„Friedensmediation beginnt nicht erst, wenn Erdogan mit Putin und Selenskyj am Tisch sitzt"
Gerade in Kriegszeiten ist Mediation ein wichtiges Instrument. Es gibt unausgeschöpftes Potenzial.
Im russischen Krieg gegen die Ukraine haben sich zahlreiche Mediatoren angeboten – Kronprinz Mohammed bin Salman, Recep Erdogan, anfangs auch Emmanuel Macron und Olaf Scholz. Bisher ohne Erfolg – der Krieg hält an. In welcher Phase eines Konflikts ist Mediation sinnvoll und kann auf eine Befriedung hinwirken?
Grundsätzlich gilt für ein Mediationsverfahren: Die Konfliktparteien müssen es wollen. Dafür müssten beide Seiten und ihre Alliierten den Status quo als zu kostspielig einschätzen und Verhandlung unter Vermittlung als Ausweg sehen. Sie müssten sich außerdem auf eine:n Mediator:in einigen. Die Konfliktparteien müssen dieser Person vertrauen. Außerdem braucht der Mediator oder die Mediatorin ausreichend politisches Gewicht und Anreize, um Putin und Selenskyj für einen längeren Zeitraum am Verhandlungstisch zu halten. Von der ersten Voraussetzung sind wir deutlich entfernt: Russland würde zwar möglicherweise einem Waffenstillstand zustimmen, aber vor allem, um die Mobilisierung voranzutreiben. Die Ukraine zielt auf die Rückeroberung von besetzten Gebieten ab. Beide Regierungen setzen also derzeit noch auf militärisches Handeln, weil sie sich dadurch Gewinne versprechen.
Zur Frage der Vermittler:innen: Für den Getreidedeal war Erdogan gemeinsam mit den Vereinten Nationen (VN) offenbar der Richtige. Ob er ein umfassendes Friedensabkommen vermitteln könnte, würde auch davon abhängen, ob und wie lange sich Erdogans Eigeninteressen auf Dauer gleichermaßen mit den russischen und ukrainischen Interessen vertragen. Und wie diese die türkischen bilateralen Unterstützungen und Zugehörigkeiten zu Bündnissen der jeweils anderen Seite werten. In der einen Waagschale liegen dann zum Beispiel die türkische NATO-Mitgliedschaft, die Unterstützung der Krim-Tartar:innen und bilaterale wirtschaftliche Beziehungen zwischen Türkei und Ukraine. In der anderen der weitgehende Verzicht auf Sanktionen und Investitionen wie in die TurkStream Pipeline, die die Türkei zu einem Partner Russlands macht. Auch die internationale Gemeinschaft müsste die Türkei als Vermittler wollen. Um von Mediation im eigentlichen Sinne sprechen zu können, müsste zudem auf die Vorgabe konkreter Verhandlungsergebnisse im Mandat verzichtet werden – was zum Beispiel bei VN-Sicherheitsratsmandaten in der Regel nicht so einfach ist.
Friedensmediation beginnt aber nicht erst, wenn Erdogan mit Putin und Selenskyj am Tisch sitzt. Auch die Phasen vor offiziellen Verhandlungen und die Arbeit auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen sind wichtig. Vielen offiziellen Verhandlungen geht ein langer informeller Dialog- und Annäherungsprozess zwischen Personen unterhalb der Regierungsebene voraus. Ein prominentes Beispiel aus der Geschichte sind die Vorgespräche zu den Oslo-Verhandlungen zwischen Israel und der PLO 1992, die israelische Akademikerinnen begannen. Auch die Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC wurden erst dann in einen offiziellen Prozess überführt, als das Risiko des Scheiterns an Kernfragen bereits deutlich minimiert war. Häufig leiten diesen Vor-Prozess Vermittler:innen, die nicht im Rampenlicht stehen oder nicht-staatliche Mediator:innen.
Warum ist diese Vorphase sinnvoll und warum lassen sich Konfliktparteien darauf ein? Für Mediator:innen ist diese Phase wichtig, um die jeweiligen Interessen der Parteien herauszuarbeiten, zu planen, wer zu welchem Thema einbezogen werden muss und um Vertrauen in den Prozess aufzubauen. Für Konfliktparteien sprechen unter anderem folgende Gründe für diese Vorphase: Es ist einfacher, aus einem nicht-offiziellen Prozess ohne Gesichtsverlust wieder auszusteigen, wenn Ziele absehbar nicht erreicht werden. Es ist außerdem sinnvoll, sich die Interessen und Argumente der Gegenseite anzuhören, um abschätzen zu können, wo man bei einem offiziellen Prozess im Ergebnis landen könnte. Drittens ist es häufig einfacher, sich zunächst auf informelle Mediator:innen einzulassen, denen die Konfliktparteien weniger den eigenen entgegenstehende Interessen unterstellen. Deshalb ist es auch in der jetzigen Phase sehr sinnvoll, informelle, regierungsnahe Kanäle zur Ukraine und nach Russland aufzubauen. Nicht zuletzt, um die Personen auf beiden Seiten zu identifizieren, die sich für Verhandlungen einsetzen und um den Moment abzupassen, wenn die Konfliktparteien bereit sind, in einen offiziellen Friedensprozess einzusteigen.
Bezüglich der Mediationsarbeit auf anderen gesellschaftlichen Ebenen (Tracks): Würden internationale Mediationsorganisationen Ukrainer:innen und Russ:innen im Moment nach ihrem Interesse fragen, an Dialogprojekten zur Wiederherstellung von Vertrauen oder vorsichtiger Annäherung in großem Stil teilzunehmen, bekäme man sicherlich eine deutliche Absage. Derzeit wird anderes benötigt. Grundsätzlich können Dialogprozesse zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren, zwischen regionalen Ebenen oder auf lokale Themen gerichtete Mediation politische Prozesse aber vorbereiten oder begleiten, Vertrauen fördern, weitere Eskalation verhindern und Versöhnung einleiten. Wenn politisch alles andere blockiert ist, sind dies häufig die einzigen Kanäle, auf denen Annäherung geschieht und Informationen ausgetauscht werden, siehe Jemen. Und: Wenn sich Traumata, der militärischen Mobilisierung dienende Narrative und gegenseitige Schuldzuweisungen erst einmal festsetzen, ist das Risiko hoch, dass Spannungen lange anhalten und es immer wieder zu Eskalationen kommt. Unabdingbar ist bei diesen Ansätzen, die Interessen, das Wissen und die Fachkompetenz der Betroffenen einzubeziehen und sie nicht mit gut gemeinten Initiativen zu überhäufen. Beispielsweise gibt es in der Ukraine eine Vielzahl gut ausgebildeter Mediator:innen, mit denen Dialogansätze durchdacht werden könnten.
Kernpunkte:
- Auch in der jetzigen Phase des Krieges ist es sehr sinnvoll, informelle, regierungsnahe Kanäle zur Ukraine und nach Russland aufzubauen.
- Insbesondere die Phasen vor offiziellen Verhandlungen sind wichtig für eine erfolgreiche Mediation. Ziele dabei sind die Interessen der Parteien herauszuarbeiten, relevante Akteure zu identifizieren und Vertrauen in den Prozess aufzubauen.
- Für effektivere Investitionen in die Friedensmediation sind mehr Flexibilität und längere Zeiträume für die Mittelvergabe absolut unverzichtbar.
In den letzten Jahren hat die Bundesregierung ihre Kapazitäten für internationale Mediation massiv ausgebaut und sich in diesem Bereich viel vorgenommen. Wie bewerten Sie die bisherige Umsetzung der Ziele und wie kann die Bundesregierung nachsteuern?
Das stimmt, das Auswärtige Amt hat die Friedensmediation seit 2014 stark ausgebaut. Dem Ministerium steht Budget für die Unterstützung von Mediationsprozessen sowie ein Fachteam zur Verfügung. Bislang wird dabei hauptsächlich in die Mediationsunterstützung multilateraler Organisationen und in Dialogprozesse nicht-staatlicher Organisationen investiert. Was noch nicht ganz zu dieser Investition passt, ist die Personalausstattung und (damit verbunden) die zur Verfügung stehende Zeit, sich in die methodischen Finessen dieses Instruments einzuarbeiten. Einen Mediations- oder Dialogprozess Dritter zu begleiten, kann zeitintensiv sein.
In komplexen Fällen müssen Konfliktanalysen häufig abgeglichen und Formate abgestimmt werden. Im Sinne einer feministischen Außenpolitik kann es zum Beispiel darum gehen, gemeinsam Frauen zu identifizieren, die als Verhandlerinnen über Wissen, Schlüsselfunktionen und Netzwerke zum Gelingen von Friedensabkommen oder Dialogprozessen beitragen können. Manche Friedensmediationsansätze müssen multilateral eingebettet oder mit anderen Instrumenten (militärischem Engagement, Stabilisierung oder Entwicklungszusammenarbeit) in Einklang gebracht werden. Eine bessere Personalausstattung von Botschaften in Ländern, wo ein Mediationsprozess unterstützt werden soll, würde sicherlich zu noch besserer Nutzung dieses Instruments beitragen.
Nicht ausgeschöpftes Potenzial – auch mit Blick auf Sicherheitsfragen – liegt auch in den vielschichtigen Zugängen und Netzwerken, auf die nicht-staatliche Mediationsorganisationen zurückgreifen können. Vertrauensvolle Zugänge zu Akteuren außerhalb von Botschaftskontakten liefern wichtige Informationen und Einschätzungen, die nicht nur für nachhaltige Friedensabkommen wichtig sind, sondern auch einen strategischen Wert haben. Man sollte darüber nachdenken, diese im Falle von Zusammenarbeit stärker zu nutzen und beispielsweise in bestehende Analyseprozesse einfließen zu lassen.
Dass das geltende Haushaltsrecht nicht geeignet ist, Friedensprozesse zu unterstützen, wurde schon häufig angemerkt. Für eine gelungene Investition in die Friedensmediation sind mehr Flexibilität und längere Zeiträume für die Mittelvergabe absolut unverzichtbar. Bürokratische Hürden und administrative Kleinteiligkeit riskieren Friedensinitiativen anstatt sie zu fördern.
» Insgesamt würde ich mir wünschen, dass sich Deutschland noch häufiger und risikofreudiger selbst als Vermittler anbietet und dabei auch selbstbewusst politisches Gewicht einbringt. «
Die deutsche Außenpolitik trat lange international als ‚Zivilmacht‘ auf, die sich für diplomatische Konfliktbearbeitungsstrategien einsetzt. Ist Deutschland angesichts der wachsenden globalen Systemrivalität, Investitionen in militärische Mittel und stärkerer politischer Positionierung als neutraler Vermittler noch glaubwürdig? Sind weitere Investitionen in Mediation sinnvoll?
Zur ersten Frage: Ob Deutschland glaubwürdig ist, sollten alleine die betreffenden Konfliktparteien entscheiden – aber auch wirklich sie und nicht multi- oder bilaterale Partner. Aus meiner Beobachtung kann es für diese manchmal entscheidend sein, was sie sich von einem Vermittler versprechen – etwa Investitionen, siehe Türkei. Für welche Werte Deutschland steht und auf welcher Seite innerhalb der Systemrivalität – das dürfte allen klar sein. Insofern wäre meine Antwort: Es bedarf einer sehr umfassenden Analyse, wie willkommen Deutschland ist. Außerdem müssen Vermittler:innen nicht nur überprüfen, aus welchen Gründen sie eingeladen werden, sondern auch, ob diese ausreichen, einen Prozess nicht nur zu starten, sondern auch aufrechtzuerhalten. Hierbei spielen auch multilaterale Logiken und Verpflichtungen eine Rolle. Wenn etwa absehbar wäre, dass Deutschland EU-Sanktionsentscheidungen mittragen oder sich an einem Militäreinsatz beteiligen wird, könnte es sein, dass eine Mediatorenrolle – und manchmal sogar auch die Rolle als Mediationsunterstützer – seitens der Konfliktparteien nicht dauerhaft akzeptiert würde und man sie deshalb lieber von vornherein ausschließt.
Der Bundesregierung sollte in jedem Fall klar sein, dass sich die klassische Haupt-Mediatorenrolle nicht eignet, um darüber Demokratie, Frauen- oder Menschenrechte nachhaltig in einem Land durchzusetzen. Hierfür sind gegebenenfalls andere Instrumente wie etwa Demokratisierungsinitiativen oder auch die Rechtsstaatsförderung geeigneter.
Insgesamt würde ich mir wünschen, dass sich Deutschland unter Berücksichtigung oben genannter Kriterien noch häufiger und risikofreudiger selbst als Vermittler anbietet und dabei auch selbstbewusst politisches Gewicht einbringt.
Zur zweiten Frage: Mediation kann Konflikte befrieden, friedliche Lösungen vorbereiten und regionale Konflikte eindämmen. Dialogformate können helfen, die besten Lösungen für die Gesellschaften eines Landes aufzuzeigen – was die Chance für langfristige Befriedung deutlich steigert. Investition in Mediation ist daher angesichts der vielen Konflikte weltweit, auch mit Blick auf die Auswirkungen der nun offen ausgetragenen Systemrivalität und absehbarer noch stärkerer Blockaden politischer Prozesse zwingender und dringender denn je.
Julia von Dobeneck
Mediatorin, Mitgründerin des Women Peace Mediators Germany Netzwerks (WPM)
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