In Resilienz stärken
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Innere Sicherheit ist ein zentraler Bestandteil nationaler Sicherheit. Um die gesamtgesellschaftliche Resilienz zu erhöhen, müssen zuständige Organisationen verzahnter zusammenarbeiten und niedrigschwelliger Informationen austauschen.

Ein wesentlicher Bestandteil von nationaler Sicherheit ist die Sicherheit im Inneren. Die Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Rechtsstaats, das Sicherheitsbewusstsein der Bevölkerung und die Widerstandsfähigkeit des Staates und der Gesellschaft braucht innere Sicherheit. Nationale Sicherheit verlangt gesellschaftliche und staatliche Resilienz und die entsteht im Inneren. Dementsprechend muss die Nationale Sicherheitsstrategie wesentliche Aspekte und Akteure der inneren Sicherheit mitdenken. Welche Aspekte und Bedrohungen der inneren Sicherheit müssen in der Nationalen Sicherheitsstrategie besondere Berücksichtigung finden und wie lässt sich diesen Gefahren begegnen?

Kernpunkte:

  1. Der Schutz gegen hybride Taktiken erfordert eine Institution, die für alle Bedrohungen dieser Art verantwortlich ist.
  2. Für die effektive Umsetzung des All-Gefahren-Ansatzes muss der Gesetzgeber das Schutzniveau der KRITIS erhöhen und private Betreiber Infrastruktur sowohl digital als auch physisch schützen.
  3. Der Aufbau einer zivilen Reserve oder ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr sind gute Ideen, um mit der Personalknappheit im Zivil- und Katastrophenschutz umzugehen. 
  4. Die Extremismusbekämpfung braucht einen holistischen Ansatz, der präventiv gegen extremistische Strömungen wirkt und Sicherheitsbehörden stärkt. 

Aspekt 1: Hybride Bedrohungen abwehren

Der Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag 2015 und der Sabotageangriff auf die Nordstream-Pipelines im Herbst 2022 zeigen, dass die Anzahl der hybriden Einflussnahmen auf die Bundesrepublik Deutschland weiter zunimmt. Hybride Taktiken sind mittlerweile fester Bestandteil moderner Konfliktszenarien. Akteure setzen auf eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, der Instrumentalisierung von Migration, Cyberattacken, Angriffen auf Kritische Infrastruktur (KRITIS) bis hin zu Propaganda in (sozialen) Medien. Die Eigenschaft der Hybridität umfasst, dass die Bedrohung nicht aus einem für sich alleinstehenden Handlungsstrang erwächst, sondern aus dem Miteinander mehrerer Handlungen entsteht. Die Schwelle liegt dabei unterhalb eines offenen bewaffneten Konflikts. Außerdem ist es schwer, die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Sphäre zu ziehen und die handelnden Akteure eindeutig zu identifizieren. Ziel dieser Methoden und Taktiken ist es, die Bevölkerung zu verunsichern, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Gesellschaften zu destabilisieren. Gerade eine offene, pluralistische und demokratische Gesellschaft – wie die Deutschlands – bietet hierfür eine große Angriffsfläche. Die Politik kann diesen Taktiken durch eine systematische Erfassung der Verwundbarkeiten und die Vorbereitung auf mögliche Einflussnahmen begegnen. Im Falle eines hybriden Angriffs ist sowohl die Fähigkeit schnell den Ausgangszustand wiederherzustellen als auch das Risiko einer erneuten Einflussnahme minimieren zu können, erforderlich. Der Schutz gegen hybride Taktiken erfordert schnelles, flexibles Handeln starker staatlicher Institutionen. Eine der Grundidee des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) entsprechende Einrichtung, die sich für alle hybriden Bedrohungen verantwortlich zeichnet, könnte ein erster Schritt hierfür sein.

Aspekt 2: KRITIS vor Einwirkungen schützen und auf Ausfälle einstellen 

Angriffe auf KRITIS und daraus resultierende Ausfälle etwa der Energie- oder Wasserversorgung können Versorgungsabläufe wesentlich stören und so die innere Sicherheit gefährden. KRITIS sind laut dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) alle Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“. Die Bundesregierung und die deutschen Behörden können die Infrastruktur nicht vollumfänglich schützen und Ausfälle oder Störungen nicht gänzlich verhindern. Zu groß ist beispielsweise das Straßen- und Schienennetz, zu lang sind die Strom- und Wasserleitungen oder Datenkabelverbindungen und zu viele Schwachstellen gibt es in den IT-Systemen. Dennoch muss der Gesetzgeber das Schutzniveau der KRITIS erhöhen und die vorwiegend privaten Betreiber die Infrastruktur sowohl digital als auch physisch bestmöglich schützen. Hierbei müssen sie alle möglichen Einwirkungen berücksichtigen (All-Gefahren-Ansatz). Neben den aktiven Maßnahmen gehört zum Schutz der KRITIS auch die Vorbereitung auf etwaige Störungen und Ausfälle, um mögliche Auswirkungen und Schäden zu mitigieren. Zudem ist der Aufbau von Redundanzen durch die Betreiber der Infrastruktur, in Form von Rückfallebenen oder Parallelsystemen notwendig. Die Vorbereitung auf Störungen und Ausfälle kann eine eingeschränkte Versorgung der Bevölkerung länger kompensieren. Zusätzlich erhöht der Aufbau von Redundanzen die Resilienz der Infrastruktur.


» Silodenken, Kompetenzabgrenzungen oder Befindlichkeiten dürfen gerade in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit keinen Raum haben. «

— Ferdinand Gehringer, Felix Neumann & Amelie Stelzner-Doğan

Aspekt 3: Zivilen und militärischen Schutz zusammendenken 

Die Intensität von Extremwetterereignissen, wie die Flutkatastrophe im Ahrtal oder globale mannigfaltige Krisenphänomene, wie die SARS-CoV‑2 Pandemie, werden zukünftig häufiger auftreten. Auch sie haben das Potenzial die Stabilität des Staates zu gefährden. In der Vergangenheit unterstützte die Bundeswehr den zivilen Sektor vermehrt im Rahmen der Amtshilfe aufgrund knapper personeller und materieller Ressourcen. Um auf diese Situationen besser vorbereitet zu sein, sollten politische Entscheidungsträger:innen Zivilschutz, Katastrophenhilfe und die Landesverteidigung zusammendenken. Mithilfe einer einsatzfähigen Reserve kann die Bundeswehr im Inland mit dem Bevölkerungsschutz zusammenwirken. Hierfür müssen Konzepte aufeinander abgestimmt werden und entsprechende Strukturen und Verhaltensmuster eine effiziente Koordination mit klaren Aufgabenverteilungen sicherstellen. Die Aufstellung des Territorialen Führungskommandos war hierfür ein wichtiger Schritt. Neben einer hinreichenden Finanzierung und Ausstattung erfordert dies auch eine ausreichende Anzahl an Reservistinnen und Reservisten. Der Zivil- und Katastrophenschutz benötigt sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene eine Stärkung der finanziellen und personellen Ressourcen. Dies betrifft die Behörden wie auch die ehrenamtlichen Institutionen, beispielsweise das Technische Hilfswerk. Der Aufbau einer zivilen Reserve oder ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr sind gute Ideen, um mit der Personalknappheit umzugehen. Ebenso bedarf es einer engeren Verzahnung der unterschiedlichen Organisationen und Akteuren auf allen Ebenen – von Feuerwehr, Bundeswehr hin zum Deutschen Roten Kreuz. Hierfür müssen gemeinsame Übungen, öffentlichkeitswirksam und unter Einbeziehung der Gesellschaft, stattfinden. Auch wenn die Hauptaufgabe der Bundeswehr und Reserve die Landes- und Bündnisverteidigung bleibt, können beide mitwirken, den Schutz der Bevölkerung und die Katastrophenhilfe zu verbessern. Denn nur die Verzahnung der zivilen und militärischen Mittel kann das Ziel der gesamtgesellschaftlichen Resilienz erreichen. So wird auch die Bedeutung begreifbar, die jede und jeder einzelne für die Sicherheit unseres Staates trägt. 

Aspekt 4: Gegen Spionage vorgehen 

Die jüngsten Vorwürfe gegen den BND Mitarbeiter Carsten L. verdeutlichen einmal mehr, dass ausländische Nachrichten- und Geheimdienste das Instrument der Spionage auch in Deutschland nutzen. So gab es aufgrund des Tiergartenmords 2019 in diesem Jahr Vermutungen, dass ausländische Geheimdienste Ausbildungsstandorte ukrainischer Soldatinnen und Soldaten in Deutschland ausspähen. Nachrichtendienste agieren vor allem in diplomatischen und amtlich nahestehenden, für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen. Spionageabwehr soll in erster Linie die (illegalen) Aktivitäten fremder Nachrichtendienste aufklären, erschweren und verhindern. Bei der Gegenspionage geht es vor allem darum, Informationen und Erkenntnisse über Strukturen, Methoden, Mittel und Absichten zu erlangen, diese zu sammeln und auszuwerten. Nach Jahren der Unterfinanzierung muss die Bundesregierung die Abwehr von Spionageaktivitäten in Deutschland und die Gegenspionage verschärfen. Um die Aktivitäten fremder Nachrichten- und Geheimdienste abzuwehren, bedarf es eines breiten Bewusstseins und einer entsprechenden Sensibilität im Nachrichtendienst, Verfassungsschutz, in den Ministerien, der behördlichen Verwaltung und auch Stiftungen. Außerdem muss die Regierung ressort‑, ebenen- und länderübergreifende Strukturen für ein gemeinsames Lagebild schaffen. Eine höhere Sensibilität kann so die Resilienz der Akteure festigen.

Aspekt 5: Neuen Extremismus-Phänomenen holistisch entgegentreten 

Während die Zahl politisch und religiös extremistisch motivierter Straftaten im Vergleich zum Vorjahr stagnierte oder leicht sank, verdoppelten sich die Straftaten, die sich keinem Phänomenbereich zuordnen lassen. Ziel der Extremistinnen und Extremisten ist es, den demokratischen Verfassungsstaat und die dessen Grundprinzipien zu beseitigen. Das zunehmende Auftreten von Einzeltäter:innen sowie das Potential der Radikalisierung online stellen die innere Sicherheit derzeit vor große Herausforderungen. Deshalb bedarf es eines holistischen Ansatzes, der nicht nur präventiv gegen extremistischer Strömungen wirkt, sondern gleichermaßen Sicherheitsbehörden stärkt, deren Kommunikationswege vereinfacht und bürokratische Hürden mindert. Zudem müssen der Staat und sozialen Medien, wie META, Twitter oder YouTube, effektivere Regulierungsstrategien festlegen und klassische Medien ihre FactChecking Kapazitäten erweitern. Der Staat sollte außerdem (zivilgesellschaftliche) Angebote unterstützen, die Kurse zum Erkennen von Desinformationen oder Verschwörungserzählungen anbieten. Denn je resilienter jede Einzelne und jeder Einzelne und damit die gesamte Gesellschaft sind, desto schwieriger hat es extremistisches Gedankengut sich zu entfalten.


» Nach Jahren der Unterfinanzierung muss die Bundesregierung die Abwehr von Spionageaktivitäten in Deutschland und die Gegenspionage verschärfen. «

— Ferdinand Gehringer, Felix Neumann & Amelie Stelzner-Doğan

Aspekt 6: Terrorismus aus dem In- und Ausland gemeinsam betrachten 

Trotz Schwächung des Islamischen Staates in Syrien und dem Irak besteht weiterhin die Gefahr von Attentaten durch dessen Anhänger:innen in Deutschland. Auch die Reichsbürger:innen-Razzia im Dezember 2022 und die in Castrop-Rauxel festgenommenen Brüder, die offenbar einen islamistischen Anschlag planten, verdeutlichen die bestehende Gefahr durch rechten und religiös motivierten Terror. Die Reichsbürger:innenszene mit ihren derzeit rund 23.000 Mitgliedern, wovon der Verfassungsschutz etwa fünf Prozent als rechtsextrem einstuft, ist besonders aufgrund ihrer Waffenaffinität gefährlich. Die Tatsache, dass mehrere der genannten festgenommenen Personen auch eine militärische Ausbildung durchliefen, verdeutlicht die Dringlichkeit von aufklärenden Maßnahmen gegen rechtes Gedankengut in deutschen (Sicherheits-) Behörden. Gleichzeitig vergrößern sich islamistische Organisationen wie Boko Haram in Westafrika oder Al-Shabaab in Ostafrika. Eine effektivere Zusammenarbeit deutscher und ausländischer Nachrichtendienste muss hierbei ebenso oberste Priorität haben wie die niedrigschwellige Kooperation und der Informationsaustausch innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden. Da Terrorismus nicht an Ländergrenzen stoppt, muss die innere Sicherheit in diesem Aspekt stets die äußere Komponente integrieren. Widerstandsfähige Strukturen in Deutschland können dabei eine sinnvolle Grundlage für mehr Resilienz auf europäischer und internationaler Ebene darstellen. 

Innere Sicherheit und Resilienz in der Nationalen Sicherheitsstrategie 

Ein wesentlicher Bestandteil der inneren und nationalen Sicherheit ist Resilienz. Sie ist ebenso nationale Verantwortung wie kollektive Verpflichtung. Resilienz entsteht im Inneren, im Inneren einer Gesellschaft, im Inneren staatlicher und rechtsstaatlicher Strukturen sowie im Inneren wirtschaftlicher Einrichtungen. Die politische Aufgabe liegt in der Weichenstellung für den Aufbau und die Stärkung von Resilienz. Eine erhöhte und gestärkte Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung und der staatlichen Institutionen kann die Wirkpotenziale der Bedrohungen vermindern. Dies kann eine abschreckende Wirkung auf Gefährder:innen und Angreifer:innen der inneren Sicherheit haben. Die Idee der Abschreckung lässt sich in gewisser Weise auch auf die gesamtgesellschaftliche Resilienz übertragen. Tritt die beabsichtigte Wirkung aufgrund einer hohen gesamtgesellschaftlichen Resilienz nicht – beziehungsweise nur in abgeschwächter Form – ein, verdeutlicht dies den Angreifenden, dass weitere Einwirkungsversuche zwecklos sind. Diese Aussicht kann abschreckend wirken. 

Neben der Steigerung von Resilienz ist der Austausch von Informationen innerhalb der föderalen Strukturen unerlässlich. Eine schnelle und gesamtheitliche Erfassung von Informationen durch ein allumfassendes, gemeinsames Lagebild kann einen schnellen Austausch der erlangten Informationen ermöglichen. Eine niedrigschwellige Kommunikation ermöglicht, auf die Versuche der Einflussnahme ohne großen Zeitverlust entlang der Zuständigkeiten zu reagieren. Hierfür bedarf es aber eines ressort- und behördenübergreifenden Informationsaustausches auf allen staatlichen Ebenen und sektorübergreifende Kooperationen. Wichtig ist, Zuständigkeiten festzulegen und diese fähigkeitsspezifisch zu verteilen. Silodenken, Kompetenzabgrenzungen oder Befindlichkeiten dürfen gerade in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit keinen Raum haben. Informationsaustausch, ein nationales Lagebild, die Vernetzung der Beteiligten bei klaren Zuständigkeiten und die Steigerung der Resilienz stellen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Nur die gesamte Gesellschaft kann die innere Sicherheit schützen. Diesen Gedanken und die entsprechenden Weichenstellungen hinreichend in die künftigen sicherheitspolitischen Entscheidungen zu implementieren, muss die Nationale Sicherheitsstrategie leisten. 


Ferdinand Gehringer

Referent Innere- und Cybersicherheit, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Felix Neumann

Referent Extremismus- und Terrorismusbekämpfung, Konrad-Adenauer Stiftung e.V.

Amelie Stelzner-Doğan

Referentin Bundeswehr und Gesellschaft, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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