Demokratische Resilienz: Der innen- und außenpolitische Nexus der Extremismusprävention
Extreme Polarisierung und Destabilisierungsversuche von innen und außen gefährden die Demokratie. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte deshalb dazu beitragen, Extremismus zu bekämpfen und eine starke Zivilgesellschaft zu fördern.
Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus sind weder rein innenpolitische noch allein außenpolitische Herausforderungen für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. In den letzten 20 Jahren hat die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Extremismus und Terrorismus die sicherheitspolitischen Agenden der Innen- und Außenpolitik immer wieder dominiert. Gleichzeitig haben auch altbekannte Phänomene wie der Rechtsextremismus und neuere Ausprägungen von Verschwörungsideologien wie QAnon, COVD-19-Leugner:innen oder Reichsbürger:innen an Relevanz stark zugenommen. All diese extremistischen Phänomene haben eine starke transnationale Dimension.
Hinzu kommen bereits akute oder absehbare gesellschaftliche, nationale und internationale Krisen und Umbrüche, die Extremist:innen instrumentalisieren (können). So vertieft sich die bereits bestehende Polarisierungen in der Gesellschaft.
Weil die Wechselwirkungen der Innen- und Außenpolitik sowie nationaler und internationaler Akteure so eine zentrale Rolle spielen, sollte die Nationale Sicherheitsstrategie bei der Extremismusprävention den Nexus Innen-Außenpolitik ins Zentrum stellen. Die Bundesregierung sollte somit Akteure aus unterschiedlichen Disziplinen und Institutionen langfristig mobilisieren, die Zivilgesellschaft fördern und diese bei ihrer weiteren Professionalisierung unterstützen. Eine kluge Kommunikationsstrategie sollte diese Maßnahmen begleiten, um eine mögliche Instrumentalisierung vorzubeugen.
Kernpunkte:
- Sowohl Zivilgesellschaft als auch die Politik müssen den demokratischen Zusammenhalt kontinuierlich vor Destabilisierungsversuchen und Polarisierung schützen.
- Eine wehrhafte Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung sollte daher Demokratieförderung auch mit staatlichen Mitteln unterstützen.
- Die Bundesregierung sollte ihre Extremismusprävention und die Zivilgesellschaftsförderung mit einer klugen Kommunikationsstrategie begleiten.
Extreme Polarisierung verhindern
Eine gesellschaftliche Polarisierung in Krisenzeiten kann Ausdruck einer aktiven und pluralen Gesellschaft sein. Verschiedene – teils taktisch oder strategisch kooperierende – Akteure haben jedoch ein gemeinsames Interesse an einer extremen Polarisierung in Deutschland. Relevante Akteursgruppen sind hier zum Beispiel Islamist:innen, Rechtsextreme, Linksextreme, Verschwörungsdenkende oder die Russische Föderation. Eine solche extreme Polarisierung zielt darauf ab, das politische und wirtschaftliche System als Ganzes zu destabilisieren und somit der eigenen Ideologie Zulauf zu verschaffen.
Beispielsweise kam es während der Hochphase der COVID-19-Pandemie zu teils erfolgreichen Kooperationen von Rechtsextremen, Verschwörungsdenkenden und russischen Propaganda-Outlets gegen gesetzliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Nach der Aufhebung der meisten Maßnahmen hat das Interesse an strategischen Kooperationen wieder stark abgenommen. Ob daraus weiterhin belastbare Netzwerke entstanden sind, ist unklar.
» Eine extreme Polarisierung zielt darauf ab, das politische und wirtschaftliche System als Ganzes zu destabilisieren und somit der eigenen Ideologie Zulauf zu verschaffen. «
Im Sommer 2022 hatte sich dann ein politisch „heißer Herbst“ oder „Wutwinter“ vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die deutsche Energiekrise angekündigt. Hier sollten sich den genannten Akteuren auch Linksextreme anschließen und damit eine ideologische Gräben überbrückende Querfront bilden, ganz nach der Devise „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Bis auf einige mittelgroße politische Veranstaltungen und Demonstrationen, vor allem in Ostdeutschland, ist aber wenig passiert. Und das, obwohl im Sommer 2022 laut Umfragen 44% der Deutschen sich vorstellen konnten, gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße zu gehen. Die ‚Querfront‘ gab es also nur im Wunschdenken vor allem von Rechtsextremen. Die hatten sich dabei auch eher ein Überlaufen von Anhänger:innen des linken Spektrums erhofft.
Eine resiliente und wehrhafte Demokratie bewahren
Aus polarisierenden Ereignissen wie der Finanzkrise 2008, der COVID-19 Pandemie und der gegenwärtigen Energiekrise sind also – zumindest bisher — keine nachhaltigen extremen politischen Polarisierungen entstanden. Das liegt vor allem an vier Akteursgruppen und Strategien:
- Finanzpolitik: Die Bundesregierungen der letzten 15 Jahre haben durch sehr weitreichende Finanz- und Hilfspakete an die deutsche Wirtschaft, und teils an die Bürger:innen direkt, die sonst möglicherweise katastrophalen (psychologischen) Auswirkungen dieser Krisen ausreichend abgemildert.
- Sicherheitsbehörden: Deutsche Sicherheitsbehörden entwickeln sich Schritt für Schritt weg von der ‚Einzelfall-Logik‘ hin zu einem ‚Netzwerk-Ansatz‘. Dieser befasst sich insbesondere mit rechtsextremen und islamistischen Schlüsselakteuren und deren Netzwerken und kann dadurch deren Leistungsfähigkeit signifikant reduzieren. Staatliche Regelstrukturen wie der Strafvollzug oder Jugendämter entwickeln eigene Kompetenzen und Netzwerke für die Extremismusprävention.
- Think Tanks und Journalist:innen: Think Tanks und investigative Journalist:innen informieren die politische Öffentlichkeit rechtzeitig über die Potentiale und Bestrebungen demokratiefeindlicher Gruppierungen, Schlüsselpersonen oder ausländischer staatlicher Akteure (zum Beispiel russische Desinformationskampagnen).
- Zivilgesellschaft: Eine für Demokratie und Extremismusprävention arbeitende Zivilgesellschaft, die sich in einer Vielzahl von Programmen auf Bundes‑, Landes- und Kommunalebene mit Demokratieförderung, (Online-)Radikalisierung sowie Deradikalisierung, Distanzierung, Rehabilitierung und Reintegration befasst.
Diese vier Säulen aus Finanzpolitik, Sicherheitsbehörden und Regelstrukturen, Think Tanks und investigativem Journalismus sowie einer starken Zivilgesellschaft bilden das Fundament der resilienten und wehrhaften Demokratie in Deutschland. Dieses Fundament muss mit Blick auf zukünftige Herausforderungen weiter ausgebaut werden.
Denn der bereits laufende nächste Test für demokratische Resilienz in Deutschland ist der Umgang mit der Klimakrise. Bei den bisherigen Protesten wegen der als unzureichend empfundenen Regierungsmaßnahmen agieren bisher nur sehr kleine Teile der Bevölkerung extrem. Eine weitere Polarisierung ist bei diesem Thema jedoch wahrscheinlich. Beispielsweise gegen denkbare gesetzliche Maßnahmen zur Einschränkungen der Konsum- und Reisefreiheit oder durch eine Radikalisierung von Gruppen und Personen, die sich für deutlich striktere Maßnahmen einsetzen. Auch hier ist davon auszugehen, dass es neben innenpolitischen Akteur:innen auch Manipulationsversuche durch andere Staaten geben wird.
Drei Empfehlungen für die Bundesregierung
Erstens: Den Nexus Innen-Außenpolitik ins Zentrum stellen. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte bei der Extremismusprävention ideologie- und phänomenübergreifende Szenarienentwicklungen mit Fokus auf den Nexus Innen-Außenpolitik ins Zentrum stellen. Die bestehenden Herausforderungen durch gesellschaftliche Polarisierung sowie die Überschneidung von innerer und äußerer Sicherheit benötigen außerdem eine langfristige Mobilisierung aller relevanten Stakeholder auf Augenhöhe. Lernende lokale, nationale, europäische und internationale Netzwerke sollten hierfür eine Grundlage bilden. Dabei steht ein Austausch über lessons learned und good practices zwischen in der Extremismusprävention und ‑bekämpfung tätigen Behörden, Zivilgesellschaft und Think Tanks im Zentrum.
Zweitens: Zivilgesellschaft fördern und professionalisieren. Die staatliche Förderung der Zivilgesellschaft sollte als Teil der kontinuierlichen ‚Betriebskosten‘ der wehrhaften Demokratie in Deutschland verstanden werden. Der im Dezember 2022 vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf für ein Demokratiefördergesetz ist hier ein wichtiger Schritt. Erstmalig wird ein gesetzlicher Auftrag des Bundes festgeschrieben, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten und zu stärken. Eine langfristige Förderung muss jedoch mit dem weiteren Ausbau von professionellen Standards und Wirkungsmessungen einhergehen. Dies stärkt auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Beschäftigten der staatlichen Regelstrukturen wie beispielsweise Bewährungshelfer:innen, Psychotherapeut:innen oder Jugendamtsmitarbeiter:innen.
Drittens: Kommunizieren, Kommunizieren, Kommunizieren. Die Bundesregierung sollte ihre auf Demokratiearbeit und Extremismusprävention fokussierte Kommunikationsstrategie online und offline ausweiten, damit Projekte und Programme die Ziele und Wirkungen ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit erklären können. Gleichzeitig darf diese Arbeit nicht als sicherheitspolitische Aufgabe verstanden werden, damit sie nicht selbst zur gesellschaftlichen Polarisierung und Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beiträgt. Dabei ist beispielsweise eine enge Kooperation auf Augenhöhe mit lokalen Communities wichtig, die von überdurchschnittlich von Extremismus betroffenen sind.
Angesichts gesellschaftlicher Polarisierung und Destabilisierungsversuchen von innen- und außenpolitischen Akteuren, muss demokratische Resilienz kontinuierlich gefördert und verteidigt werden. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie sollte deshalb dazu beitragen Deutschlands wehrhafte Demokratie aktiv und für zukünftige Herausforderungen fit zu machen.
Sofia Koller
Senior Research Analyst, Counter Extremism Project (CEP)
Alexander Ritzmann
Senior Advisor, Counter Extremism Project (CEP). Associate Fellow, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
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