„Wir müssen das Vertrauen der Menschen in den Fokus nehmen und nicht nur über Faktenchecks und Medienbildung reden“
Desinformation, autoritäre Kräfte und globale Krisen – die liberale Demokratie steht vor vielen Herausforderungen. Was Politik und Medien über Bürger:innen und Zuschauer:innen verstehen müssen, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
More in Common hat Einstellungen zur Demokratie in Deutschland aber auch in Frankreich, Polen, Großbritannien und den USA untersucht. Was sind die wichtigsten und überraschendsten Ergebnisse? Wo sehen Sie bezüglich der Stärkung der Demokratie den meisten Handlungsbedarf?
Das spannende Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass die Demokratie an sich von den Menschen nicht in Frage gestellt wird. Alle Menschen wollen die Demokratie, das gilt über die verschiedenen Länder hinweg. Niemand sieht sich selbst als Anti-Demokrat:in. Allerdings haben wir herausgefunden, dass die Menschen unter ‚Demokratie‘ durchaus unterschiedliche Dinge verstehen. Und das ist in jedem nationalen Kontext genau die Herausforderung bei der Arbeit zur Stärkung von Demokratie. Außerdem gibt es autoritäre Kräfte, die behaupten, sie seien die wahren Demokraten, weil sie den ‚Volkswillen‘ direkt umsetzen und angeblich korrupte Eliten außen vor lassen. Nur das Hantieren mit dem Begriff ‚Demokratie‘ alleine reicht also nicht.
Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine hat sich das noch einmal verstärkt. Die große Herausforderung für liberale Demokratien ist nun, dass wir es mit einer autoritären Bedrohung sowohl geopolitisch als auch innenpolitisch zu tun haben. Wie schafft man es, wenn man wegen Pandemie, Preiskrise und Klima sowieso im konstanten Krisenmanagement-Modus ist, an dieser Doppelherausforderung zu arbeiten? Ich denke, dass ist die zentrale Frage, die mindestens die nächsten fünf Jahre sehr prägen wird.
» Niemand sieht sich selbst als Anti-Demokrat:in. Allerdings haben wir herausgefunden, dass die Menschen unter ‚Demokratie‘ durchaus unterschiedliche Dinge verstehen. «
Welche Schlüsse lassen sich aus den Untersuchungsergebnissen über die verschiedenen konkurrierenden Verständnisse von Demokratie in Deutschland ziehen?
Einen großen Unterschied, den wir gefunden haben ist, dass ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland sagt, die Demokratie sei immer eine gute Sache, egal welche Ergebnisse sie zeitigt. Ungefähr die andere Hälfte sagt, die Demokratie sei nur dann eine gute Sache, wenn sie auch gute Ergebnisse produziert. Dass Demokratie gute Ergebnisse hervorbringen muss, ist wiederum für diejenigen schwer zu ertragen für die Demokratie per se immer gut ist. Dieser Dissens ist aus unserer Sicht einer, den der Demokratiestärkungsdiskurs viel stärker in den Fokus nehmen muss. Denn es wird – auch seitens der politischen Institutionen – viel über Bürger:innenbeteiligung geredet, über Prozesse. Es werden auch viele gute Initiativen in diese Richtung vorgenommen, aber die Ergebnisse von Politik, also die Output-Seite, könnten noch deutlich stärker im Fokus von Demokratiestärkungsinitiativen stehen.
Wir erleben einen tiefgreifenden Strukturwandel der Öffentlichkeit, auch der Medienlandschaft. Wie können wir eine Medienlandschaft erhalten beziehungsweise bekommen, die die Demokratie stärkt? Wie können wir den Umgang mit Desinformation verbessern?
Ich glaube, das eine Wort, was ich durch all diese Themen zieht, ist Vertrauen. Politik, politische Institutionen und traditionelle Medien – in Deutschland etwa das öffentlich-rechtliche System – erleben eine Vertrauenskrise. Darauf gibt es aber nicht die eine Antwort, sondern es ist ein Mosaik aus verschiedenen Dingen, die es zu tun gibt, um gegenzuarbeiten. Das öffentlich-rechtliche System ist in Deutschland ein notwendiger Pfeiler eines Ökosystems. Es hat die Funktion, dass wir uns zumindest auf Basis ähnlicher Informationen miteinander unterhalten. Die Coronapandemie hat gezeigt, dass wir anfangen, diese Basis zu verlieren und nicht immer auf der gleichen Informationsbasis unterwegs sind. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir das Vertrauen der Menschen in den Fokus nehmen und nicht nur über Faktenchecks und Medienbildung reden.
Zum Stichpunt Desinformation: Wir bei More in Common denken, dass es in Deutschland und auch in den USA oder UK bereits ein relativ gutes Verständnis darüber gibt, wie Desinformation entsteht und wer sie streut. Die Algorithmen werden beobachtet, die Tech-Plattformen sind völlig zurecht im Blick. Die ‚Angebotsseite‘ von Desinformation ist also relativ gut beleuchtet. Allerdings wissen wir noch zu wenig über die ‚Nachfrageseite‘ von Desinformation. Warum verfängt sie bei Menschen? Welche psychologische Funktion erfüllt sie? Es muss ja irgendetwas mit uns machen, sonst wären Menschen dafür nicht empfänglich. Diese Seite wollen wir gerne besser verstehen, die Menschen selbst in den Fokus nehmen, um neue Ansätze zu finden, die am Ende auch funktionieren.
» Politik, politische Institutionen und traditionelle Medien – in Deutschland etwa das öffentlich-rechtliche System – erleben eine Vertrauenskrise. «
Gibt es bestimmte Politikansätze oder Maßnahmen im Medienbereich, die helfen würden, dieses Vertrauen zu stärken? Schließlich könnte man genauso fragen, ob es unterschiedliche Erwartungen gibt, was gute Medien ausmacht.
Ich glaube, das ist die Gretchenfrage, an der sich viele Medienakteure gerade abarbeiten. Ein wichtiger Ansatz, der aber aus meiner Sicht nicht vollständig ist, ist diese Frage: Finden sich Menschen mit ihrer eigenen Perspektive in der Berichterstattung wieder? Und ich glaube, dass es wichtig ist, diesbezüglich auch immer wieder über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sprechen. Es ist entscheidend, eine Pluralität verschiedener Weltsichten und Meinungen zu sehen. Wir haben in unserer Demokratiestudie aber auch die Frage gestellt, woran Menschen gute Berichterstattung erkennen. 43 Prozent haben gesagt, dass sie gute Berichterstattung daran erkennen, dass sie ihren Ansichten entspricht. Das ist in Bezug auf Nachrichtenfaktoren – also der Frage welche Ereignisse publikationswürdig sind – natürlich kritisch zu sehen.
Für den Vertrauensaufbau ist es deshalb ebenso wichtig, das Dialogische zu stärken. Darauf fokussiert sich auch aktuell stark meine Arbeit im ZDF-Fernsehrat, dem ich seit einem halben Jahr angehöre. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann sich auch technisch noch viel mehr für die Zuschauerinnen und Zuschauer öffnen. Etwa indem er Zuschauer:innen-Feedback in Form von Kommentierungen und Interaktionen in den Mediatheken ermöglicht. Das geht niedrigschwellig bisher nur in den sozialen Medien, nicht aber auf den öffentlich-rechtlichen Plattformen, die wir ja alle mitfinanzieren. Diese stärker als Kommunikationskanäle auszubauen und es Menschen zu ermöglichen, Resonanz zu erfahren ist im politischen Kontext – Stichwort Bürger:innenbeteiligung – wichtig. Aber sie ist eben auch im Vertrauensaufbau mit anderen Institutionen wichtig.
More in Common beschäftigt sich damit, wie Dialog über gesellschaftliche Gräben hinweg möglich ist. Diese Gräben gibt es auch mit Blick auf außenpolitische Entscheidungen, etwa zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Welche Formate haben sich bewährt? Wo kann man mehr investieren?
Wir befassen uns intensiv mit der Frage, wie man verschiedene gesellschaftliche Gruppen erreichen kann und wie sich diese mehr begegnen können. Wir haben uns das beispielsweise sehr groß zum Thema ‚Alltagorte‘ als Begegnungsorte angeschaut, auch aus dem Eingeständnis heraus, dass man nicht alle über Veranstaltungen oder Beteiligung erreichen wird. Dabei ist diese Vorstellung, dass man die Tür aufmacht und alle möglichen Menschen kommen immer noch sehr verbreitet. Wir versuchen dafür zu sensibilisieren, dass man sich meist in einer Bubble befindet und auch Neues ausprobieren muss, um an neue Menschen heranzukommen.
Deshalb auch nochmal zurück zum Thema Beteiligung. Neben der Begegnung zwischen den Menschen ist es sehr wichtig, Bürgerinnen und Bürger besser in politische Prozesse einzubinden. Dabei gibt es viel zu beachten. Zum einen sollte man nicht davon ausgehen, dass man nur weil man ein Beteiligungsangebot stellt, auch ein repräsentatives Bild der Gesellschaft bekommt. Selbst ausgeloste Verfahren stehen vor der Herausforderung, alle Gesellschaftsteile gleich gut zu rekrutieren, wie wir von vielen Partnern wissen. Und auch inhaltlich gibt es Fallstricke: Im Nachhinein ist es doch bezeichnend, dass der erste Bürgerrat, der ab 2020 auf Bundesebene durchgeführt wurde, das Thema ‚Deutschlands Rolle in der Welt‘ hatte. Ein Thema von dem wir im Nachhinein wissen, dass das schon vor dem Krieg in der Ukraine in die Mitte der politischen Debatte gehört hätte. Es ist auch unklar, inwieweit der Bürgerrat tatsächlich Einfluss auf die weitere Entwicklung dieses Themas hatte. So kann schnell der Eindruck entstehen, dass man die Bürger:innen darüber diskutieren lässt, aber das Parlament selber eigentlich nicht darüber spricht. Wir würden ohnehin immer raten, bei Bürger:innenbeteiligung Dinge zum Thema zu machen, bei denen die Teilnehmenden danach auch merken, welchen Unterschied sie gemacht haben, damit sie ihre eigene Resonanz und auch Selbstwirksamkeit spüren. Immerhin: Im Nachhinein war dieser Bürgerrat fast ein Vorzeichen dafür, dass wir uns mehr mit unserer eigenen Rolle in der Welt befassen müssen – ohne dass klar geworden ist, ob und welchen Einfluss das Format auf die außenpolitische Strategie der Bundesrepublik hatte.
Auch wir bei More in Common lernen in diesen Fragen kontinuierlich dazu. Aktuell führen wir ein großes Projekt durch, in dem wir mit Partnern in fünf Kommunen untersuchen, was eigentlich in der Bürger:innenbeteiligung funktioniert. Und wie gerade Menschen, die schlecht erreichbar sind, besser eingebunden werden können. Wir vermuten, dass es nicht das eine Format gibt, das für alle funktioniert. Vielmehr geht es darum besser zu verstehen, wen man mit was erreicht und für wen man vielleicht auch andere Angebote bauen muss.
Kernpunkte:
- Die Herausforderung der Arbeit zur Stärkung von Demokratie liegt in der Tatsache, dass Menschen sehr unterschiedliche Dinge unter dem Begriff verstehen.
- Politik und Medien sollten sich darauf fokussieren, das Vertrauen der Bürger:innen zurückzugewinnen. Das kann durch glaubwürdige Beteiligungsformate gelingen.
- Im Umgang mit Desinformation gilt es, noch besser zu verstehen, warum diese sich so erfolgreich bei Menschen verfängt.
Gibt es sonst noch Erkenntnisse aus der Arbeit von More in Common über demokratische Stärkung und Resilienz, die im Kontext einer nationalen Sicherheitsstrategie relevant sind?
Ja, das ist aber eher ein Metapunkt. In Bezug auf die Meinungslage rund um den Krieg in der Ukraine gibt es eine zentrale Herausforderung: Für die Menschen greifbar zu machen, was diese großen geopolitischen Fragen mit ihnen zu tun haben. Aus unseren zahlreichen Fokusgruppen und der qualitativen Forschung habe ich in den letzten drei Jahren mitgenommen, dass die Menschen sich alle Gedanken über Gesellschaft machen. Sie kommen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, aber sie schauen sich alle an, was in der Welt um sie herum passiert. Aber ich glaube, dass dieser Konnex – ‚Was hat die Situation in der Ukraine mit der Demokratie in Deutschland zu tun‘ – politisch stärker kommuniziert werden muss. Immer wieder. Auch weil es bei dem Thema verständliche Ängste und Abwehrreaktionen gibt. Je länger der Krieg dauert, desto mehr müssen wir uns dieser Frage stellen. Auch um die Unterstützung für die Ukraine aufrecht zu erhalten. Idealerweise kommuniziert die Bundesregierung dabei ohne sich nur auf große Begriffe aus den Sonntagsreden wie „Solidarität“ zu verlassen. Denn auch das wissen wir aus unserer Forschung: Diese Begriffe sind für viele Menschen nicht greifbar genug.
Laura-Kristine Krause
Direktorin, More in Common.
Keep on reading
Zeitenwende breit diskutiert: Lehren aus der Bürger:innenbeteiligung zur Sicherheitsstrategie
Auch bei komplexen Fragestellungen können Bürger:innen einen wertvollen Beitrag leisten. Entscheidend für den Erfolg von Beteiligungsformaten ist, wie mit den Ergebnissen umgangen wird.
A little more conversation: Nur Mut zur strategischen Kommunikation
Wo sich Elvis mehr Ruhe erbeten hat, braucht Deutschland das genaue Gegenteil: mehr strategische Kommunikation. Denn StratKom stärkt die Resilienz in Demokratien und ihre Stimme auf globaler Ebene.
Für eine generationengerechte Außenpolitik: Junge Menschen in der Nationalen Sicherheitsstrategie
Die Politik nimmt Kinder und Jugendliche immer noch vorrangig als passive Bevölkerungsgruppe wahr. Mit der Sicherheitsstrategie hat Deutschland die Chance, das zu ändern und junge wie kommende Generationen systematisch besser zu beteiligen.