Posted in Capacity Building at Home: Making Germany’s Defense Fit for the Future
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Gerade in Kriegszeiten ist Rüstungskontrolle und Abrüstung essentiell. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss konkret benennen, wie Deutschland den drohenden Rüstungswettläufen entgegenwirkt.

Eine vorausschauende und global ausgerichtete deutsche Rüstungskontrollpolitik hat enorme sicherheitspolitische Potenziale. Denn: Eine aktive Rüstungskontrollpolitik Deutschlands kann helfen, die Gefahren der weltweiten Aufrüstung und regionaler Rüstungs- und Eskalationsdynamiken zu mindern. Rüstungskontrollpolitische Instrumente müssen jede Vereinbarung über das Ende des Kriegs gegen die Ukraine stützen. Vereinbarungen über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bestimmen Regeln, die den militärischen Missbrauch von dual use-Technologien verhindern können. Abrüstung und Rüstungskontrolle mindern schon jetzt menschliches Leid in anderen Weltregionen. Abrüstung kann dazu beitragen, das vorherrschende und im Krieg gegen die Ukraine zunehmend unberechenbare Abschreckungsparadigma zu überwinden. Eine engagierte Rüstungskontrollpolitik fügt sich dann in die feministische Außenpolitik der Bundesregierung, wenn sie partizipativ und restriktiv angelegt ist und negative Folgen von Aufrüstung und Krieg besonders für Frauen und marginalisierte Gruppen reduziert.

Um diese sicherheitspolitischen Potenziale auszuschöpfen, sollte die Nationale Sicherheitsstrategie Eckpunkte einer eigenständigen deutschen Rüstungskontrollpolitik beschreiben. Drei Prinzipien können eine solche Politik anleiten.

Kernpunkte:

  1. Eine inhaltlich umfassende, vorausschauende, restriktive und partizipative Rüstungskontrollpolitik Deutschlands kann helfen, die Gefahren der weltweiten Aufrüstung und regionaler Rüstungs- und Eskalationsdynamiken zu mindern.
  2. Deutschland muss die Erosion wichtiger Rüstungskontrollverträge, etwa dem New START-Vertrag, der Oslo- und Ottawa-Konvention, verhindern und darauf hinwirken, bestehende Rüstungskontrollnormen nachzuschärfen. 
  3. Im Bereich Cyberspace und autonome Waffensysteme muss die Bundesregierung klarmachen, dass sie bereit wäre, militärischen Verzicht zu üben.
  4. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte die genderspezifischen Folgen rüstungspolitischer Programme und Waffensysteme in den Blick nehmen.

Eine umfassend kooperative Rüstungssteuerung

Erstens sollte die Bundesregierung Bemühungen um die kooperative Rüstungssteuerung inhaltlich umfassend anlegen. Dabei gilt es vorrangig, der Erosion wichtiger Rüstungskontrollverträge entgegenzuwirken und neue Initiativen zu entwickeln, auch wenn der russische Angriffskrieg dies erschwert hat.

Die Beseitigung der Fähigkeit zu militärischen Überraschungsangriffen aller europäischen Staaten bleibt ein wichtiges Element, um die militärische Lage nach dem Krieg gegen die Ukraine zu stabilisieren. Ein Nachfolgeabkommen für den 2026 auslaufenden New START-Vertrag würde einen nuklearen Rüstungswettlauf im strategischen Nuklearbereich verhindern. Deutschland kann die Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen Russland und den USA befördern, indem es klarmacht, dass eine Reduzierung der übergroßen Nuklearwaffenbestände im europäischen Interesse ist.

Es lohnt sich aber, den Blick über die klassische Rüstungskontrolle hinaus zu weiten. Seit den 1990er Jahren finden Staaten des globalen Südens, wie Südafrika oder Mexiko aber auch europäische Abrüstungsbefürworter wie Irland oder Norwegen, angesichts des Stillstand bei der gleichgewichtsorientierten Rüstungskontrolle kreative und wirksame Antworten. Besonders in der humanitären Rüstungskontrolle gab es Fortschritte. Dabei stehen nicht mehr (nur) Probleme der strategischen Stabilität zwischen konkurrierenden Staaten im Zentrum, sondern ebenso die menschlichen Folgen von Waffen und deren Einsatz.


» Abschreckung allein ist mit zu hohen Risiken behaftet, wenn sie nicht in Rüstungskontrolle eingebunden wird. «

Die Übereinkommen über die weltweite Ächtung von Antipersonenminen (Ottawa-Konvention) von 1999 und das Übereinkommen über Streumunition (Oslo-Übereinkommen) von 2010 ächten und verbieten besonders grausame Waffen, etablieren und stärken Standards für akzeptables Verhalten, die selbst im Krieg gültig sind. Beide Abkommen handelten jene Staaten, die an Fortschritten in der humanitären Rüstungskontrolle interessiert waren, aus. Sie umgingen damit bewusst das Veto der Großmächte in konsensorientierten Foren wie der Genfer Abrüstungskonferenz. Eine Wirkung entfalten solche Verträge aber auch auf jene Staaten, die den Verhandlungen und Verträgen (zunächst) fernblieben. So haben die USA, obwohl sie der Ottawa-Konvention nicht beitreten, erst im Juni 2022 erklärt, dass sie wichtige Prinzipien des Vertrags umsetzen werden. 

Die Bundesregierung sollte daher an diesen Abkommen nicht nur weiter mitwirken, sondern neue Normen prägen, zum Beispiel zu Explosivwaffen in dicht bewohnten Gebieten und zu autonomen Waffensystemen. Dies gilt auch für den Güterkreis kleiner und leichter Waffen einschließlich deren Munition. Hier kann die Regierung auf bestehende Rüstungskontrollnormen und ‑aktivitäten aufbauen, die international jedoch Nachschärfungen und anhaltendes Engagement verlangen.

Eine globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik

Zweitens sollte die deutsche Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik global angelegt sein. Die aufstrebende Weltmacht China steht dabei im Fokus. Beijing rüstet auf, vor allem weil es sich in einem Großmachtkonflikt mit den USA sieht. Die Möglichkeiten Deutschlands und Europas, China zu einer Teilnahme an stabilitätsorientierter Rüstungskontrolle zu bewegen, sind daher begrenzt.


» Die rüstungskontrollpolitischen Motivlagen von Ländern des Globalen Südens müssen ernstgenommen werden, wenn Rüstungskontrolle global wirken soll. «

Da sich die rüstungskontrollpolitischen Diskussion auf den Konflikt zwischen den Großmächten fokussiert, geraten wichtige Weltregionen, die aus deutscher Sicht wichtige Partner sein können, aus dem Blick. Die rüstungskontrollpolitischen Motivlagen von Ländern des Globalen Südens müssen ernstgenommen werden, wenn Rüstungskontrolle global wirken soll. Schwellenmächte wie Brasilien, Indien oder Südafrika engagieren sich in multilateralen Regimen, allerdings oft aus anderen Gründen als Staaten des euro-atlantischen Raums.

So sehen sich viele Länder des Globalen Südens nicht nur durch die Aufrüstung der Großmächte, sondern auch durch natürliche und menschengemachte Katastrophen bedroht. Moderne Rüstungskontrollabkommen können diese Sicherheitsbedrohungen – die auch die Staaten des Nordens betreffen – durchaus adressieren. Das Biowaffenübereinkommen ist eine Plattform für Programme zur Biosicherheit und die Mitglieder des Chemiewaffenübereinkommens diskutieren Maßnahmen zur Verringerung des Risikos durch Terroranschläge mit Chemiewaffen. Hier hilft Deutschland bereits und sollte sein Engagement verstärken. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die geplante deutsche Hilfe für Opfer von Atomwaffenprogrammen und die Sanierung der durch Atomwaffenaktivitäten geschädigten Umwelt. Beides ist im Atomwaffenverbotsvertrag verankert.

Eine vorausschauende Rüstungskontrollpolitik

Drittens sollte die deutsche Rüstungskontrollpolitik vorausschauend angelegt sein. Das Auswärtige Amt unterstützt beispielsweise Bemühungen, Rüstungskontrolle übergreifend dort neu zu denken, wo es um die Begrenzung bei neuen Technologien geht. Aber Regulierungen von Operationen im Cyberspace oder der Entwicklung von Verhaltenskodizes für den Einsatz von autonomen Waffensystemen dürfen nicht lediglich Anderen Zurückhaltung auferlegen. Sie müssen klarmachen, in welchen Bereichen Deutschland bereit wäre, militärischen Verzicht zu üben. Neu geschaffene Lernräume, zum Beispiel in Form von universitären Bildungsangeboten für zukünftige Entwickler:innen, können eine präventiv ausgerichtete, abrüstungsorientierte Politik unterstützen.

Abrüstung und Rüstungskontrolle in der Nationalen Sicherheitsstrategie

Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte daher Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht nur als komplementär zu Abschreckung und Verteidigung“ beschreiben. Die Strategie kann konkrete Ziele einer eigenständigen Rüstungskontrollpolitik benennen und skizzieren, wie Deutschland diese erreichen will. 

Abschreckung allein ist mit zu hohen Risiken behaftet, wenn sie nicht in Rüstungskontrolle eingebunden wird. Dies wird wichtig, wenn der Krieg gegen die Ukraine endet. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte umreißen, wie nukleare Risikoreduzierung, Vertrauensbildung und Transparenz dazu beitragen, den mit hoher Wahrscheinlichkeit fortbestehenden Konflikt zwischen NATO und Russland zu managen. 

Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte zudem den Weg für systematisches und verpflichtendes Mainstreaming rüstungskontrollpolitischer Folgeabwägungen in die militärische Beschaffung bereiten. Dies passiert bereits punktuell, etwa im Rahmen einer Expert:innen-Arbeitsgruppe zur verantwortlichen Nutzung neuer Technologien in einem Future Combat Air System. Besonders wichtig ist eine solche Vorausschau bei Entscheidungen über neue Raketenabwehrsysteme, denn solche Waffen haben bereits in der Vergangenheit Rüstungswettläufe befeuert. Ein derartiges Mainstreaming sollte auch die genderspezifischen Folgen rüstungspolitischer Programme und Waffensysteme konsistent und kontinuierlich in den Blick nehmen.

Deutschland ist auf Grund seiner Wirtschaftskraft besonders gefordert, abrüstungspolitische Initiativen und Abkommen finanziell zu unterstützen. Ein deutscher Beirat für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung (analog zum Beirat für zivile Krisenprävention) wäre ein zentraler Fixpunkt und könnte bei diesen Fragen unabhängig beraten, wie eine solche Unterstützung konsistent und effektiv ausgestaltet werden kann.


» Deutschland ist auf Grund seiner Wirtschaftskraft besonders gefordert, abrüstungspolitische Initiativen und Abkommen finanziell zu unterstützen. «

Weiterhin sollte die Sicherheitsstrategie den Weg zu einer wirklich restriktiven Rüstungsexportpolitik weisen. Diese sollte auf dem Prinzip beruhen, keine Waffen und Munition an Staaten zu liefern, die die Sicherheit und Freiheit von Menschen – besonders von marginalisierten Akteur:innen – mit Gewalt einschränken oder bedrohen. So kann Deutschland einen konkreten Beitrag dazu leisten, Vertrauen in bindende Abkommen wie den Vertrag über den Waffenhandel zu stärken. Dafür muss die Bundesregierung aber konkrete Schritte unternehmen und ihr Rüstungsexportkontrollregime überarbeiten. Risiken, dass Empfängerstaaten von Rüstungsgütern geschlechtsspezifische Gewalt anwenden oder erleichtern, sollten adäquat Beachtung finden. Auch braucht es verbindliche menschenrechtliche Folgeabschätzungen bei Exporten von Kleinwaffen in Mitgliedsstaaten der NATO, EU und NATO gleichgestellte Länder. 

Schließlich sollte die Nationale Sicherheitsstrategie feststellen, dass die Partner Deutschlands und Europas für eine restriktive und vorausschauende Abrüstungspolitik nicht nur im Kreis der Verbündeten zu finden sind. Es wird angesichts der russischen Aggression wichtig bleiben, konsensorientiert den Bündniszusammenhalt zu stärken. Das erfordert vermutlich auch, manche rüstungspolitische Entscheidung noch zu tolerieren, die den hier skizzierten Grundlagen nicht gerecht wird. Aber der Zusammenhalt von NATO und EU muss auch dafür genutzt werden, Rüstungskontrolle voranzubringen. Insbesondere die EU kann dazu beitragen, indem etwa der EU-Verteidigungsfonds nur dann neue Rüstungsprojekte fördert, wenn solche Investitionen durch parallele rüstungskontrollpolitische Initiativen begleitet werden. 

Und durch die Teilnahme als Beobachter am Treffen der Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrags hat Deutschland bereits dokumentiert, dass es weiterhin Brücken zwischen Nord und Süd bauen will. Daran gilt es anzuknüpfen, gerade in der humanitären Rüstungskontrolle. Dann wären Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung nicht länger nur abhängige Variablen verteidigungspolitischer Entscheidungen, sondern eigenständige sicherheitspolitische Instrumente Deutschlands.


Oliver Meier

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)

Michael Brzoska

Senior Research Fellow, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und Associate Senior Fellow, Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)

Anna-Katharina Ferl

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

Sascha Hach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

Markus Bayer

Senior Researcher, Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC)

Max Mutschler

Senior Researcher, Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC)

Berenike Prem

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interkulturelle und Internationalen Studien (InIIS) an der Universität Bremen

Thomas Reinhold

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC), TU Darmstadt

Stefka Schmid

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC), TU Darmstadt

Matthias Schwarz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

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