Die Notwendigkeit feministischer Cyberpolitik
Solange es Diskriminierung und Gewalt in der offline-Welt gibt, sind rein technische Lösungen für Konflikte im Cyberraum undenkbar. Deshalb brauchen wir eine feministische Cyberpolitik, die Menschen und strukturelle Ungleichheiten in den Fokus nimmt.
Das Internet birgt für Demokratien weltweit große Chancen, denn es stärkt die politische Teilhabe und den Austausch zwischen Akteuren der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik. Gleichzeitig ist der Cyberraum inzwischen Teil der modernen Kriegsführung geworden: Sowohl staatliche Regime als auch nichtstaatliche Akteure nutzen Cyberoperationen für Spionage, Erpressung und Sabotage. Der Cyberraum hat keine nationalen Grenzen, die Zuordnung von Operationen zu den Angreifenden ist weiterhin schwierig und wir suchen noch immer nach Antworten auf erfolgreiche Hacks. Umso wichtiger ist es, dass Cyberpolitik in der Nationalen Sicherheitsstrategie eine zentrale Rolle spielt. Der monetäre Schaden durch Cyberoperationen in Deutschland lag 2022 bei 203 Milliarden Euro. Nicht berechnet sind dabei die persönlichen Schäden, denn Viren und Wipern wirken sich nicht nur auf Computersysteme aus, sondern vor allem auf Menschen.
Feministischen Blick auf strukturelle Ungleichheiten richten
Die Nationale Sicherheitsstrategie birgt eine zentrale Chance, Cyberpolitik aus Sicht der feministischen Außenpolitik zu gestalten. Feministische Außenpolitik ist Friedenspolitik, die anstrebt, strukturelle Ungleichheiten nachhaltig zu beseitigen. Ihre Umsetzung im Bereich der Cyberpolitik hat das große Potenzial, weltweit zu mehr Sicherheit und Gerechtigkeit beizutragen. Bisher wird über Regulierung des Cyberraums generell sehr abstrakt gesprochen. Etwa in der US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie, in der steht, der Cyberspace sei als solches zu „sichern“. Menschen und ihre unterschiedlichen Lebensrealitäten spielen in dem Strategiepapier eine untergeordnete Rolle. Obwohl diese die Konsequenzen von Cyberbedrohungen – zum Beispiel Erpressung, öffentliche Diffamierung, Hass oder Unsicherheit der kritischen Infrastruktur – durchleben. Die Gefahren und Unsicherheiten im Cyberraum sind nicht von der ‚offline‘-Welt zu trennen. Letztlich sind es Menschen, die den Cyberraum erschaffen und gemeinsam nutzen. Ihre Rechte auf Privatsphäre und der Schutz vor Fremdeinwirkung sollten in der Cyberpolitik im Fokus stehen. Es kann daher auch keine rein technischen Lösungen für Konflikte und Unsicherheiten im Cyberraum geben, solange Diskriminierung, Unterdrückung und Kriege offline existieren. Eine feministische Perspektive macht vorhandene Machtstrukturen und Unterdrückungsmechanismen sichtbar, und rückt Bedürfnisse und Interessen von marginalisierten Gruppen ins Zentrum. So können Strategien formuliert werden, die strukturelle Ungleichheiten nachhaltig beseitigen.
Weil im digitalen Raum innere und äußere Sicherheit nicht trennbar sind, muss Cyberpolitik diese Bereiche zusammengedenken. Eine feministische Perspektive fördert diesen Netzwerkansatz, nach welchem Sicherheit im digitalen Raum nur ressortübergreifend, international und gemeinschaftlich bearbeitet werden kann. Besonders relevant für die Nationale Sicherheitsstrategie sind die Teilbereiche Cyberdiplomatie und Cyberverteidigung. Für beide ist ein feministisches Fundament klar von Vorteil.
Das feministische Fundament legen
Cyberpolitik muss verschiedene gruppenspezifische Bedrohungslagen besser abfedern. Denn Menschen sind aufgrund von Merkmalen, wie Geschlecht, Herkunft oder Bildungsgrad, unterschiedlich von Gewalt und anderen Gefahren im Cyberraum betroffen. Frauen, LGBTIQ und andere marginalisierte Gruppen erfahren online genauso wie offline gender- und gruppenspezifischen Hass und Desinformation, da beide Räume nicht voneinander zu trennen sind. So wurden durch die Kampagne ‚Ghostwriter‘ vor allem polnische Politikerinnen durch gefälschte sexualisierte Inhalte diffamiert und mussten schließlich sogar zurücktreten. Dieses Beispiel zeigt, dass Misogynie und Frauenhass durch den Cyberspace neue Dimensionen erlangen. Daher sollten Gender- und gruppenspezifische Desinformationskampagnen und digitale Gewalt in der Nationalen Sicherheitsstrategie Beachtung finden und sich in konkrete Policy zu Bildung‑, Schutz- und Repräsentationsmaßnahmen übersetzen. Beide eignen sich auch als Frühwarnindikatoren, da sich eine Intensivierung von digitalen Hassbotschaften gegenüber Individuen oder Gruppen in Gewalt im physischen Raum umwandeln kann. Diese Zusammenhänge zwischen Gewalt im Netz und außerhalb müssen gesehen und entsprechende Gegenmaßnahmen definiert werden, die beide Ebenen miteinander verbinden.
» Die Zusammenhänge zwischen Gewalt im Netz und außerhalb müssen gesehen und entsprechende Gegenmaßnahmen definiert werden. «
Auch für die Kapazitätsbildung in der Cyberpolitik ist eine feministische Sichtweise sinnvoll: Global sind Frauen von digitalen Gefahren oft stärker betroffen, weil ein geringerer Anteil in MINT-Fächern ausgebildet ist und mehr Männer in Cybersicherheit arbeiten. Etwa 15 – 20% von Berufstätigen in der Informations- und Kommunikationstechnologiebranche sind Frauen. Somit erkennen Frauen Sicherheitsbedrohungen oft schlechter als Männer, da sie nicht ausreichend dafür sensibilisiert sind. Anstatt Nutzer:innen als schwächsten Link in der Cybersicherheit zu sehen, lohnt es sich, Ressourcen in digitale Bildung zu investieren und so strukturell benachteiligte Gruppen als Mitgestalter:innen einzubeziehen.
Sich einer defensiven und resilienten Cyberverteidigung verpflichten
Cyberverteidigung bezieht sich bisher insbesondere auf den Schutz kritischer Infrastruktur auf nationaler und internationaler Ebene. Eine feministische Grundlage für Cyberpolitik dagegen identifiziert menschliche Sicherheit als primäres Sicherheitsziel. In der Praxis bedeutet dies eine Cyberpolitik, welche kritische digitale Infrastruktur menschenzentriert und nicht nur auf Grundlage von Sicherheitsinteressen des Nationalstaats oder privater Unternehmen definiert. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte daher einen verbesserten Schutz von lebenswichtigen Orten wie Krankenhäusern, Schulen oder Frauenhäusern in Deutschland fordern. Denn aktuell sind insbesondere öffentliche Stellen durch schlechte Schutzausstattung von Cyberoperationen bedroht. Der Ausbau der inländischen digitalen Infrastruktur wäre ein wichtiger Beitrag zur weltweiten Förderung eines freien und sicheren Netzes. Schließlich ist die digitale Infrastruktur global verteilt und miteinander verbunden. Cyberbedrohungen haben daher immer globale Konsequenzen. Ein resilientes Netz in Deutschland macht also alle Menschen sicherer.
» Cyberbedrohungen haben immer globale Konsequenzen. Ein resilientes Netz in Deutschland macht also alle Menschen sicherer. «
Neben der erhöhten Sicherheit der physischen Struktur des Internets zielt eine feministische Cyberpolitik auf digitale Abrüstung ab, die auch Menschen in den Mittelpunkt stellt: Aufgrund der Beschaffenheit von digitaler Infrastruktur können jegliche offensive Cyberoperationen unvorhersehbare Schäden anrichten und menschliches Leid verursachen. So ist es bei den viel diskutierten Hackbacks beispielsweise oft unklar, wen eine solche offensive Maßnahme konkret trifft und welche Sekundärschäden dadurch entstehen. Stattdessen kann eine Förderung von Defensivmaßnahmen die digitale Resilienz erhöhen: Beispielsweise durch Verpflichtungen zu Sicherheit im Design, Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen und eine Förderung von Zwei-Faktor-Authentifizierung. Um nicht zur Militarisierung des Cyberraums beizutragen, sollte sich die Bundesregierung daher zu einer rein defensiven Cyberverteidigung in der Nationalen Sicherheitsstrategie verpflichten.
Demokratische Cyberdiplomatie voranbringen
In der Cyberdiplomatie hat sich Deutschland zur Einhaltung der Normen für verantwortliches Staatenverhalten der Vereinten Nationen verpflichtet und unterstützt die vertrauensbildenden Maßnahmen für mehr Cybersicherheit im Rahmen der OSZE, der EU, im Europarat, der G7 und G20. Dieses Engagement sollte durch die Nationale Sicherheitsstrategie mit einem klaren Bekenntnis zum demokratischen Internet und zur digitalen Freiheit von Menschen erweitert werden – insbesondere im Umgang mit autoritären Regimen. Die aktuellen Ereignisse im Iran zeigen deutlich, wie wichtig digitale Infrastruktur für den feministischen Einsatz für Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte ist. Daher sollte sich die Bundesregierung auch klar gegen den Einsatz von Netzsperren positionieren und eine menschenzentrierte Cyberdiplomatie auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie festlegen. Darüber hinaus sollte sich Deutschland aktiv für die Umsetzung der Normen einsetzen und so durch ein positives Beispiel die Weiterentwicklung von friedensstiftenden Maßnahmen, auch in Konfliktzeiten, voranbringen.
» Die Bundesregierung sollte sich klar gegen den Einsatz von Netzsperren positionieren und eine menschenzentrierte Cyberdiplomatie auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie festlegen. «
Auch der Einsatz von Überwachungssoftware schränkt die Freiheit im Cyberspace enorm ein und nimmt weltweit rasant zu. Der Einsatz von Pegasus ist nur eines von vielen Beispielen wie Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen und Oppositionelle von staatlichen Akteuren überwacht und dadurch unterdrückt werden. Insbesondere für Frauen und marginalisierte Gruppen kann diese Überwachung gefährlich werden. Auch Deutschland setzt solche Spyware ein, trotz des Engagements in der Cyberdiplomatie. Um Frauen- und Menschenrechte digital zu schützen, sollte sich die Bundesregierung in der Nationalen Sicherheitsstrategie grundsätzlich gegen die Entwicklung, den Einsatz und den Export von Überwachungstechnologie aussprechen.
Auch die cyberdiplomatischen Verhandlungen sind mit einem Frauenanteil von durchschnittlich 20%-40% überwiegend männlich geprägt. Die deutsche digitale Außenpolitik sollte sich für Parität einsetzen. Ziel ist es dabei, nicht nur quantitativ mehr Frauen an die Verhandlungstische zu setzen. Eine Vielfalt von Menschen sollte beteiligt werden, insbesondere solche, die die Perspektiven von strukturell benachteiligten Gruppen einbringen und damit eine gerechtere Politik voranbringen können. Um dies zu gewährleisten, ist es wichtig, dass die Nationale Sicherheitsstrategie eine stärkere Beteiligung der (feministischen) digitalen Zivilgesellschaft an politischen Prozessen sicherstellt.
Für eine nachhaltigere Cyberpolitik
Darüber hinaus sollten mit staatlichen Mitteln zukünftig nur technologische Entwicklungen unterstützt werden, die ressourcenschonend sind. In der Auftaktrede zur Nationalen Sicherheitsstrategie von Annalena Baerbock wurde die Klimakrise als die sicherheitspolitische Frage unserer Zeit bezeichnet. Bezogen auf Cyberpolitik bedeutet das, auch die Produktion und Nutzung von Hardware und Software kritischer zu hinterfragen. Der riesige Energieverbrauch von Rechenzentren beschleunigt den Klimawandel. Ebenso verschmutzt der Abbau von mineralischen Bodenschätzen für die Herstellung von elektronischen Geräten vor allem Landschaften im Globalen Süden, während dort nur ein geringer Teil der Gesellschaft davon profitiert. Nicht selten passiert der Abbau in sogenannten Konflikt- und Krisenregionen, in denen Menschen generell in großer Unsicherheit leben. In der Nationalen Sicherheitsstrategie müssen daher faire Handelsbeziehungen und eine ambitionierte Klimapolitik eine große Rolle spielen.
Kernpunkte:
- Feministische Cyberpolitik bedeutet, den Schutz von Menschen und ihrer Privatsphäre in den Fokus zu nehmen.
- Um nicht zur Militarisierung des Cyberraums beizutragen, sollte sich die Bundesregierung zu einer rein defensiven Cyberverteidigung verpflichten.
- Die Bundesregierung sollte sich grundsätzlich gegen die Entwicklung, den Einsatz und den Export von Überwachungstechnologie aussprechen.
Zusammenfassend braucht es feministische Cyberpolitik, um Sicherheit ganzheitlich zu erhöhen und um Menschen beim Schutz vor digitalen Bedrohungen in den Fokus zu stellen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist die Bedrohung durch Cyberoperationen mehr ins Zentrum gerückt. Gerade jetzt brauchen wir einen erweiterten Sicherheitsbegriff, welcher neue Perspektiven auf die Lösungsfindung im digitalen Raum ermöglicht.
Jennifer Menninger
Geschäftsführerin, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit.
Veronika Datzer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutscher Bundestag.
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