In Krisen da draußen: Vorbeugen, Entschärfen, Helfen Sicherheit global verstehen
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Trotz seines enormen Potenzials übersehen Politiker:innen die friedensfördernde Wirkung des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes. Dabei kann das Instrument den sozialen Zusammenhalt stärken, Frauen fördern und Extremismus vorbeugen.

Wenn sich Menschen mit Naturkatastrophen allein gelassen fühlen, verlieren sie das Vertrauen in staatliche Strukturen und die Werte der internationalen Gemeinschaft. Dagegen kann effektive Unterstützung gegen die Auswirkungen von Katastrophen extremistischen Narrativen Einhalt gebieten, sowie zur Eindämmung von Systemkonflikten beitragen. Im Wettbewerb mit autoritären Gesellschaftsformen, hat das westliche Wertesystem in den letzten Jahren stark an Glaubwürdigkeit und Attraktivität verloren. Eine Neukonzentrierung auf Reformaspekte, die sich noch stärker an menschlicher Sicherheit orientieren, kann hier als Alleinstellungsmerkmal des Westens im Systemkonflikt dienen. 

Kernpunkte:

  1. Deutschlands Stabilisierungsengagement sollte den Bevölkerungsschutz stärker priorisieren, um gesamtgesellschaftliche Resilienz in Partnerländern zu fördern. 
  2. Bevölkerungsschutz und das Ehrenamt verbessern den sozialen Zusammenhalt, beugen Extremismus vor und stellen Vertrauen in staatliche Strukturen wieder her. 
  3. Berlin sollte in die Analyse vergangener und bestehender Maßnahmen investieren, um Wissen darüber zu generieren, welche Ansätze besonders erfolgsversprechend sind.

In einen ganzheitlichen Ansatz investieren

Aufgrund des Klimawandels werden sich Naturkatastrophen häufen und intensivieren. Es gilt diese ganzheitlich zu adressieren. Wie kann deutsche Außenpolitik also innere und äußere Sicherheit, die Bekämpfung der Klimakrise und eine der menschlichen Sicherheit verpflichtete Außenpolitik strategisch miteinander in Einklang bringen? Für die Nationale Sicherheitsstrategie ist es entscheidend, gesellschaftliche Resilienz auch in Deutschlands außen- und sicherheitspolitischem Engagement im Rahmen der Konfliktprävention, Stabilisierung und Friedensförderung zu stärken. Das bedeutet: Sowohl den staatlichen Bevölkerungsschutz in den Partnerländern, andere Sicherheitssektorakteure, zivilgesellschaftliche Strukturen und Ehrenamtliche zu fördern. Dafür gibt es bereits vielversprechende Ansätze. 

Deutschland sollte konkret in drei Bereiche investieren: Erstens in die stärkere Gewichtung von Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes innerhalb Deutschlands Stabilisierungsengagement. Zweitens in die Kombination von fachlicher Kompetenz mit Ansätzen zur Friedensförderung und Extremismusprävention. Und drittens in Wissensgenerierung darüber, welche Ansätze funktionieren. 

Hilfreiche Beispiele bieten Maßnahmen der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) und sowie Analysen vom Genfer Zentrum für Gouvernanz des Sicherheitssektors (DCAF). Das THW setzt, finanziert vom Auswärtigen Amts, seit vielen Jahren Projekte im Ausland mit ausgewählten Partnerländern, wie dem Irak (seit 2018), Jordanien (seit 2016) und Tunesien (seit 2012) zu Aufbau, Ausbildung und Ausstattung von Ehrenamtsstrukturen im Bevölkerungsschutz um. Das DCAF führt eine Studie in vier Ländern zu bestehenden Einsatzgebieten des Sicherheitssektors in Bezug auf den Klimawandel und speziell der Katastrophenvorsorge durch. Die Studie setzt sich dediziert mit dem Potential des Sicherheitssektors für Friedensförderung und die Stärkung gesellschaftlichen Zusammenhalts auseinander. 

Bevölkerungsschutz im Stabilisierungsengagement stärken

Die THW-Projekte demonstrieren das große Potential, gesamtgesellschaftliche Resilienz auf der praktischen Ebene zu stärken, die aufgrund häufiger und mit größerer Intensität auftretenden Naturkatastrophen erforderlich ist. Die Projekte zielen darauf ab, Partnerländer zu ertüchtigen im Einsatzfall auf Ehrenamtsstrukturen zurückgreifen zu können, um so selbst umfassender handeln zu können. Dies ist aus dreierlei Hinsicht wichtig: Zum einen verstärken die ehrenamtlichen Teams die staatlichen Rettungskräfte, die gerade in entlegenen Gegenden nicht immer über ausreichende Kapazitäten verfügen. Zweitens bestätigte sich während des Erdbebens in der Türkei wieder, dass lokale Kräfte vor Ort die meisten Überlebenden retten können. Das liegt vor allem an der längeren Reaktionszeit nationaler und internationaler Rettungskräfte. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, auf lokaler Ebene Strukturen zu fördern, die im Notfall sofort und vor Ort einsatzbereit sind. Und drittens kann die aktive Stärkung gesamtgesellschaftlicher Resilienz auch die Vulnerabilität gegenüber Naturkatastrophen verringern. Dabei geht es darum, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich Extremwetterereignisse nicht zu Katastrophen mit hohen Kosten für Leben und Besitz verwandeln.

Die DCAF-Studie zeigt, dass der Bevölkerungsschutz spezielle Anforderungen an die Fähigkeiten, Ausstattung und finanziellen Ressourcen der verantwortlichen Akteure des Sicherheitssektors wie Behörden, Militär und Polizei stellt. Geber, etwa von Ertüchtigungsmaßnahmen, klammern die gezielte Förderung dieser Funktionen jedoch durchgehend aus. 


» Gerade ärmere und fragile Länder können jederzeit einsatzfähige Ausrüstung nicht immer selbst bereitstellen. «

— Viola Csordas, Maren Jaschke, Frederik Wallin & Sabrina Manteuffel

Im Fall einer Naturkatastrophe braucht es ausreichend Personal mit technischen Fähigkeiten für Rettungseinsätze. Dieses Personal muss aber auch in der Lage sein, Risikofaktoren und wissenschaftlichen Daten zu verstehen und Bedarfe in strategische und operative Planungsprozesse zu integrieren. Im Bereich der Ausstattung müssen beispielsweise Fahrzeuge, Rettungsgeräte, Ausrüstungen zum Schutz und zur Kommunikation bereitgehalten werden. Diese sind nicht notwendigerweise ausschließlich für Notfälle einsetzbar. Gerade ärmere und fragile Länder wie Sierra Leone können jederzeit einsatzfähige Ausrüstung nicht immer selbst bereitstellen. Deshalb sollten internationale Geber diese Länder auch finanziell ausstatten, damit sie ihren Aufgaben im Bereich des Bevölkerungsschutzes nachkommen können. Diese finanzielle Förderung umfasst: die Bereitstellung, Wartung und Betrieb von Geräten und Fahrzeugen (in mehreren der untersuchten Länder war beispielsweise die Kraftstoffzuteilung unzureichend) sowie Ausbildung und regelmäßiges Training der Einsatzkräfte. Die Arbeit in einem hoch komplexen Bereich erfordert zudem die enge Koordinierung mit einer langen Reihe anderer Akteure: andere Organisationen des Sicherheitssektors wie den Bevölkerungsschutz, Militär und Polizei, zivile Behörden wie Meteorologie, Landwirtschaft und Städteplanung sowie kirchliche Akteure oder das Rote Kreuz/​Halbmond.

Neben den Behörden und Institutionen des Bevölkerungsschutzes, spielen oft auch Militär und Polizei eine zentrale Rolle im Bevölkerungsschutz. Je nach nationaler Struktur sind sie entweder Hauptakteur, unterstützen zivile Strukturen oder koordinieren die verschiedenen Akteure des Sicherheitssektors. Der direkte Kontakt zur Zivilbevölkerung erfordert von Militär und Polizei ein hohes Maß an zivilmilitärischen Fähigkeiten. Der sensible Umgang mit Zivilist:innen ist besonders in Katastrophenfällen und in Kontexten, in denen uniformiertes Personal aufgrund früherer Erfahrungen mit Skepsis betrachtet wird, wichtig. Bei den meisten der befragten Sicherheitsakteure sind diese Fähigkeiten jedoch nicht ausreichend vorhanden. 


» Der direkte Kontakt zur Zivilbevölkerung erfordert von Militär und Polizei ein hohes Maß an zivilmilitärischen Fähigkeiten. «

— Viola Csordas, Maren Jaschke, Frederik Wallin & Sabrina Manteuffel

Deutschland sollte innerhalb seines Stabilisierungsengagements dem Bereich Bevölkerungsschutz eine stärkere Gewichtung geben. Erstens steht mit dem Ehrenamtsmodel des THW und vieler weiterer Akteure des deutschen Bevölkerungsschutzes ein einzigartiges Instrument zur Verfügung, das weiter ausgebaut werden und zusätzlich in anderen Weltregionen Anwendung finden sollte. Zweitens sollte auch die Ausbildung, Ausstattung und Beratung von Partnern des Sicherheitssektors, beispielsweise im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative, vermehrt den Aufbau von Kapazitäten für den Bevölkerungsschutz ins Auge fassen. Ein wichtiges Element wäre hierbei auch Unterstützung zum Aufbau von geeigneten Governance- und Managementstrukturen innerhalb der Partnerinstitutionen, um diese Kapazitäten effektiv, effizient und rechenschaftspflichtig einzusetzen. Drittens sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass die VN-Peacebuildingkommission oder Mandatierungen von GSVP- und VN-Friedensmissionen dem Bevölkerungsschutz und zivilen Komponenten ein größerer Stellenwert beimessen. 

Friedensförderung und Extremismusprävention bewusster kombinieren

Am Beispiel der THW-Projekte und der DCAF-Studie zeigt sich ebenfalls das Potential, Zusammenarbeit im Bevölkerungsschutz im Sinne der Friedensförderung und Extremismusprävention zu nutzen und dadurch soziale Kohäsion zu stärken und friedens- sowie frauenfördernde Wirkungen zu erzielen. 

In den THW-Projekten zeigt sich, wie die Einbeziehung von Bürger:innen im Ehrenamt in staatliches Handeln den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Dies geschieht, da staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenkommen, um gemeinsam Probleme zu lösen – sowohl in der Vorbereitung und Ausbildung, als auch während tatsächlicher Einsätze. Gerade die praktisch ausgerichteten Ausbildungen tragen dazu bei, Bevölkerungsgruppen, die im Konflikt miteinander stehen, in Kontakt zu bringen und auszusöhnen. Beispielsweise war die Resonanz auf ein Training mit Teilnehmenden aus der Region Kurdistan-Irak und aus dem Zentralirak durchweg positiv. In Jordanien bilden jordanische Zivilschützer:innen syrische Flüchtlinge aus und fahren bereits erfolgreiche gemeinsame Einsätze. Dies kann langfristig zur Annäherung zwischen der Flüchtlings- und der jordanischen host community beitragen. Auch während des Einsatzes in den vom Erdbeben betroffenen Regionen in der Türkei zeigte sich dieses große friedensstiftende Potential: Ehrenamtliche aus der Region Kurdistan-Irak arbeiteten gemeinsam mit türkischen Einsatzkräften. 

Diese Elemente sind auch für die Extremismusprävention von hoher Relevanz. In Tunesien ermöglicht das Ehrenamt Jugendlichen sich sozial zu integrieren und gibt ihnen eine Perspektive weg von der Straße. Diese Einbindung in zivilgesellschaftliche Strukturen sowie die Möglichkeit, selbst aktiv einen Beitrag zu leisten, sich respektiert und nützlich zu fühlen, kann vermeiden, dass sich Jugendliche extremistischen Gruppen anschließen. Außerdem vermittelt das Ehrenamt gemeinsame Werte und Normen, wie Engagement und Hilfsbereitschaft, und respektiert hierbei die Vielfalt verschiedenster sozialer Gruppierungen. 


» Wo Frauen und Männer an der gemeinsamen Sache zusammenarbeiten, werden geschlechtsspezifische Vorbehalte abgebaut. «

— Viola Csordas, Maren Jaschke, Frederik Wallin & Sabrina Manteuffel

Zuletzt können diese Projekte Frauen fördern und einbeziehen – ganz im Sinne einer feministischen Außenpolitik. Neben gezielten Förderungen von Frauen, können die Projekte auch generell die Stellung der Frauen im Bevölkerungsschutz verändern. Beispielsweise stellen im Irak, Jordanien und Tunesien zwischen Frauen 26% bis 45% der Ehrenamtlichen und besetzen auch einige der Führungspositionen. Wo Frauen und Männer an der gemeinsamen Sache zusammenarbeiten, werden geschlechtsspezifische Vorbehalte abgebaut. Trotz diese enormen Potenzials nehmen Politiker:innen die THW-Projekte bisher mehr aus technischer Perspektive wahr und übersehen die friedensfördernde Wirkung des Instruments. 

Erste Ergebnisse der DCAF-Studie verdeutlichen, dass die aktive Unterstützung im Bevölkerungsschutz beeinflusst, wie die Bevölkerung den Sicherheitssektor und damit auch den Staat wahrnimmt: Die Unterstützung und Hilfe in Notfallsituationen durch Militär und Polizei gibt der Zivilgesellschaft das Gefühl, der Staat kümmere sich um sie und ihr Wohlergehen. Über direkte Einsätze hinaus konnten Militär und Polizei durch gesellschaftliche Sensibilisierung (beispielsweise bei gamifizierten DRR-Aktionstagen, wo auf spielerische Weise Angestellte des Bevölkerungsschutzes, Feuerwehr, Polizei, Militär sich mit Bürgern zu DRR austauschen) oder gemeinsame Übungen in einem neuen und positiveren Licht erscheinen. Dies baute selbst bestehende Vorbehalte aufgrund von Menschenrechtsverletzungen, Korruption oder Krieg ab. Die Unterstützung des Sicherheitssektors bei Notsituationen stellt also Vertrauen wieder her und trägt zu Versöhnungsprozessen bei. Vereinzelt zeigt sich auch ein Potential, im Rahmen von Friedensprozessen und strukturellen Reformen von Sicherheitssektoren, demobilisierte Kombattant:innen beziehungsweise ehemaliges Sicherheitssektorangehörige im Katastrophenschutz zu beschäftigen. Die Bereitstellung einer solchen Lebensgrundlage verhindert weitere Konflikte. 

Trotz dieser vielversprechenden Möglichkeiten, findet kaum eine Integration zwischen den verschiedenen Instrumenten statt und es bleibt eine starke Trennung zwischen Maßnahmen der Sicherheitssektorreform und der Friedensförderung. Um das beschriebene Potential nutzen zu können, muss das deutsche Engagement konsequent einen vernetzten und langfristigen Ansatz verfolgen. Der vernetzte Ansatz sollte Perspektiven, Akteure und Finanzierungsinstrumente aus den Bereichen Stabilisierung, Friedensförderung, Vergangenheitsarbeit und Versöhnung sowie Extremismusprävention, Klimasicherheit und Katastrophenvorsorge zusammenbringen. Gleichzeitig bedarf es langfristiger Perspektiven jenseits jährlicher Förderzeiträume. In Tunesien etwa gelang es dem THW durch sein langfristiges Engagement ehrenamtliche Strukturen tief in der Gesellschaft zu verankern. Kurze Projektlaufzeiten können das nicht leisten.

In Wirkungsevaluierung investieren

Die Schnittmenge zwischen Klimawandelfolgen, Bevölkerungsschutz, Stabilisierung und Friedensförderung ist ein relativ neues Feld. Daher sollte Deutschland auch bewusst in die Analyse vergangener und bestehender Maßnahmen investieren, um Wissen darüber zu generieren, welche Ansätze besonders erfolgsversprechend sind. Beispielsweise sollte die deutsche Sicherheits- und Entwicklungspolitik die genannten THW-Projekte unter dem Gesichtspunkt der friedensfördernden Wirkungen aufarbeiten und zur Erstellung von Wirkungsmodellen für künftige Projekte beitragen. Das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium sollten neu aufgesetzte Maßnahmen, beispielsweise im Bereich der Ertüchtigung, von Anfang an so begleiten, dass Lerneffekte und Wissensgenerierung möglich sind. Ein weiteres wichtiges Instrument, das Deutschland gezielt fördern sollte, sind auch Peer-to-peer-exchanges zwischen regionalen Partnern für einen zielorientierten Erfahrungsaustausch. 

In die Zukunft blickend, kann Deutschland im Bereich Bevölkerungsschutz strategisch und praktisch Friedensförderung, Stabilisierung, Adaption an den Klimawandel und Extremismusprävention kombinieren und gleichzeitig die Attraktivität des westlichen Wertemodels im Vergleich zu autoritären Konkurrenten im Systemkonflikt stärken. Hierfür sind eine Priorisierung des Bevölkerungsschutzes im außenpolitischen Instrumentenkasten, vernetzte und langfristige Ansätze sowie die Investition in die Wissensgenerierung notwendig.


Viola Csordas

SSR Advisor, Geneva Centre for Security Sector Governance

Maren Jaschke

Bundesanstalt Technisches Hilfswerk

Fredrik Wallin

Junior Professional Officer, Geneva Centre for Security Sector Governance

Sabrina Manteuffel

Projektmanagerin, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk

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