Rüstungsexporte gehen uns alle an: Die Nationale Sicherheitsstrategie und ein Rüstungsexportkontrollgesetz müssen das widerspiegeln
(Andreas Wolochow /Shutterstock)
Waffenlieferungen haben eine legitime Funktion in staatlicher Sicherheitspolitik. Genau deshalb ist es so wichtig, die Entscheidungen über Waffenlieferungen partizipativer und transparenter zu strukturieren.
Die intensive gesellschaftliche Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine macht deutlich, dass Rüstungsexportpolitik Sicherheitspolitik ist. Intensiv wurde deutschlandweit diskutiert, ob solche Waffenlieferungen unserer eigenen Sicherheit und jener der Ukrainer:innen dienlich oder abträglich sind. Meist jedoch bleibt eine solche offene Debatte über deutsche Rüstungslieferungen aus. Das muss sich ändern. Die Nationale Sicherheitsstrategie kann in Kombination mit einem Rüstungsexportkontrollgesetz dazu beitragen.
Vier Leitlinien für Rüstungsexporte für die Nationale Sicherheitsstrategie
Außenministerin Annalena Baerbock bekannte sich in ihrer Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung der Nationalen Sicherheitsstrategie zu dem Leitgedanken eines weiten Verständnisses menschlicher Sicherheit und einem partizipativen Ansatz. Außen- und Sicherheitspolitik sei eben nicht nur ein „Austausch zwischen Hauptstädten, zwischen Ministern und Ministerinnen (…), sondern zwischen Menschen.“ Ziel sei „menschliche Sicherheit“ und die „Freiheit jedes einzelnen Menschen – bei uns und weltweit.“
» Eine Sicherheitsstrategie, welche die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt, ohne die nationale Sicherheit zu vernachlässigen, sollte klare Leitlinien für den Export von Rüstungsgütern vorgeben. «
Wenn die Nationale Sicherheitsstrategie diesem Sicherheitsverständnis entsprechen will, muss sie sich zwingend auch mit Fragen von Rüstungsexporten befassen. Waffen und Rüstungsgüter haben legitime Funktionen im Rahmen staatlicher Sicherheitspolitik, insbesondere zur Selbstverteidigung gegen Aggression beziehungsweise zu deren Abschreckung. Gleichzeitig können sie aber auch zu externer Aggression und interner Repression benutzt werden. Eine Sicherheitsstrategie, welche die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt, ohne die nationale Sicherheit zu vernachlässigen, sollte dementsprechend klare Leitlinien für den Export von Rüstungsgütern vorgeben. Wir schlagen vier solcher Leitlinien vor. Die Reihenfolge der Leitlinien stellt keinesfalls eine Hierarchie zwischen diesen dar.
Die ersten beiden Leitlinien folgen dem Imperativ staatlicher Sicherheit.
Erstens: Verbündete Staaten sollen Rüstungsexporte erhalten.
Zweitens: Staaten, von denen eine Bedrohung für unsere Freiheit und Sicherheit oder für die Freiheit und Sicherheit unserer Verbündeten ausgeht, sollen keine Rüstungsexporte erhalten.
Die Leitlinien drei und vier folgen dem Imperativ menschlicher Sicherheit, insbesondere in den Empfängerländern und deren Nachbarländern.
Drittens: Staaten, die die Sicherheit und Freiheit von Menschen mit Gewalt einschränken oder bedrohen, sollen keine Rüstungsexporte erhalten.
Viertens: Staaten, die die Sicherheit und Freiheit von Menschen schützen, unter Umständen auch mit der Anwendung oder Androhung von Gewalt, sollen Rüstungsexporte erhalten.
Es lässt sich argumentieren, dass Waffenlieferungen an die Ukraine im Einklang mit diesen Leitlinien sind. Denn sie unterstützen die Selbstverteidigung der Ukraine und tragen gleichzeitig dazu bei, Menschenleben zu retten, indem sie helfen, den russischen Angriff zurückzudrängen. Aber natürlich können diese Leitlinien auch in Widerspruch zueinander geraten. Denken wir beispielsweise an den Fall der Rüstungsexporte an die Türkei. Ein verbündeter NATO-Staat, dessen Regierung Gewalt zur internen Repression und zu völkerrechtswidrigen Angriffen in Nord-Syrien und im Nord-Irak nutzt. Im konkreten Fall ist die Sachlage immer komplizierter, als hier dargestellt. Eine Nationale Sicherheitsstrategie kann deshalb auch nicht politische Einzelfallentscheidungen vorwegnehmen – auch nicht mit einem Demokratiekriterium, so sinnvoll der Grundgedanke ist. Aber sie kann ihnen mit diesen vier Leitlinien einen Rahmen geben.
Das gegenwärtige System zur Rüstungsexportkontrolle ist das Gegenteil partizipativer Sicherheitspolitik
Eine Verankerung von Exportgrundsätzen in der Sicherheitsstrategie allein wird jedoch nicht ausreichen, um die Exportpolitik an sicherheitspolitische Imperative zu binden. Hierfür sind auch strukturelle Veränderungen nötig. Anknüpfend an ihr Verständnis von Sicherheit als menschliche Sicherheit stellte Außenministerin Baerbock in ihrer Rede ebenfalls klar, dass Entscheidungen über Sicherheit „eben nicht nur im Auswärtigen Amt oder im Verteidigungsministerium getroffen, sondern auch in Unternehmen, in Kommunen und in Universitäten“. Das gegenwärtige System zur Rüstungsexportkontrolle ist das exakte Gegenteil. Es gibt verschiedene Regelwerke wie das Kriegswaffenkontrollgesetz oder den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten, die bestimmte Entscheidungskriterien vorgeben (zum Beispiel die Menschenrechtssituation). Letztendlich aber obliegt es allein der Bundesregierung diese Kriterien im Einzelfall zu prüfen und dann zu entscheiden. In letzter Instanz entscheidet der Bundessicherheitsrat – ein geheim tagender Kabinettsausschuss unter Vorsitz des Bundeskanzlers – über besonders bedeutsame oder umstrittene Rüstungsexporte.
» Wir brauchen dringend ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das die Bundesregierung zu mehr Transparenz und einer besseren sicherheitspolitischen Begründung ihrer Rüstungsexportpolitik verpflichtet. «
Seit 2015 unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag über die Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrats. Da dieser jedoch nur über sehr wenige Fälle entscheidet, erfahren Parlamentarier:innen sowie Öffentlichkeit in den allermeisten Fällen nicht einmal, welche Rüstungsgüter überhaupt exportiert werden – von einer Begründung ganz zu schweigen. Auch die halbjährlichen Rüstungsexportberichte der Bundesregierung geben darüber kaum Auskunft.
Stellen wir uns einmal vor, die Bundesregierung hätte die Frage nach Waffenlieferungen für die Ukraine kurz nach dem 24. Februar 2022 folgendermaßen beantwortet: „Ob Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, haben wir entschieden. Wie diese Entscheidung ausgefallen ist, erfahren Sie vermutlich irgendwann im Herbst. Um welche Waffen es geht und wie wir zu unseren Entscheidungen gelangt sind, sagen wir nicht.“ Ein solcher Mangel an Transparenz, den in Bezug auf die Ukraine wohl nur wenige akzeptiert hätten, ist jedoch in Bezug auf andere Fälle gängige Praxis. Das macht es zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Opposition sehr schwer eine kritische und zugleich faire Bewertung der Einzelfallentscheidungen der Bundesregierung vorzunehmen. Für einen Politikbereich, der uns alle betrifft, ein unhaltbarer Zustand.
Ein Rüstungsexportkontrollgesetz für inklusivere und bessere sicherheitspolitische Debatten
Deshalb brauchen wir dringend ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das die Bundesregierung zu mehr Transparenz und einer besseren sicherheitspolitischen Begründung ihrer Rüstungsexportpolitik verpflichtet. Ein solches Gesetz wird schon seit längerem von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen gefordert – von den Kirchen bis zu Greenpeace. Die Bundesregierung hat nun einen Entwurf für die Eckpunkte zu einem Gesetzentwurf vorgelegt. Dieses enthält sinnvolle Neuerungen, geht aber nicht weit genug. Drei Punkt wären wichtig:
Ein solches Rüstungsexportkontrollgesetz sollte nahtlos an die Nationale Sicherheitsstrategie anschließen und verbindliche Regeln schaffen, um künftige Rüstungsexporte einem Imperativ der Sicherheits- und Außenpolitik zu unterstellen. Praktisch sollte das so aussehen, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung für umstrittene Rüstungsexporte gegenüber dem Bundestag in öffentlicher Sitzung begründen muss. Sie muss dabei darlegen, inwiefern dieser Export den Imperativen staatlicher und menschlicher Sicherheit entspricht beziehungsweise wie sie zwischen diesen beiden Imperativen abgewogen hat. Rein ökonomische Begründungen wären nicht ausreichend. Bisher sehen die Eckpunkte eine solche Begründungspflicht nur für Ausfuhren von Kriegswaffen in Drittländer vor und klammern dadurch das Gros der deutschen Rüstungsausfuhren aus.
Kernpunkte:
- Das gegenwärtige System zur Rüstungsexportkontrolle ist das Gegenteil partizipativer Sicherheitspolitik. Die Nationale Sicherheitsstrategie kann in Kombination mit einem Rüstungsexportkontrollgesetz dazu beitragen, dass sich dies ändert.
- Die deutsche Rüstungsexportpolitik sollte sich den Imperativen der staatlichen und menschlichen Sicherheit unterstellen. Sicherheitspolitische Abwägungen müssen dabei Vorrang gegenüber ökonomischen Überlegungen haben.
- Rüstungsexporte sollten an Verbündete gehen und an Länder, die die Sicherheit und Freiheit von Menschen schützen. Staaten, die unsere Freiheit und Sicherheit oder die unserer Verbündeten und eigenen Bürger:innen bedrohen, dürfen keine Waffenlieferungen erhalten.
- Die Verankerung eines Verbandsklagerechts im Rüstungsexportkontrollgesetz ist notwendig.
Sicherheitspolitisch ist es zum Beispiel kaum nachvollziehbar, dass Exporte an Länder wie Saudi-Arabien erfolgen. Einem Staat, der an einem Krieg im Nachbarland Jemen beteiligt ist und mit seinen Angriffen auf zivile Ziele klar gegen das Völkerrecht und damit auch gegen die internationale, regelbasierte Ordnung verstößt. Zwar wenden Befürworter:innen von Rüstungsexporten an Drittstaaten wie Saudi-Arabien oder Ägypten immer wieder ein, dass solche Exporte nötig seien, um die hohen Entwicklungskosten von Waffensystemen zu refinanzieren und ihre Produktion wirtschaftlich rentabel zu machen. Vor allem im Rahmen von europäischen Gemeinschaftsprojekten dürfen deshalb die deutschen Regeln Exporte an Drittstaaten nicht behindern, so etwa Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in ihrer Grundsatzrede. Doch es ist genau dieses Denken unter ökonomischem Imperativ, das eine außen- und sicherheitspolitische Neuausrichtung der Rüstungsexportpolitik verhindert. Die Nationale Sicherheitsstrategie und das Rüstungsexportkontrollgesetz sollten helfen, diese Argumentation umzudrehen und der Frage welche Rüstungsexporte sicherheitspolitisch sinnvoll sind, Vorrang gegenüber ökonomischen Überlegungen einräumen. Statt Rüstungsexportbeschränkungen zu senken, um europäische Rüstungskooperation zu fördern, sollten potenzielle Einsparungen in Folge dieser genutzt werden, Exporte an problematische Drittstaaten überflüssig zu machen oder komplett zu unterbinden. Gerade hier jedoch, bleiben die Eckpunkte weit hinter den Erwartungen zurück, da sie für Gemeinschaftsprojekte keine restriktiven Regeln anlegen.
» Sicherheitspolitisch ist es kaum nachvollziehbar, dass Exporte an Länder wie Saudi-Arabien erfolgen. Einem Staat, der an einem Krieg im Nachbarland Jemen beteiligt ist und mit seinen Angriffen auf zivile Ziele klar gegen das Völkerrecht und damit auch gegen die internationale, regelbasierte Ordnung verstößt. «
Ausgehend vom Grundsatz, Sicherheit als menschliche Sicherheit und damit als Kollektivgut zu verstehen, halten wir es für unabdingbar, betroffenen Menschen in Deutschland und weltweit die Möglichkeit zu geben, eben jenes einzuklagen. Analog zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) ist deshalb auch die Verankerung eines Verbandsklagerechts im Rüstungsexportkontrollgesetz notwendig. Das würde deutschen und gegebenenfalls international anerkannten, gemeinwohlorientierten Verbänden die Möglichkeit geben, Rüstungsexportentscheidungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Das wäre kein Veto-Recht oder ein Eingriff in die Entscheidungshoheit der Bundesregierung. Aber es würde die Rechtsstaatlichkeit des Regierungshandeln stärken, indem eine Möglichkeit geschaffen wird gerichtlich zu prüfen, ob und inwieweit sich die Regierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten an existierende Gesetze und Regelungen hält. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass Verbandsklagen ein nützliches, teilweise gar notwendiges Instrument darstellen, um kollektive Rechte effektiv umzusetzen; insbesondere dort, wo die Interessen mächtiger Unternehmen diesen entgegenstehen. Bisher ist ein solches Instrument in den Eckpunkten jedoch nicht vorgesehen. Ein Rüstungsexportkontrollgesetz ohne Verbandsklagerecht wird jedoch hinter den Ansprüchen eines in der Nationalen Sicherheitsstrategie zu verankernden Konzepts menschlicher Sicherheit als Kollektivrecht zurückbleiben.
Markus Bayer
Senior Researcher, Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC)
Max Mutschler
Senior Researcher, Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC)
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