Artikel von Doris Fischer

Gibt es eine Zukunft ohne China?

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Chinas Präsident Xi und Bundeskanzler Olaf Scholz (damals Bürgermeister von Hamburg) am Rande des G20-Gipfels in Hamburg 2017. (Lukas Barth/​EPA/​Shutterstock)

In Interdependenz neu denken
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Wer eine neue deutsche Chinapolitik will, muss sich eingestehen: Für kurzfristige Entkopplung sind die wirtschaftlichen Verflechtungen schon zu eng. Und in der langen Frist kann Deutschland nicht „ohne“ China wollen. Es braucht einen Mittelweg.

Die deutsche Politik tut sich derzeit schwer mit der Volksrepublik China. Infrage gestellt werden nicht nur die bis jetzt stetig gewachsenen wirtschaftlichen Verflechtungen der letzten Jahrzehnte, sondern auch die bis zur Coronapandemie engen politischen Kontakte sowie die vielseitig ausgeprägten Formen der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China. Die Gründe sind zahlreich. Sie reichen von Empörung über die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung in der Provinz Xinjiang und die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong über Sorgen um den Status von Taiwan bis hin zu Verärgerung über die Wolf Warrior“-Diplomatie Chinas während der Pandemie und die Verweigerung der chinesischen Regierung, im Krieg gegen die Ukraine Partei gegen Russland zu ergreifen. All dies vermischt sich in Berlin mit der einsetzenden Erkenntnis, dass China eben doch ein Einparteienstaat ist, in dem der Machterhalt der Partei das oberste Ziel ist. 

Nun sind die Faktoren, die diesen Gründen zugrunde liegen, wenig neu. Schon in den 1980er Jahren war China keine blütenreine Demokratie und selbst der Weg dorthin alles andere als vorgezeichnet. Die Vereinigung mit Taiwan – möglichst friedlich, aber zur Not auch anders – ist ein politisches Ziel, das chinesische Kinder seit Jahrzehnten schon im Kindergarten besingen. Und dass China mit wachsender wirtschaftlicher Kraft auch seinen politischen Einfluss in der Welt geltend machen will, sollte eigentlich niemanden überraschen. Als Begründung für die angestrebte Neuausrichtung der deutschen Politik, die sich wohl bald auch in einer neuen China-Strategie niederschlägt, dient deshalb gerne das Argument, dass die frühere Hoffnung auf Wandel durch Handel“ gescheitert sei.

Kernpunkte:

  1. Die engen Verbindungen mit China kurzfristig zurückzufahren wird nicht ohne erhebliche wirtschaftliche und politische Kollateralschäden gehen. Langfristig kann Deutschland keine Zukunft wollen, in der China wirtschaftlich keine bedeutende Rolle mehr spielt.
  2. Deutschland sollte wirtschaftliche wie politische Länderrisiken, beispielsweise gefährliche Abhängigkeiten, stärker berücksichtigen, seine wirtschaftlichen Beziehungen diversifizieren und auf europäischen Zusammenhalt setzen.
  3. Für die Zusammenarbeit mit China und anderen großen und komplexen“ Staaten braucht es mehr Fachkompetenz in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. 

Als jemand, die sich seit nunmehr fast vierzig Jahren mit China befasst, habe ich mit dieser Begründung meine Probleme. Erstens hat der ehemalige Asienbeauftragter der Bundesregierung, Christian Hauswedell, im Rahmen eines Rückblicks mal überzeugend erläutert, dass die Chinapolitik unter den ehemaligen Kanzlern Schmidt, Kohl und Schröder sowie letztlich wohl auch unter Bundeskanzlerin Merkel auf Stabilität durch Handel ausgerichtet gewesen sei. Oder anders formuliert: Ein sich wirtschaftlich positiv entwickelndes China wähnte man allemal und für alle Beteiligten besser als ein armes China, das in Chaos oder Revolution verfällt. Und niemand sollte ernsthaft der Wunschvorstellung aufgesessen sein, Deutschland oder die Aktivitäten einzelner deutscher Unternehmen könnten das politische System in China ändern. An Naivität würde ein solches Ziel nur noch dadurch übertroffen, diesem einen konkreten Zeithorizont anzuheften – nach dem Motto: wenn es bis 2022 nicht funktioniert hat, dann ist das Unterfangen gescheitert.


» Ein sich wirtschaftlich positiv entwickelndes China wähnte man allemal und für alle Beteiligten besser als ein armes China, das in Chaos oder Revolution verfällt. «

— Doris Fischer

Einleuchtender scheint mir, dass sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland in einem anderen entscheidenden Punkt verkalkuliert haben: Die deutsche Wirtschaftspolitik hat allgemein – und in ihrer Interaktion mit China im Speziellen – auf eine Globalisierung gesetzt, in der immer engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, funktionierende Märkte, Arbeitsteilung und Institutionen der globalen Governance“ zu einem friedfertigen Miteinander und Stabilität beitragen. Dafür sind deutsche Bundesregierungen bis zu einem gewissen Grad auch dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder gefolgt. In dieser Idealvorstellung von Globalisierung sind alle daran interessiert, ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen, Kriege zu vermeiden, den Austausch von Gütern und Dienstleistungen über Märkte zu gewährleisten und gewisse Spielregeln des Umgangs miteinander einzuhalten. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China und die Coronakrise haben das Vertrauen in diese Mechanismen angekratzt – und mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist es nachhaltig erschüttert worden. 

Die Verlängerung der Ära Xi Jinping über die zuvor in China üblichen zwei Amtszeiten hinaus und die Inszenierung des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas im Oktober dieses Jahres erscheinen dabei nur noch als Bestätigung der schon eingetretenen Desillusionierung. Plötzlich steht alles auf dem Prüfstand, erscheint die Vorstellung von der friedenstiftenden Globalisierung als naive Träumerei und die vergangene Politik gegenüber China als grundlegend falsch.

Neusausrichtung ja – aber richtig

Wer eine Neuausrichtung der deutschen Zusammenarbeit mit China will, muss sich allerdings zwei Dinge eingestehen. Erstens haben die enge Zusammenarbeit der Vergangenheit und das Vertrauen auf Globalisierung und politisch neutrale Märkte dazu geführt, dass wir ein Zurückfahren der wirtschaftlichen Verbindungen mit China in der kurzen Frist kaum ohne erhebliche ökonomische und politische Kollateralschäden verwirklichen können. Zweitens sollten wir in der langen Frist nicht auf eine Zukunft setzen, in der China für uns keine Rolle mehr spielt. So eine Zukunft könnte nur eintreten, wenn das Land zurück in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit verschwände oder die Welt dauerhaft in zwei Lager zerfiele und China und Deutschland in getrennten Lagern verortet wären. Beides sind keine vielversprechenden Perspektiven. Ein wirtschaftlich bedeutungsloses China kann schon aus ethischen Gründen nicht unser Ziel sein, bedeutete es doch vermutlich Armut für ein Fünftel der Weltbevölkerung. Eine in zwei Lager gespaltene Welt hieße, dass wir in der Bewältigung der aktuellen globalen Krisen versagt hätten. 


» Ein wirtschaftlich bedeutungsloses China kann schon aus ethischen Gründen nicht unser Ziel sein, bedeutete es doch vermutlich Armut für ein Fünftel der Weltbevölkerung. «

— Doris Fischer

Wenn wir in der kurzen Frist nicht ohne China können, weil unsere wirtschaftliche Verflechtung schon zu eng ist, und in der langen Frist nicht ohne China wollen, weil eine Welt ohne“ China einem Versagen der internationalen Beziehungen gleichkäme, dann brauchen wir gute Rezepte für die mittlere Frist. Diese Rezepte sind fast banal, weil sie so offensichtlich sind. Trotzdem haben sie in der Vergangenheit zu wenig Beachtung gefunden.

Erstens: In der internationalen Zusammenarbeit, wirtschaftlich wie politisch, sollte Deutschland Länderrisiken besser berücksichtigen. Hierzu gehört zum einen das Risiko, dass durch zu enge Zusammenarbeit potentiell gefährliche Abhängigkeiten entstehen können. Zum anderen geht auch von der Größe oder Marktmacht eines Landes ein Risiko aus, wenn diese Gewichte strategisch eingesetzt werden können. Angesichts dessen lautet das Zauberwort von gutem Risikomanagement: Diversifizierung.

Zweitens brauchen sowohl funktionierende Zusammenarbeit als auch funktionierender Wettbewerb entsprechende Kompetenz in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, damit naive Vorstellungen keine Blüten treiben und Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden können. Dies gilt für die Zusammenarbeit mit China ebenso wie für die Zusammenarbeit mit anderen großen und komplexen“ Staaten. 


» Das Zauberwort von gutem Risikomanagement lautet: Diversifizierung. «

— Doris Fischer

Drittens: Globalisierung ist keine Einbahnstraße. Deutschland kann nicht erwarten, dass China und andere Länder in den Reigen der großen Wirtschaftsnationen eintreten, ohne selbst Ideen und Interessen mitzubringen, auch unbequeme. Zugleich sollte Globalisierung nicht als Alibi verwendet werden, ethische Grundsätze zu opfern. 

Zu guter Letzt sollten wir nicht vergessen, dass Deutschland im Vergleich zu China in den meisten Dimensionen klein ist. Europäischer Zusammenhalt ist daher geboten – auch wenn dieser mitunter anstrengend sein kann.


Doris Fischer

Wirtschaftswissenschaftlerin, Sinologin & Inhaberin des Lehrstuhls China Business and Economics, Universität Würzburg

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