Artikel von Alex Sängerlaub

Die resiliente Informationsgesellschaft in Zeiten digitaler Disruption

In Resilienz stärken
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Deutschland braucht ein resilienteres Informationsökosystem und mehr Nachrichtenkompetenz. Ein probates Mittel gegen Desinformation: der Informiertheit der Gesellschaft. Diese gilt es zu erhöhen.

In welchem Zustand sind Demokratien, deren Öffentlichkeiten von Hass und Desinformation zunehmend zersetzt werden? Sie befinden sich in einem Zustand schleichender Auflösung, in denen sich immer größere Handlungsräume für Populist:innen und Extremist:innen öffnen und immer kleinere für alle anderen politischen Akteure. Ob Trump, Putin, Meloni, Reichsbürger:innen oder die AfD – sie alle sind die Profiteure neuer Möglichkeiten zur Verbreitung von Propaganda und Desinformation, sei es über Social-Media-Kanäle von Twitter bis TikTok. Aber auch der klassischen Medien, die die faktische Welt dem ökonomischen (USA) oder politischen (Russland) Druck opfern. 

Wer eine funktionierende Demokratie will, muss sich zwangsläufig mit dem Funktionieren ihrer Informationsökosysteme auseinandersetzen. Denn deren digitale Transformation hat eine Disruption ausgelöst, die es seit dem Buchdruck nicht mehr gab. Im digitalen Zeitalter – oder besser: im Zeitalter unbeherrschbarer Informationsfluten – müssen wir über Resilienz (= Widerstandsfähigkeit) von Gesellschaften gegenüber Desinformation von innen und außen sprechen. 

Denn Demokratien leben von und mit der Informiertheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Mit einer desinformierten Gesellschaft ist kein demokratischer Staat zu machen: Das machte in der Corona-Pandemie und der dazugehörigen weltweiten Verbreitung von Falschinformationen, die sogenannte Infodemie“, sichtbar – Stichwort angebliche Mikrochips in Impfstoffen und Virusleugnungen. Aber auch die rechtspopulistische Propaganda von Trump und seinen Anhänger:innen zur angeblich manipulierten Wahl 2020 in den USA oder die russischen Information Wars in der EU gerade in den vergangenen Jahren verdeutlichen das Phänomen. Wie bewerten wir nun die Resilienz von Staaten gegen Desinformation?


» Demokratien leben von und mit der Informiertheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. «

— Alex Sängerlaub

Bei vier gesellschaftspolitischen Resilienzfaktoren des Informationsökosystems – Stabilität und Integrität des politischen Systems, Vertrauen in Medien, Regulierung sozialer Netzwerke und Nachrichtenkompetenz der Bevölkerung – gibt es großen Handlungsbedarf von politischer Seite. Diese Faktoren zu stärken, liegt auch im Interesse der Nationalen Sicherheitsstrategie.

Die Stabilität und Integrität des politischen Systems 

Der Faktor Stabilität und Integrität des politischen Systems ist (im Idealfall) die Grundlage der anderen Resilienzfaktoren in der Demokratie: die Freiheit und Ordnung der Medien, die Rahmenbedingungen der Social-Media-Plattformen und wie viel Menschen über Medien und Öffentlichkeit durch das Bildungssystem informiert sind. In allen drei Bereichen hängt die deutsche Gesetzgebung der digitalen Disruption nach – in bestimmten Teilen sogar deutlich.

Wackelt, wie in unvollständigen Demokratien oder gar Autokratien, die Stabilität und Integrität des politischen Systems, muss sich die zweite Säule, die Medien, darauf einstellen. Wenn beispielsweise, wie 2016 in den USA, ein lügender Populist das Weiße Haus kapert, muss sich die gewohnte Berichterstattung verändern. So sind Meldungen à la Trump hat gesagt, dass man Bleichmittel gegen Corona trinken kann” ohne Fact-Checking journalistisch verbreitete Desinformation. Ein Messindikator ist hier zum Beispiel der Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen. Deutschland ist als viertgrößte Volkswirtschaft lediglich auf dem 16. Platz, die USA sogar nur auf dem 42.

Vertrauen in das und Qualität des Mediensystems

Pressefreiheit ist die Grundlage für freie Medien, aber das ist in Demokratien bei Weitem nicht der einzige Maßstab. Die beste Pressefreiheit ist wenig wert, wenn Menschen kein Vertrauen in Medienangebote haben. Nehmen wir auch hier die USA als Beispiel: Der Digital News Report 2022 zeigte, dass die USA weltweit dramatisches Schlusslicht mit nur 26% Medienvertrauen sind. In Deutschland ist die Lage zwar besser, wer aber Medien und Staat kein Vertrauen schenkt, widmet sich infolgedessen zuweilen alternativen Medienangeboten‘. Das kommt dann Kanälen wie Russia Today Deutsch zugute oder Rechtspopulist:innen auf sozialen Netzwerken, die Desinformation als strategische Kommunikation nutzen. In Deutschland gibt es vor allem ein Problem mit Medienrepräsentation. Zeitungs- und Fernsehredaktionen haben große Probleme mit Diversität innerhalb der Redaktionen, wodurch auch deren Angebote überaltert und für jüngere Zielgruppen oder Menschen mit Migrationsgeschichte wenig Relevanz haben. 

Kernpunkte:

  1. Wer eine funktionierende Demokratie will, muss sich mit den Voraussetzungen für ein resilientes Informationsökosystem auseinandersetzen.
  2. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte die Ausprägung der Resilienzfaktoren beschreiben, um zielgerichtete Maßnahmen zu ermöglichen.
  3. Fact-Checking sowie die Regulierung oder Content-Moderation auf den Social Media Plattformen führen bisher nicht zu weniger Desinformationen im Netz. 

Blaupausen, Rechtsdurchsetzung und Verantwortungsübernahme sozialer Netzwerke

In den USA herrscht bei der Regulierung sozialer Netzwerke noch immer Wilder Westen. Nach dem NetzDG in Deutschland, hat nun auch die EU mit dem Digital Service Act einen Aufschlag gewagt. Der kommt reichlich spät, angesichts der zahlreichen Erfahrungen der Menschen mit Hass und Desinformation. Status quo ist, dass 50% der Menschen in Deutschland das Gefühl haben, dass Social Media die Demokratie nicht bereichert. Die persönlichen Erfahrungen mit Hass, Desinformation oder sexualisierter Gewalt auf Social Media sind so hoch, dass sich zunehmend Menschen – vor allem Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder LGQBTIA* – aus diesen Kommunikationsräumen zurückziehen. Dabei sind die Bemühungen der Plattformen Hass und Desinformation zu reduzieren, sehr unterschiedlich zu bewerten. Während die Bemühungen bei Meta oft nur Whitewashing sind, leisten Plattformen wie Twitter im Kampf gegen Desinformation Pionierarbeit – allerdings nur bis zur Übernahme des Netzwerks durch Elon Musk.

Die Informations- und Nachrichtenkompetenz der Bevölkerung

Dass Menschen Medien zu wenig vertrauen, kann (aber muss nicht) damit zusammenhängen, dass sie über Medien zu wenig wissen. So ist in Deutschland das Wissen besonders gering: Nur 53% der Deutschen wissen, dass der Bundestag nicht darüber mitentscheiden kann, worüber die Öffentlich-Rechtlichen berichten. 33% halten die Süddeutsche Zeitung für öffentlich-rechtlich, jeder 5. verwechselt einen Politiker:innenpodcast mit einem journalistischen Angebot. In einem Land, in dem 50% der Bevölkerung praktisch nichts über Medien weiß, bedarf es nicht nur einer massiven Medienkompetenzinitiative, sondern auch einer entschiedenen Transparenz- und Erkläroffensive des Journalismus für die eigene Arbeit.


» Nur 53% der Deutschen wissen, dass der Bundestag nicht darüber mitentscheiden kann, worüber die Öffentlich-Rechtlichen berichten. «

— Alex Sängerlaub

Fällt eine der vier Säulen aus, können die anderen einspringen: Teilen Politiker:innen Desinformationen über ihre Plattformen, hilft es, funktionierende, vertrauenswürdige Medien oder eine nachrichtenkompetente Bevölkerung zu haben. In Ländern, in denen es keine freien Medien gibt, spielen Social-Media-Kanäle und nachrichtenkompetente Bürgerinnen und Bürger eine viel wichtigere Rolle für glaubwürdige Informationen als in Demokratien. Allen beteiligten Akteuren – von Politik bis Plattformen – kann es helfen, sich die Gegebenheiten im jeweiligen Land bewusst zu machen, um zu einem resilienten, demokratischen Informationsökosystem beizutragen.

Die Überlegung welche Resilienzfaktoren hierzulande wie stark ausgeprägt sind, sollte Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie sein, da nur so zielgerichtete Maßnahmen mit dem nötigen Einfluss möglich sind. Einige Ansätze gegen Desinformation haben sich nämlich als wenig erfolgreich erwiesen: Fact-Checking, die bisherige Regulierung oder Content-Moderation auf den Plattformen führen (bisher) messbar nicht zu weniger Desinformationen im Netz. Wer ein probates Mittel gegen Desinformation liefern möchte, muss an der anderen Stellschraube drehen: der Informiertheit der Gesellschaft, um deren Resilienz zu erhöhen.


Alex Sängerlaub

Gründer und Direktor, Think & Do Tank futur eins

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