Article by Antonia Witt

Friedenspolitik kohärent gestalten: Mehr als nur ein prozedurales Ziel

Posted in Crises Abroad: Prevention, Response, Stabilization
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Statt sich nur gut abzustimmen, müssen zuständige Ressorts und Politikbereiche auch auf inhaltlich kohärente Ziele hinarbeiten. Nur so kann nachhaltige deutsche Friedenspolitik gelingen.

Im Mai 2024, spätestens, wird der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UN-Mission MINUSMA enden. Er ist Teil des aktuell umfangreichsten Vor-Ort-Engagements Deutschlands in Krisen- und Konfliktkontexten, das wesentlich mehr als nur die militärische Komponente umfasst. Denn anders als es die öffentliche Debatte vermuten lässt, sind in Mali sieben Ressorts mit Projekten und Programmen aktiv, vier davon mit Personal vor Ort. Obwohl sich im Zeichen der Zeitenwende alles um nationale Sicherheit, Verteidigung und Bündnispolitik dreht – das internationale Engagement im Bereich der Konfliktprävention und Friedensförderung weltweit wird nicht aus dem außenpolitischen Alltag verschwinden. 

Dafür spricht einerseits, dass Krisen und Konflikte andernorts weiterhin Auswirkungen auf die Sicherheit in Deutschland haben. Ein Engagement ließe sich also selbst aus Gründen der nationalen Sicherheit rechtfertigen. Andererseits bleibt, dass deutsches Engagement in diesem Bereich, insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen, immer auch ein Beitrag zur Stärkung einer regelbasierten, multilateralen Ordnung ist. Ein Engagement, das gerade in Zeiten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine höchst relevant und notwendig ist. 

Ressortgemeinsam arbeiten und kohärent handeln

Ein Maßstab für das zukünftige deutsche Engagement im Bereich der Krisenprävention und Friedensförderung sollte die tatsächliche Umsetzung des Anspruchs ressortgemeinsamen zu arbeiten sein. Denn gerade in Krisen- und Konfliktkontexten wirken verschiedene Politikbereiche in komplexer Weise aufeinander und beeinflussen, ob einzelne Maßnahmen Erfolg haben oder nicht. So kann militärisches Engagement die Neutralität humanitärer Maßnahmen ermöglichen, aber auch gefährden. Internationale Finanzpolitik und Lieferketten können notwendige Investitionen erzielen und wirtschaftlichen Wiederaufbau fördern, aber auch korrupte Eliten stützen und Gewaltakteuren entscheidende Finanzierungsquellen bieten. Maßnahmen der polizeilichen Zusammenarbeit können Grenzen sichern, aber auch zu Menschenrechtsverletzungen und Marginalisierung führen.


» Regierungsvertreter:innen verstehen kohärentes Handeln vornehmlich prozedural. Das führt aber nicht zu inhaltlicher Kohärenz. «

— Antonia Witt

Das Ziel, kohärent zu handeln, ist mittlerweile ein politischer Allgemeinplatz. Im Koalitionsvertrag kündigt die Bundesregierung an, die Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg verbessern“ zu wollen. Außenministerin Annalena Baerbock betonte dies ebenfalls in ihrer Auftaktrede zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie. Auch das Stabilisierungskonzept des Auswärtigen Amts spricht in diesem Sinn von einem integrierten Friedensengagement“, welches den vollen Instrumentenkasten“ verlangt. 

Der Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung hat dafür den Begriff friedenspolitische Kohärenz‘ geprägt. Damit ist das Zusammenwirken verschiedener Politikbereiche hinsichtlich des übergeordneten Ziels der Förderung nachhaltigen Friedens“ gemeint. Unterschiedliche Politikbereiche sollen sich also nicht nur miteinander koordinieren oder abstimmen, sondern gemeinsam der Förderung nachhaltigen Friedens zuarbeiten. In einer Studie im Auftrag des Beirats haben meine Kolleg:innen Simone Schnabel, Baba Dakono, Abdoul Karim Saidou und ich untersucht, inwieweit das deutsche Engagement in Mali und Niger diesem Anspruch gerecht wird. Ergebnis: Regierungsvertreter:innen verstehen und setzen kohärentes Handeln bisher vornehmlich prozedural um. Sie verstehen unter kohärentem Handeln Koordination und Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ressorts in mehr oder weniger institutionalisierter Form. Dies hat aber nicht zu einer inhaltlichen Kohärenz geführt. Also bisher kein geteiltes Verständnis in den Ressorts davon hervorgebracht, was die Förderung nachhaltigen Friedens eigentlich bedeutet und wie dieser Frieden zu erreichen ist. Was sind also die Lehren für und Anforderungen an friedenspolitisch kohärentes Handeln in der deutschen Krisenprävention und Friedensförderung?

Wirkungslogiken und Wirkungsannahmen beachten

Erstens verlangt kohärentes Handeln eine ressortgemeinsame Auseinandersetzung über Wirkungslogiken und Wirkungsannahmen. Es reicht nicht aus, die diversen Aktivitäten der Ressorts als komplementär – aber nebeneinander – darzustellen. Vielmehr müssen sich die Ressorts über die Vorstellungen austauschen, wie die einzelnen Maßnahmen zusammenwirken und welche empirisch belastbaren Erkenntnisse es für diese Annahmen gibt. 

Das zeigt auch die AA/BMZ-gemeinsamen Evaluierung des Irak-Engagements. Diese hat beiden Ressorts unzureichend explizite Wirkungsmodelle attestiert. So haben sich die konkurrierenden Logiken gegenseitig behindert. Die Evaluierung empfiehlt ein wirkungsorientiertes, konflikt- und geschlechtersensibles Monitoring-System auf ressortgemeinsamer strategischer Ebene“, um die gewonnenen Erkenntnisse zur Steuerung nutzbar zu machen. Ein solches Monitoring ist absolut begrüßenswert, verlangt aber zunächst, dass Wirkungsmodelle nicht nur implizit, sondern explizit formuliert werden – und das über verschiedene Ressorts hinweg.


» Eine kohärente Friedensförderung muss wesentlich stärker die Wirkung einzelner und kombinierter Politiken beachten. «

— Antonia Witt

Natürlich lässt sich das deutsche Engagement in Krisen- und Konfliktkontexten nicht isoliert betrachten. Es findet in hoch komplexen Zusammenhängen statt, in denen meist eine Vielzahl an Gebern und Akteuren nebeneinander und miteinander Maßnahmen umsetzt. Eine kohärente Friedensförderung muss also wesentlich stärker die Wirkung einzelner und kombinierter Politiken beachten. Das Stabilisierungskonzept des Auswärtigen Amts benennt zu Recht, dass es in der Friedensförderung immer wieder zu Zielkonflikten kommen kann. Aber das genaue Abwägen und die Suche nach angepassten Lösungen“ verlangt eben gerade einen transparenten, evidenzbasierten Umgang mit Wirkungsannahmen. Denn nur so können die Verantwortlichen darüber entscheiden, welches Ziel mit dem größtmöglichen Nutzen für den Frieden am wahrscheinlichsten erreicht werden kann. 

Auseinanderklaffen der Perspektiven überwinden

Zweitens verlangt kohärentes Handeln auch die Überwindung der Diskrepanz zwischen der Vor-Ort-Perspektive und der aus Berlin/​Bonn. Das Auseinanderklaffen der jeweiligen Logiken ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung ein altbekanntes Problem. Die gegenwärtige Dominanz der Berlin/Bonn-Perspektive in der strategischen Planung beißt sich aber mit der immer wieder beschworenen Relevanz von ownership und Partnernähe. Wer diese Prinzipien ernst nimmt, muss die Strukturen vor Ort stärken. Das verlangt eine bessere personelle Ausstattung der Botschaften und eine flächendeckendere Kontaktbasis mit einer breiten Anzahl an lokalen Akteuren, insbesondere über die Hauptstädte hinaus.

Kohärent kommunizieren

Drittens verlangt kohärentes Handeln auch eine kohärente Kommunikation. Internationale Stabilisierung und Friedensförderung sind zunehmend öffentlicher Kritik und Skepsis ausgesetzt. Das gilt sowohl für die deutsche Öffentlichkeit als auch für viele Zielländer. Die Bevölkerungsbefragung der Bundeswehr zeigt, dass die Mehrheit der deutschen Gesellschaft Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen des internationalen Krisenmanagements insgesamt eher kritisch bewertet“. 2022 gaben nur 38% der Befragten an, den Einsatz im Rahmen der MINUSMA in Mali zu befürworten; beim Bundeswehreinsatz im Rahmen der EU-Trainingsmission in Niger waren es nur 36%. Gleichzeitig zeigen die Umfragen den geringen Wissenstand der Deutschen über Auslandseinsätze. Und, dass diejenigen, die sich unzureichend über Auslandseinsätze informiert fühlen, ihnen wesentlich kritischer gegenüberstehen. Die öffentliche Kommunikation des Mali-Engagements ist hier sicherlich ein Negativbeispiel: Sie war getrieben von Assoziationen aus Afghanistan statt aus Mali, verkürzt auf das Engagement der Bundeswehr und immer wieder geprägt von öffentlich ausgetragenen Ressortstreits. Das alles hat wenig geholfen ein informiertes Verständnis darüber zu generieren, was friedenspolitisches Engagement in Mali leisten kann und warum es unter welchen Bedingungen sinnvoll ist.


» Strategische Kommunikation wird in Zukunft für den Erfolg von Maßnahmen der Krisenprävention und Friedensförderung noch wichtiger. «

— Antonia Witt

Auch in den Zielländern wird in Zukunft eine aktive und kohärente Kommunikation des deutschen Engagements notwendig sein. In Mali aber auch in Niger und Burkina Faso ist insbesondere in den Hauptstädten die Skepsis gegenüber externen Friedensbemühungen gestiegen. Politisch Opportunist:innen können zudem Frustrationen über die sicherheitspolitische und ökonomische Lage leicht zur politischen Mobilisierung ausnutzen. Strategische Kommunikation über Deutschlands Engagement, insbesondere das sicherheitspolitische, wird deshalb in Zukunft für den Erfolg von Maßnahmen der Krisenprävention und Friedensförderung noch wichtiger. Dafür braucht es Transparenz über die Ziele und Wirkungsannahmen des Engagements – und auch über Veränderungen und Fehleinschätzungen. Es verlangt auch Instrumente, um gezielt gegen parallele Öffentlichkeiten und Fake News vorzugehen, etwa durch datengestütztes Fake News Tracking. Doch Daten alleine reichen nicht aus. Kontext- und konfliktsensible Expert:innen müssen diese interpretieren und eingeordnen. Denn nur wer bereit ist zu verstehen, warum sich bestimmte Deutungsmuster und Narrative festsetzen, kann besser und erfolgreicher kommunizieren. 

Strategie für schwierige Partner

Viertens braucht kohärentes Handeln eine klare Strategie zum Umgang mit schwierigen Partnern‘. Maßnahmen der Stabilisierung und Friedensförderung finden meistens in Kontexten statt, in denen Partnerregierungen (und andere Akteure) nicht notwendigerweise das friedenspolitische Leitbild der Bundesregierung teilen. Angesichts einer zunehmenden Geopolitisierung von Krisen- und Konfliktkontexten weltweit wird sich diese Tatsache vermutlich noch verschärfen. Dafür muss das friedenspolitische Engagement einer Gesamtstrategie folgen, die es erlaubt Zielkonflikte mit diversen Partnern überhaupt erst zu identifizieren sowie Prioritäten und rote Linien im Umgang mit ihnen zu definieren. Die Leitlinien der Bundesregierung geben dem Schutz der Menschenrechte zu Recht einen großen Stellenwert im friedenspolitischen Engagement. Sie sollte diese Werte als Maßstab für die Bewertung von Partnern nutzen. Dennoch ist auch klar, dass ein an den Sicherheitsverständnissen und ‑bedürfnissen der Partner vorbeigehendes internationales Friedensengagement weder die friedenspolitischen Ziele noch die Idee einer vernetzten Sicherheit erfüllen wird.

Kernpunkte:

  1. Unterschiedliche Ressorts sollten sich nicht nur koordinieren, sondern inhaltlich kohärent und evidenzbasiert der Förderung nachhaltigen Friedens zuarbeiten. 
  2. Kohärentes Handeln verlangt die Überwindung der Diskrepanz zwischen der Vor-Ort-Perspektive und der aus Berlin/​Bonn.
  3. Strategische, transparente und kohärente Kommunikation über Deutschlands Engagement ist essentiell für dessen Erfolg.
  4. Der Schutz der Menschrechte sollte der Maßstab für den Umgang mit schwierigen Partnern sein. 

Zeitenwende und Geopolitisierung internationaler Friedenseinsätze werden das Engagement der Bundesrepublik in Krisen- und Konfliktkontexten weder weniger notwendig noch leichter machen. Umso wichtiger ist es, das Engagement so auszurichten, dass es den größtmöglichen Nutzen für den Frieden hat. Das verlangt auch nach mehr Kohärenz. Ein kohärentes Engagement für Krisenprävention und Friedensförderung ist weit mehr als nur ein prozedurales Ziel, das sich aus der Koordination verschiedener Ressorts ergibt. Vielmehr verlangt es nach: geteilten Wirkungsmodellen und deren permanenter, ressortgemeinsamer Überprüfung und Anpassung; nach einer institutionellen Stärkung der Vor-Ort-Perspektive; nach einer kohärenten Kommunikation gegenüber der deutschen Öffentlichkeit und im Zielland sowie nach klaren Strategien für den Umgang mit schwierigen Partnern‘.


Antonia Witt

Senior Researcher, Peace Research Institute Frankfurt

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