Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte festlegen, dass deutsche Rüstungsgüter nur in Demokratien exportiert werden
Wann und an wen sollte Deutschland Waffen und andere Rüstungsgüter liefern können? Im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Debatte, wie deutsche Rüstungsexportkontrolle kalibriert werden sollte, neu aufgeflammt.
Pro
» Die Maxime ist notwendig – aber sie ist nicht hinreichend. «
Professorin am Institut für Geschichtswissenschaft & Leiterin der Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen
Waffenlieferungen sind der heikelste Teil der Außenpolitik. Mit Waffen werden Staaten außen- und innenpolitisch gestärkt und gegebenenfalls vor dem Zusammenbruch, vor Aufständen oder Revolutionen bewahrt oder dazu befähigt, diese blutig niederzuschlagen. Sie beeinflussen regionale Kräfteverhältnisse zwischen Staaten, aktivieren Abschreckungsmechanismen oder verfestigen diese. Nicht zuletzt: Sie entscheiden Kriege. Zwar behaupten Staaten und Potentaten stets, Waffen nur zur Selbstverteidigung zu brauchen – der ganze Kalte Krieg war auch von dem Streit getragen, ob die nukleare Aufrüstung nur der Abschreckung und Verteidigung diente (was sowohl die NATO also auch die Warschauer-Pakt-Staaten behaupteten), oder aber als Angriffsmittel in Stellung gebracht wurde (wie sich NATO und Warschauer Pakt gegenseitig vorwarfen). Fakt ist aber, dass eine Waffe zu jedem Zweck eingesetzt werden kann. „Defensivwaffen“, die nicht auch als Offensivwaffen genutzt werden können, gibt es nicht.
Gerade aufgrund der mit dieser Einsicht verbundenen Verantwortung und der potentiell verheerenden Wirkung von Waffen muss Deutschland jede Entscheidung, Waffenlieferungen an andere Staaten zu genehmigen, als Einzelfall prüfen und als außenpolitischen Akt werten. Interessen der Wirtschaft und Rüstungsindustrie dürfen hier nicht im Vordergrund stehen. Waffenlieferungen auf dem Level von Handels- und nicht von Außenbeziehungen zu diskutieren, hieße, sie zu banalisieren und sich dieser Verantwortung zu entziehen.
Gerade weil Waffen todbringend sind, muss jede Entscheidung eine Einzelentscheidung sein, die nicht schematisch erfolgt. Daher sollte zu jeder Ausfuhr in ein Land A ein Expert:innengremium zusammengerufen werden, in dem entsprechende Länderfachleute versammelt sind: Militärs, Historiker:innen und Politikwissenschaftler:innen, die aus Kultur, Geschichte und Gegenwart einerseits auf die tatsächliche Verwendung der Waffen und andererseits auf die gegebene Gefährdungslage des Landes schließen können.
Als Grundlage für ihre Beratung brauchen sie ein außenpolitisches Leitbild und Maximen, die die Bundesregierung mit der Nationalen Sicherheitsstrategie vorgeben muss. Ziel sollte sein, eine robuste friedensgeleitete Außenpolitik zu vertreten, die den Einsatz von Waffen nur dort deckt und unterstützt, wo er eindeutig der Selbstverteidigung und Abschreckung dient – dann aber umso entschiedener. Die Maxime, dass Waffen nur an Demokratien, die in der Regel keine anderen Staaten überfallen, geliefert werden sollen, ist notwendig – aber sie ist nicht hinreichend. Sie sollte mindestens um eine zweite ergänzt werden: Das bisherige Diktum, dass deutsche Waffen nicht in Krisengebiete exportiert werden sollen, muss in der Form abgeändert werden, dass all jene mit Waffen unterstützt werden können, denen offenbar ein völkerrechtswidriger Überfall droht oder die bereits völkerrechtswidrig überfallen wurden, sodass sie dringend Waffen zur weiteren Abschreckung und Selbstverteidigung benötigen.
Das aktuelle Beispiel der Ukraine lehrt, dass nicht nur jedes Land, das Waffenlieferungen anfragt, individuell eingeschätzt werden muss, sondern auch dessen (potenzieller) Aggressor. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete „Zeitenwende“ umfasst hoffentlich genau auch diese Einsicht: dass die Staatsoberhäupter dieser Welt nicht alle nach denselben Maximen und Logiken operieren und dass daher in bestimmten Fällen Waffenlieferungen eine Situation nicht anheizen, sondern stabilisieren können. Das ist dann der Fall, wenn der Aggressor denkt – wie es bei Putin offenbar der Fall war – er überfalle ein Land, das wenig wehrfähig ist und nur begrenzt auf internationale Unterstützung hoffen kann. Waffenlieferungen bedeuten daher nicht nur ein Mehr an tödlicher Kampfkraft. Sie sind auch Teil einer Sprache der Stärke, die für manche Potentaten das einzige Medium ist, das sie verstehen. Mit Waffenlieferungen sendet die Bundesregierung damit auch nicht zu unterschätzende symbolische Signale hinsichtlich der politischen Unterstützung und militärischen Stärkung, die ein Partnerland in Zukunft noch erwarten kann.
Pro
» Die Förderung menschlicher Sicherheit als Imperativ deutscher Rüstungsexporte festschreiben. «
Warum macht das Kriterium Demokratie bei Waffenexporten Sinn?
Nach dem Theorem des Demokratischen Friedens sind Demokratien gegenüber anderen Demokratien friedlicher, als Autokratien es sind. Sie führen jedoch häufiger Krieg mit Autokratien. Als Demokratie sollten wir daher grundsätzlich aus Selbstschutz und zum Schutz befreundeter Demokratien keine Waffen an autokratische Länder liefern. Hinzu kommt, dass Demokratien in der Regel auch nach innen weniger repressiv sind. Deshalb stellen Rüstungsexporte an demokratische Empfängerländer meist keine Gefahr für die menschliche Sicherheit dar. Zuletzt kann die Bevölkerung in Demokratien Einfluss auf die Staatsausgaben nehmen. Die Militärausgaben werden dadurch mit anderen, die menschliche Sicherheit betreffenden Ausgaben, wie etwa im Gesundheitsbereich oder zur Katastrophenvorsorge, in Balance gehalten. Dies ist in Autokratien nicht der Fall. Daher macht die Überlegung, Rüstungsgüter nur in Demokratien zu exportieren, grundsätzlich Sinn. Durch den Gemeinsamen Standpunkt der EU für Rüstungsexporte ist diese Regel bereits ansatzweise implementiert. Dieser schreibt vor, dass unter anderem geprüft werden muss, ob ein eindeutiges Risiko besteht, dass die geplanten Exporte zur internen Repression oder für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verwendet werden.
Wo reicht die Regel nicht aus?
Das Kriterium Demokratie alleine ist nicht ausreichend, schon weil der Begriff eine breite Varianz an Staaten abdeckt und diese einen politischen Wandel durchlaufen können. Welche Staaten zählen als Demokratie? Ab welchem Zeitpunkt etwa, hätte Russland nicht mehr beliefert werden dürfen? Wie sieht es mit dem NATO-Partner Türkei aus? Solche Folgefragen wären zu beantworten. Ähnliches gilt auch für den kürzlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ins Spiel gebrachten Begriff der „Wertepartner“. Wie bereits erwähnt, sind Demokratien auch nicht grundsätzlich friedlicher, sondern führen nur untereinander weniger Krieg. Das heißt, auch Demokratien können illegale Angriffskriege führen und gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen. Auch kann es Fälle geben, in denen die Empfänger von Rüstungsexporten keine demokratischen Staaten sind, wohl aber einen Beitrag zur menschlichen Sicherheit leisten können (beispielsweise wenn Waffen direkt an UN-Friedensmissionen geliefert werden).
Was dann?
Wie so oft ist die Welt zu komplex, um ihr mit einer Regel gerecht zu werden. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte dem Rechnung tragen und die Förderung menschlicher Sicherheit als Imperativ deutscher Rüstungsexporte festschreiben. Ein solcher Imperativ kann jedoch eine Einzelfallabwägung nicht komplett ersetzen. Es braucht daher, wie wir in unserem Beitrag hier darlegen, ein Rüstungsexportkontrollgesetz, welches bisherige Regeln und Grundsätze kodifiziert und für Transparenz und mehr gesellschaftliche Mitsprache sorgt. Rüstungsgüter nur an Demokratien zu liefern, kann darin ein wichtiger Grundsatz sein – Ausnahmen davon müssten sehr gut und transparent begründet werden. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung auch bei gemeinsamen Rüstungsprojekten mit europäischen Partnern wie Frankreich darauf drängen, dass der Imperativ der menschlichen Sicherheit gilt. Rüstungsexporte an Staaten wie Saudi-Arabien stehen dem diametral entgegen.
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