Lehren aus der Panzerdebatte: Deutschland-Tempo statt US-Telefonjoker
(Sean Gallup/POOL/EPA-EFE/Shutterstock)
Für die Enscheidung, deutsche Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, hat Bundeskanzler Scholz auf Gleichschritt mit den USA bestanden. Daran problematisch ist vor allem eines: dass es eine solche Rückversicherung in Zukunft nicht mehr geben wird.
Es gebe „historische Momente“, so prophezeite Olaf Scholz laut einer Rekonstruktion seines Vorgehens in der Panzerdebatte, in denen sich „echte Staatsmänner“ über ihre Apparate hinwegsetzten. Biden habe ihn verstanden, teilte der Bundeskanzler seinem Team nach einem Telefonat mit dem US-Präsidenten am 10. Januar mit. Er sei optimistisch, dass Biden seiner Bitte entsprechen würde, gegen den Widerstand des Pentagon Abrams-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Und der Kanzler sollte recht behalten. Am 24. Januar teilte Biden Scholz genau dies mit. Scholz gab im Gegenzug grünes Licht für die Lieferung deutscher Leopard-2-Panzer an die Ukraine – der vorläufige Endpunkt einer turbulenten Panzerdebatte, in der ein auch unter einigen Expertinnen und Experten um sich greifender „#FreetheLeopards“-Aktivismus auf den Stoizismus des Kanzleramts prallte.
Welche Lektionen bietet die Panzer-Saga? Aus Sicht einer langfristig angelegten Sicherheitspolitik – die derzeit in Deutschlands erster Nationaler Sicherheitsstrategie festgeschrieben wird – ist das Kernproblem weniger das Beharren des Kanzlers auf dem Panzer-Gleichschritt mit den USA als vielmehr die Unmöglichkeit der Fortschreibung dieses Ansatzes. Scholz mag angesichts der akuten militärischen Schwäche und Verwundbarkeit Deutschlands gute Gründe für die Kettung deutscher Panzerlieferungen an entsprechende Schritte der USA gehabt haben. Doch Biden ist der letzte US-Präsident der alten transatlantischen Schule. Zukünftige Amtsinhaber im Weißen Haus werden höchstwahrscheinlich nicht mehr als Telefonjoker für die Bundesregierung zur Verfügung stehen und deutschen Bitten um maximale Risikoabsicherung entsprechen. Nur wenn Scholz dafür heute Vorsorge trifft und mit aller Macht die Stärkung der eigenen Fähigkeiten zur Selbst- und Bündnisverteidigung vorantreibt, ist sein Zeitenwende-Gesamtkonstrukt tragfähig und glaubwürdig.
» Nur wenn Scholz mit aller Macht die Stärkung der deutschen Fähigkeiten zur Selbst- und Bündnisverteidigung vorantreibt, ist sein Zeitenwende-Gesamtkonstrukt tragfähig und glaubwürdig. «
Gegen den „Big Bang“
Die konsistentesten Einwände gegen Scholz‘ Vorgehen in der Leopard-2-Frage kommen von denjenigen, die fordern, Deutschland hätte der Ukraine schon letztes Jahr alle denkbaren wirksamen Waffen zur Verfügung stellen müssen. Diesen „Big Bang“-Ansatz hat der US-Politikwissenschaftler Michael McFaul jüngst in einem Beitrag für Foreign Affairs skizziert. McFaul argumentiert, dass eine massive Aufrüstung der Ukraine mit allen verfügbaren Systemen einen Sieg Kiews noch in diesem Jahr garantieren würde. Bei Waffenlieferungen weiter vorsichtig und schrittweise vorzugehen, würde den Krieg hingegen ewig hinausziehen, weil sich eine Pattsituation bilden würde, die für die Ukraine und ihre Unterstützer sehr teuer würde.
Sorgen einer Eskalation, so McFaul, habe er anders als noch zu Beginn des Kriegs nicht mehr. Putin, so habe der Verlauf des Kriegs erwiesen, habe „keinen guten Weg“ für dieses Szenario. Er nutze schon jetzt sehr teure Cruise Missiles, um Wohngebäude anzugreifen. Einen noch größeren Krieg gegen die NATO anzuzetteln mache ebenfalls keinen Sinn, so fährt McFaul fort, da Putin diesen schnell verlieren würde. Und die nukleare Option sei auch unbrauchbar: „Jeder sei der Meinung“, so McFaul, dass ein Nuklearkrieg mit den USA ausgeschlossen sei, weil das Prinzip der „mutual assured destruction immer noch gilt“. Eine taktische Nuklearwaffe wiederum brächte Putin keine Geländegewinne im Krieg und führe gleichzeitig dazu, dass sich einerseits auch Peking gegen Putin wende und andererseits es mehr Widerstand in der russischen Gesellschaft gebe.
Aus dieser Sicht ist klar, dass Deutschland schon viel früher kraftvolle deutsche Kampfpanzer hätte liefern sollen. Und Scholz‘ Vorgehen wäre dann nichts anderes als eine Verzögerungstaktik, die den ukrainischen Sieg unterminiert hat – ob aus unbegründeter Eskalationsangst oder sinisteren Motiven, die ihm manche Kritiker unterstellen (sei es Theorien einer Erpressung des Kanzlers durch russisches Kompromat oder die Behauptung, er hege die Hoffnung, mit Putin schnell wieder ins Geschäft zu kommen). Der in Diensten des ZDF stehende Komiker Jan Böhmermann etwa fragte: „Was weiß Russland über Olaf Scholz, was wir nicht wissen?“. Wenn zentrale Gesichter eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Verschwörungstheorien Vorschub leisten, ist dies eine sehr eigenwillige Interpretation des Gründungsgedankens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ähnlich hatte jedoch schon der ehemalige Financial Times-Kolumnist und heutige Herausgeber des Bezahldienstes EuroIntelligence Wolfgang Münchau im letzten Jahr argumentiert, dass man Scholz‘ Handeln entweder nur durch die Existenz kompromittierenden Materials oder eine Geheimabsprache mit Putin im Dienste deutscher Wirtschaftsinteressen erklären könne.
Froschkochkunst
Der Bundeskanzler sieht die Selbstgewissheit, mit der ein Michael McFaul deklariert, dass Putin keine guten Eskalationsoptionen mehr habe, erklärtermaßen mit großer Skepsis. Dass Putin bislang nicht massiver gegen westliche Waffenlieferungen eskaliert hat, führt Scholz auf das vorsichtige schrittweise Vorgehen des Westens zurück. Bei der Anwendung dieser „Boiling the Frog“-Methode sieht er sich wiederum als vollkommen auf einer Linie mit US-Präsident Biden: Nur wenn man das Wasser sehr behutsam erhitzt, verhindere man, dass der Frosch aus dem Topf springt. Der Frosch in dieser Erzählung heißt Wladimir Putin, die weisen Froschkochkönige sind Biden und Scholz. Nur wenn man also westliche Waffensysteme schrittweise liefere, könne man die Gefahr eine Eskalation Putins einhegen. Anders herum könne eine „Big Bang“-Methode à la McFaul gerade zu dem großen Knall führen, den man vermeiden will.
Dabei geht es, wenn man den anonymen Verlautbarungen des Scholz-Teams gegenüber Medien folgt, bei den Eskalationsrisiken nicht rein um nukleare Optionen. Auch konventionell habe Putin Eskalationsmöglichkeiten, etwa durch massive Schläge gegen die Zivilbevölkerung oder Angriffe auf für Deutschland wichtige kritische Infrastruktur, wie etwa die Erdgaspipeline aus Norwegen, über die Deutschland gegenwärtig über 40 Prozent der Gasimporte deckt. Und biologische und chemische Waffen befinden sich auch noch in Putins Arsenal. Auch wenn nach dem letzten G20-Treffen auf Bali in den Worten des Kanzlers für den Augenblick ein „Pflock eingeschlagen“ ist – auch China hat Russlands nukleare Drohungen dort klar verurteilt – ist die Gefahr einer Eskalation durch den Einsatz von Atomwaffen nicht komplett gebannt. Jeremy Shapiro hat die Eskalationslogik klar nachgezeichnet. Und es ist nicht einfach „Selbstabschreckung“, um einen vom Militärhistoriker Sönke Neitzel benutzten Begriff zu bemühen, wenn man diese Risiken ernst nimmt. Denn: nukleare Abschreckung ist eben nicht nur für die andere Seite da (damit sich der Kreml fürchtet), wie die Rede von der „Selbstabschreckung“ selbstgefällig anzunehmen scheint.
» Auch wenn man ein vorsichtiges Froschkochen tendenziell für die richtige Methode hält, kann man sehr unterschiedlicher Auffassung über angemessene Temperatursprünge und die Geschwindigkeit sein. «
Der Kanzler hingegen sagt, es gebe „keine absolute Wahrheit“ beim sorgsamen Abwägen der Konsequenzen des eigenen Handelns in einer brandgefährlichen Situation. Dass sich Scholz dabei nicht auf die optimistischen Annahmen eines Michael McFaul verlassen mag, kann man durchaus beruhigend finden. Das heißt jedoch ganz und gar nicht, dass man dem Kanzler perfekt orchestriertes „vierdimensionales Froschkoch-Schach“ (um eine Formulierung Frank Sauers aufzugreifen) unterstellen sollte. Expertinnen wie auch Bürger können und sollten jeden Aspekt der Entscheidung für Panzerlieferungen hinterfragen. Auch wenn man ein vorsichtiges Froschkochen tendenziell für die richtige Methode hält, kann man sehr unterschiedlicher Auffassung über angemessene Temperatursprünge und die Geschwindigkeit sein. Man kann auch zu der Überzeugung kommen, dass die Lieferung westlicher Kampfpanzer hätte früher vonstatten gehen können und sollen, damit die Ukraine gegen die erwartete Frühjahrsoffensive Moskaus bestmöglich gewappnet ist und ihrerseits in die Offensive gehen kann.
Eine Studie des Institute for the Study of War etwa beschreibt die verpassten Chancen für die Ukraine im ersten Kriegsjahr, als das Land die russische Schwäche und Fehler nicht vollends ausnutzen konnte, weil wichtige Waffensysteme von den Partnern nur zögerlich geliefert wurden. Der Frust darüber, dass der Kanzler immer bis zum letzten Moment wartet, um dann auf den schon fahrenden Zug aufzuspringen (und jetzt auch noch erfolgreich Bedingungen durchsetzt, welches Gut mitfährt), ist verständlich. Ob jetzt allerdings die von politischen Kommentatorinnen und Kommentatoren dramatisierten vier Tage Wartezeit zwischen dem Treffen der Partner in Ramstein und der Entscheidung des Kanzlers den deutschen Ruf für alle Zeiten ruiniert haben, daran kann man berechtigte Zweifel anmelden.
Man kann sicher auch zur Überzeugung kommen, dass die Kommunikation des Kanzleramts während des gesamten Prozesses unzureichend war. Scholz kann natürlich nicht vor die Nation treten und detailliert über mögliche Eskalationsszenarien und Risiken sprechen. Das Kanzleramt hätte jedoch beispielsweise, wie mein GPPi-Kollege Philipp Rotmann vorgeschlagen hat, die Ergebnisse professionell angeleiteter Planspiele an die Medien durchstechen können, um die Debatte über mögliche Risiken zu schärfen, ganz wie dies auch in den USA Praxis ist.
Tandemsprung
Dass Scholz darauf besteht, bei der Frage von Waffenlieferungen möglichst im Gleichschritt mit den NATO-Verbündeten zu agieren, ist in Deutschland vergleichsweise unumstritten. Wie dieser Gleichklang jedoch orchestriert wird, auch darüber kann man sehr berechtigt streiten. Von „Gleichklang durch Hinterhertrotten“ bis hin zu „durch Eigeninitiative Gleichklang-Allianzen schmieden“ gibt es ein breites Spektrum. Kritiker merken an, dass sich Scholz meist auf das Mitlaufen konzentriere. Selbst beim Waffensystem, bei dem der „Leopard-Nation“ Deutschland (Zitat Boris Pistorius) eine herausragende Bedeutung zukommt, lehnte Scholz es ab, frühzeitig eine europäische Allianz aller den deutschen Kampfpanzer einsetzenden Staaten zu schmieden. Den Vorschlag aus einem Papier des European Council on Foreign Relations hatten auch einige SPD-Politiker wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, aufgegriffen. Die immer lauteren Rufe nach „deutscher Führung“ und „#FreetheLeopards“ (auch und gerade aus der Ukraine sowie aus Polen und dem Baltikum) prallten am Kanzler ab. Nicht nur die Reputation Scholz‘ sondern auch Deutschlands hat, so kann man begründet vermuten, in diesen Ländern durch den als Zögern wahrgenommenen Kurs des Kanzlers Schaden genommen.
Als Scholz sich dann doch einmal durch entschlossene Eigeninitiative auszeichnete, beim Schmieden der Abrams-Leopard-Allianz, erntete dies ebenfalls starke Kritik. Einige argumentierten, Scholz habe nur auf diesem Gleichschritt mit den USA bestanden, um die Lieferung zu verzögern oder sogar ganz zu verhindern, da er von einem Korb aus Washington ausging. Das entbehrt natürlich einerseits jeder Grundlage und sagt gleichzeitig etwas über das Misstrauen aus, das der Agenda des Bundeskanzlers entgegenschlägt. Die Motivation des Kanzlers war indes eine andere: Scholz sah deutsche Kampfpanzerlieferungen ohne den Gleichschritt mit den USA als unverantwortlich und gefährlich an, wie er nach der Entscheidung auch öffentlich argumentierte.
Dass Großbritannien Kampfpanzer zugesagt hatte und Polen bereitstand für gemeinsame Leopard-Lieferungen reichte Scholz als Flankierung der deutschen Lieferungen offenbar nicht aus. Der Kanzler, so berichtet sein Umfeld, sieht Deutschland als Nicht-Nuklearmacht mit einer nicht voll einsatzbereiten Bundeswehr als militärisch so schwach und verwundbar an, dass es die bestmögliche Rückversicherung für die Risiken einer Lieferungen deutscher Kampfpanzer in europäisches Kriegsgebiet – also ein Panzer-Tandem mit der Supermacht USA – braucht. Man strebe zwar ein „geopolitisch starkes und souveränes Europa“ an, so Scholz im Interview mit dem Tagesspiegel, aber das sei noch Zukunftsmusik. Deshalb sei sein heutiges Insistieren auf dem Abrams-Leopard-Gleichschritt kein Widerspruch zum Ziel der europäischen Souveränität.
Nun kann man argumentieren, dass Artikel 5 des NATO-Vertrags sowie die sonstigen sehr weitreichenden Waffenlieferungen der USA an die Ukraine als Rückversicherung für Deutschland hätten ausreichen sollen, sodass es der Sonderabsicherung durch die Abrams-Panzer nicht bedurfte. Dieser Meinung neige ich beispielweise zu. Doch wie Carlo Masala jüngst bei Anne Will erinnerte, steht Scholz‘ Insistieren auf dem Schulterschluss mit den USA in der direkten Tradition deutschen strategischen Denkens im Kalten Krieg. Artikel 5 – gerne als „Beistandsverpflichtung“ interpretiert – ist kein Automatismus. Und Sorgen darüber, ob die amerikanische Abschreckung gegen Angriffe auf Europa wirklich wirksam ist, trieben auch schon Helmut Schmidt um, weshalb dieser die USA von der Notwendigkeit des NATO-Doppelbeschlusses überzeugte. Zur Erinnerung: Das war in einer Zeit mit einer viel besser ausgestatteten Bundeswehr und einer weit größeren US-Truppenpräsenz in Europa, insbesondere in Deutschland.
Für das öffentliche Unter-Druck-Setzen Bidens gibt es Abzüge in der diplomatischen Haltungsnote Deutschlands, aber Scholz‘ Strategie ist auch aus historischer Perspektive alles andere als unbegründbar. Umso bemerkenswerter ist es, dass zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer der deutschen Debatte in den letzten Wochen die Stichworte des Pentagons dazu, warum die Abrams-Panzer für die Ukraine nicht geeignet seien, unhinterfragt wiederholten, statt mögliche gute Argumente für das Beharren des Kanzlers auf den Abrams-Lieferungen auch nur in Erwägung zu ziehen.
Mehr Tempo, bitte
Letztlich ist es für die zukünftige strategische Aufstellung Deutschlands egal, ob man das Bestehen auf dem Panzer-Gleichschritt mit den USA für angebracht hält oder nicht. Entscheidend ist, dass Deutschland in Zukunft nicht mehr davon ausgehen kann, von den USA solche Sonderwünsche erfüllt zu bekommen. Künftige Kanzler oder Kanzlerinnen können froh sein, wenn die Vereinigten Staaten überhaupt weiter als verlässliche Schutzmacht Europas zur Verfügung stehen. Ein sicherheitspolitisches Rundum-Sorglos-Paket wie unter Biden im Ukraine-Krieg wird es unter einem Nachfolger, ob Demokrat oder Republikaner, auch im besten Fall nicht mehr geben – zu groß sind der Druck und die Notwendigkeit, dass sich die USA stärker um die Sicherheit im Indo-Pazifik kümmern und dem reichen Kontinent Europa in puncto eigene Verteidigungsfähigkeit mehr abverlangen.
Für den Kanzler heißt das, dass seine neue Sicherheitsstrategie nur tragfähig und glaubwürdig ist, wenn seine Regierung alles daransetzt, die Fähigkeitslücke Deutschlands und Europas im Sinne der „europäischen Souveränität“ so schnell wie möglich zu schrumpfen – und zwar mit dem „Deutschland-Tempo“, das Scholz in Bezug auf die Geschwindigkeit beim jüngsten Bau deutscher Flüssiggasterminals als neues Leitbild ausgegeben hat. Mehr als elf Monate nach Kriegsbeginn ist davon bislang zu wenig zu spüren. Durch die notwendige Abgabe von Material an die Ukraine, welches die Rüstungsindustrie nicht schnell kompensieren kann, ist die Bundeswehr in diesem Zeitraum sogar eher weniger einsatzfähig geworden. Von einem Deutschland-Tempo ist im Zusammenspiel von Kanzleramt, Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie bei der Schließung dieser Lücken zumindest von außen betrachtet bislang also wenig zu sehen.
» Der Ausbau deutscher Fähigkeiten ist ein Projekt, das Ungeduld voraussetzt – und eines, das den Kanzler schnell mit der eigenen Partei und seinen Koalitionspartnern in schwierige haushaltspolitische Fahrwasser bringen wird. «
„Vertrauen Sie mir. Ich behalte die Nerven“ ist als Kanzler-Leitbild für diese Aufgabe, anders als bei einsamen Entscheidungen über Waffenlieferungen an die Ukraine, wenig tauglich. Der Ausbau deutscher Fähigkeiten ist ein Projekt, das Ungeduld voraussetzt – und eines, das den Kanzler schnell mit der eigenen Partei und seinen Koalitionspartnern in schwierige haushaltspolitische Fahrwasser bringen wird. Es ist absehbar, dass die Wiederinstandsetzung der Verteidigungsfähigkeit einen starken Anstieg des Verteidigungshaushaltes erfordert. Der Trick mit dem Sondervermögen zur Umgehung der Schuldenbremse steht höchstwahrscheinlich nicht unbegrenzt als Aushilfstrumpf zur Verfügung. Wir werden in Deutschland schon sehr bald eine toxische Debatte über die richtige Abwägung zwischen Verteidigungs- und anderen Investitions- und Sozialausgaben erleben.
Weil Biden die USA als sich großväterlich um Europa sorgende Macht präsentiert und sich Putins Armee als weniger schlagkräftig als befürchtet herausgestellt hat, fühlen heute viele eine weniger starke Dringlichkeit, wenn es darum geht, Deutschlands Verteidigungsfähigkeit wieder herzustellen, als dies noch unmittelbar nach dem Schock des 24. Februar 2022 der Fall war. Es wäre jedoch einer der größten Fehler, den Deutschland machen könnte, sich auf die Fortschreibung des Status Quo mit Biden zu verlassen und verteidigungspolitisch weiterhin im Schnecken- statt im Deutschland-Tempo zu fahren. Diesen Fehler zu vermeiden, daran werden sich Erfolg und Misserfolg der Nationalen Sicherheitsstrategie – und der Zeitenwende-Agenda insgesamt – zuallererst messen lassen müssen.
Thorsten Benner
Gründer & Direktor, Global Public Policy Institute (GPPi)
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