation auch finanziell stärker fördern.
Beispiel Klimapolitik
Was diese abstrakten Forderungen praktisch bedeuten können, lässt sich in Kürze am Beispiel der Klimasicherheit verdeutlichen. Legt man einen weiten Sicherheitsbegriff – also den der menschlichen Sicherheit wie ihn die Nationale Sicherheitsstrategie ebenfalls befürworten sollte – an, dann stellt die Klimakrise eine der größten, wenn nicht die größte Sicherheitsbedrohung heute und in Zukunft dar. Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik muss darauf hinwirken, die Auswirkungen der Klimakrise, welche heutige junge und zukünftige Generationen am stärksten und längsten zu spüren bekommen werden, konsequent einzuhegen und den Klimawandel durch die Umsetzung (inter)nationaler Klimaschutzpläne wie des Pariser Klimaabkommens und des darin vereinbarten 1,5‑Grad-Ziels zu entschleunigen. Dafür müssen Treibhausgasemissionen radikal reduziert werden. Gleichzeitig dürfen klimapolitische Entscheidungen nicht auf Kosten der Klimagerechtigkeit oder „zu Lasten ärmerer Regionen und künftiger Generationen“ oder junger Menschen gehen.
Auch eine nachhaltige Energiesicherheit, eine gerechte Rohstoffverteilung bei gleichzeitigem Schutz der Menschenrechte und eine mit Leben gefüllte Bildungsagenda für nachhaltige Entwicklung sind Bestandteile einer Politik, die Verantwortung für das Klima übernimmt und die Interessen kommender Generationen berücksichtigt, indem sie die Kosten in der Zukunft verringert. Eine Außen- und Sicherheitspolitik, welche die Interessen junger und kommender Generationen abbildet, stoppt allerdings nicht bei der Klimapolitik. Die Krise des internationalen Abrüstungsregimes – insbesondere in Bezug auf Nuklearwaffen – ist nur eine weitere Entwicklung, deren Auswirkungen besonders junge und künftige Generationen betreffen werden.
» Damit die Auswirkungen heutiger Politiken auf junge und kommende Generationen überhaupt sichtbar gemacht und die Interessen junger Menschen in der Gestaltung von Politik berücksichtigt werden können, muss die Nationale Sicherheitsstrategie zweierlei leisten: Sie muss ihre Interessen in der Formulierung von Zielen beachten – und junge Menschen müssen an ihrer Umsetzung beteiligt werden. «
Junge Generationen direkt beteiligen
Damit die Auswirkungen heutiger Politiken auf junge und kommende Generationen überhaupt sichtbar gemacht und die Interessen junger Menschen in der Gestaltung von Politik berücksichtigt werden können, muss die Nationale Sicherheitsstrategie zweierlei leisten: Sie muss die Interessen dieser Akteur:innengruppen in der Formulierung von Zielen beachten – und junge Menschen müssen an ihrer Umsetzung beteiligt werden. Das bedeutet: Heute junge Generationen müssen direkt einbezogen werden, kommende Generationen zumindest indirekt.
Durch die Jugendstrategie der Bundesregierung werden Jugendliche bereits an Jugendpolitik beteiligt, beispielsweise über den Beirat des Bundesjugendministeriums. Diese Beteiligung muss allerdings transparenter und ressortübergreifend gestaltet werden, sowohl bezüglich der Auswahl der Teilnehmenden als auch in Bezug auf die tatsächlichen Beteiligungsmöglichkeiten (über reine Stellungnahmen und Empfehlungen hinaus). Weiterhin gibt es bereits nationale Institutionen und Ansprechpersonen zu Jugendpartizipation in internationaler Politik, auf deren Expertise für die Umsetzung der Sicherheitsstrategie zurückgegriffen werden kann. Zu diesen gehören neben dem Deutschen Bundesjugendring, den Landesjugendringen und diversen Jugendverbänden für internationale Politik im Speziellen das Deutsche Nationalkomitee für internationale Jugendpolitik und verschiedene Jugenddelegiertenprogramme. Letztere setzen gewisse Beteiligungsmechanismen bereits um, begeistern junge Menschen für internationale Politik und fördern einen aktiven Dialog dazu. Bekannte internationale Beispiele sind globale Jugendkonferenzen wie die Conference of Youth zu den internationalen Klimakonferenzen, der Youth7 Summit der G7 oder die etablierte Praxis, junge Menschen zu Vertragskonferenzen wie der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag zu entsenden.
Im Sinne einer Sicherheitsstrategie, die Außen- und Innenpolitik zusammendenkt, muss Jugendpartizipation und ‑befähigung zudem auch finanziell stärker gefördert werden. So wichtig es ist, junge Generationen in der Umsetzung der Strategie zu berücksichtigen: die Diversität dieser Gruppe darf dabei nicht vergessen werden. Das bedeutet unter anderem, dass Zugangsbeschränkungen zum politischen Prozess (beispielsweise bedingt durch sozio-ökonomische Umstände oder den Bildungsgrad) aktiv verringert werden sollten.
Künftige Generationen indirekt einbeziehen
Um kommende Generationen in die Politikgestaltung einzubeziehen, braucht es eine indirekte Repräsentation. In Deutschland bereits bestehende Strukturen wie der Parlamentarische Beirat für Nachhaltige Entwicklung sollten dafür genutzt werden. Gleichzeitig sollte ihr Fokus auf Außen- und Sicherheitspolitik erweitert werden: Die weiterentwickelte Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie von 2021 nennt die YPS-Agenda zwar an einer Stelle – das kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Zudem sollte die Bundesregierung eine Institution schaffen, deren Auftrag es ist, die Einhaltung der Rechte künftiger Generationen in der Außen- und Sicherheitspolitik sicherzustellen. Eine solche Ombudsperson, beispielsweise eine Weiterentwicklung des walisischen Kommissars für zukünftige Generationen, müsste mit Kontroll- und Initiativmacht ausgestattet sein. Zudem sollte sie, in enger Zusammenarbeit mit der jungen Zivilgesellschaft, mit Wissenschaftler:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen und mit (jungen) politischen Entscheidungsträger:innen, Ziele erarbeiten, die als verbindliche Leitlinien für eine generationengerechte Außen- und Sicherheitspolitik dienen.
» Junge und kommende Generationen sind qua ihres Alters marginalisiert – oftmals auch mehrfach aufgrund anderer Faktoren wie ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, einer Fluchthistorie oder aufgrund ihres Genders. Es braucht dringend eine bessere Beteiligung, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. «
Junge Menschen systematisch besser beteiligen
Junge und kommende Generationen sind qua ihres Alters marginalisiert – oftmals auch mehrfach aufgrund anderer Faktoren wie ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, einer Fluchthistorie oder aufgrund ihres Genders. In der momentanen Politikgestaltung sind sie zudem unterrepräsentiert. (Die in Deutschland bestehenden Regelungen zum Wahlalter limitieren die Repräsentation und Mitbestimmung junger Menschen zusätzlich.) Es braucht dringend eine bessere Beteiligung, auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die oben skizzierten Instrumente können dafür als Ansatzpunkte dienen.
Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte die Interessen junger Menschen in der Zielgestaltung deutscher Außenpolitik berücksichtigen und sicherheitspolitische Ziele auf ihre Folgen für die Lebensgrundlagen heutiger junger und zukünftiger Generationen hin abklopfen. Nur dann entspricht Deutschland dem Anspruch einer feministischen Außenpolitik, die „alle Stimmen hört“; nur dann wird die Bundesrepublik auch der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie gerecht, die die inklusive Teilhabe junger Menschen „für demokratische und gerechte Gesellschaften” als entscheidend bezeichnet. Beide Gruppen sollten zudem in die Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie einbezogen werden: kommende Generationen indirekt in Gesetzgebungsverfahren oder bei der Verteilung finanzieller Mittel, junge Generationen zusätzlich auch direkt – als Berater:innen und Kritiker:innen, aber auch als die aktiven Mitgestalter:innen und Friedensstifter:innen, die sie bereits sind.
Henrike Ilka
Masterstudentin, Internationale Friedens- und Konfliktforschung & International Affairs, Goethe-Universität Frankfurt & Sciences Po Paris
Vivienne Kobel
Masterstudentin, Internationale Friedens- und Konfliktforschung & International Affairs, Goethe-Universität Frankfurt & Sciences Po Paris
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