Kompass statt Kleinklein: Feministische Perspektiven in der Sicherheitspolitik verankern

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(HANNIBAL HANSCHKE/EPA-EFE/Shutterstock)

Posted in Big Picture: Key Priorities for Germany's National Security Strategy
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Sowohl die Nationale Sicherheitsstrategie als auch die Leitlinien feministischer Außenpolitik müssen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft bieten. Jetzt ist der Moment, um Silos aufzubrechen, Synergien zu nutzen und feministische Perspektiven fest im sicherheitspolitischen Diskurs zu etablieren.

Anfang März stellten Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze die Leitlinien ihrer Ministerien für feministische Außen- und Entwicklungspolitik vor. Das Auswärtige Amt beschreibt darin die Wahrung der Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen, gleichberechtigte Repräsentation sowie den entsprechenden Zugang zu und die Verteilung von Ressourcen als Ziele einer feministischen Außenpolitik. Diesen 3‑R“-Ansatz – Rechte, Repräsentation, Ressourcen – hatte schon Vorreiterin Schweden 2014 als Goldstandard feministischer Außenpolitik geprägt. Mit den Leitlinien Feministische Außenpolitik gestalten“ erklärt das Amt nun sein umfassendes Verständnis des Konzepts sowie seine praktische Herangehensweise. 

Nun sollte es vor allem darum gehen, feministische Außenpolitik in alle Felder des sicherheitspolitischen Diskurses und Handelns zu übersetzen, denn: der Ansatz ist ja kein isoliertes Thema, sondern impliziert eine ganze Arbeits- und Denkweise, die themenübergreifend relevant ist – ob nun sexuelle und reproduktive Gesundheit oder nukleare Nichtverbreitung am Persischen Golf diskutiert werden. Vor dem Hintergrund der in Kürze erscheinenden Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung stellt sich daher die Frage, wie die Umsetzung beider Strategien am besten gemeinsam gelingen kann.


» Feministische Außenpolitik ist ja kein isoliertes Thema, sondern impliziert eine ganze Arbeits- und Denkweise, die themenübergreifend relevant ist. «

— Barbara Mittelhammer

Vielschichtiger Ansatz mit Potenzial

Die zehn Leitlinien einer deutschen feministischen Außenpolitik umspannen eine Reihe an Politikbereichen – von Frieden und Sicherheit, Krisenprävention, Stabilisierung und humanitärer Hilfe, über die Klimakrise, Außenwirtschaftspolitik und gesellschaftliche Diversität hin zur Reform regierungsinterner Strukturen und Prozesse. 

Als Instrumente werden darin das sogenannte Mainstreaming“ – also eine ministeriumsübergreifende Verankerung und Umsetzung – feministischer Prinzipien im Auswärtigen Amt, die Zusammenarbeit mit Multiplikator:innen auf europäischer und internationaler Ebene, ein genderbewusster Einsatz und eine entsprechende Vergabe von Mitteln (Stichwort Gender Budgeting“), und ein Monitoring zur Weiterentwicklung des Konzepts definiert. In ihrer weitreichenden Formulierung sind die Leitlinien durchaus ein Meilenstein in Sachen feministischer Ambition, auch wenn Umsetzung und Entwicklung sich weiter gegen Widerstände werden behaupten müssen. 

Kernpunkte:

  1. Feministische Außenpolitik und nationale Sicherheitspolitik sollten ineinandergreifen, um für die Risiken und Herausforderungen der Zukunft einen praktischen Kompass zu liefern.
  2. Feministische Expertise sollte sowohl auf der Gestaltungsebene von Politik als auch im sicherheitspolitischen Diskurs fest integriert werden.
  3. Um sowohl die Sicherheitsstrategie als auch die Leitlinien feministischer Außenpolitik effektiv umzusetzen, braucht es mehr Investitionen in entsprechende Kapazitäten, übergreifende Netzwerke für Expert:innen und einen stärkeren Einbezug der Öffentlichkeit.

In den nächsten Monaten und Jahren wird sich feministische Außenpolitik an konkreten Fortschritten auf der Ebene der 3‑R messen lassen müssen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Es wären bereits Erfolge, wenn die Leitlinien dazu führten, dass Deutschland an der chronischen Unterfinanzierung feministischer Organisationen weltweit ansetzt oder, wie erklärt, bis 2025 insgesamt 100% der humanitären Hilfe und 85% der Projektmittel gendersensibel einsetzen würde. 

Besonderes Potential liegt jedoch in der Vielschichtigkeit des Ansatzes: Über diverse, gleichberechtigte Teilhabe und inklusive Prozesse hinaus will feministische Außenpolitik blinde Flecken identifizieren und die Komplexität der Realität insgesamt besser abbilden. 

Von der Strategie zur Umsetzung

Feministische Außenpolitik ist (auch) Sicherheitspolitik. Die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen sind maßgeblicher Indikator für die Friedfertigkeit eines Landes. Die Inklusivität und Diversität von Friedensprozessen wiederum dienen als Gradmesser für deren langfristige Wirksamkeit. Der Blick auf die drei Ebenen Politikgestaltung, Ressourcen und Netzwerke kann helfen, zu diskutieren, wie feministische Außenpolitik und Nationale Sicherheitsstrategie ineinandergreifen können. Schließlich sollten am Ende des Entwicklungsprozesses für letztere Ergebnisse auf der Höhe der Zeit stehen, soll heißen: strategische Leitplanken, die gleichermaßen die Bedrohung durch autokratische Aggressoren, aktuelle Risiken für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die Klimakrise als Sicherheitsthema erfassen. Beide Dokumente zusammen können einen praktischen Kompass für die genannten Herausforderungen liefern. Wie kann das konkret gelingen?

Feministische Expertise auf der Policy-Ebene integrieren

Im Sinne des Credos integrierte Sicherheit, welches der Nationalen Sicherheitsstrategie zugrunde liegen soll, griffe ein Dokument, das rein im Denken militärischer Abschreckung verhaftet bleibt, zu kurz. Vielmehr geht es gerade auch darum, welches Sicherheitsverständnis in der Strategie zum Ausdruck kommt – und inwiefern darin vermeintliche Gegensätze zwischen Werten und Interessen überwunden werden. Ein feministisches Verständnis erkennt menschliche Sicherheit und strukturelle Ungleichheiten als zentrale Treiber von Gewalt und Konflikten an. Entsprechend bilden Faktoren wie Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte keinen unmittelbaren Gegensatz zu sondern stellen den Kern sicherheitspolitischer Interessen dar. Sicherheitspolitische Dilemmata lassen sich auch aus dieser Perspektive nicht auflösen, aber präziser benennen, was wiederum notwendig ist, um sie langfristig zu überwinden. 

Die Entwicklung einer neuen Chinastrategie ist dafür nur ein Beispiel. Ein öffentlich gewordener erster Entwurf greift zentrale Spannungsfelder, beispielsweise die Menschenrechtssituation im Land, die Risiken wirtschaftlicher Abhängigkeiten, militärische Aufrüstung, den Umgang mit Taiwan oder nicht zuletzt die internationale Klimapolitik, auf. Ein feministischer Ansatz könnte neue Impulse für die Debatte liefern, indem die Situation von Frauen- und Menschenrechten in China zusammen mit der Rolle militarisierter Maskulinität als relevante Indikatoren erfasst würden. Auch könnte das breitere Verständnis feministischer Sicherheit genutzt werden, um Politiken zu entwickeln, die China als systemischer Rivalin auf internationaler Ebene Alternativen entgegensetzen – von Impfdiplomatie über Infrastrukturprojekte hin zu politischen Projekten, die auf alternativen Verständnissen von Maskulinität aufbauen. Auf Basis solcher Abwägungen können Entscheidungen auch insgesamt informierter und fundierter getroffen werden, im Wissen, dass eine feministische Herangehensweise die Analyse politischer Szenarien um bis dato vernachlässigte Realitäten bereichert.


» Faktoren wie Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte bilden keinen unmittelbaren Gegensatz zu sondern stellen den Kern sicherheitspolitischer Interessen dar. «

— Barbara Mittelhammer

Unerwarteter Risiken frühzeitig zu erkennen und richtig einzuschätzen ist eine der größten strukturellen Herausforderungen im sicherheitspolitischen Diskurs. Deshalb braucht es Instrumente, die dabei helfen, tradierte Annahmen stärker zu hinterfragen. Feministische Expertise im Auswärtigen Amt zu stärken, beispielsweise durch Trainings, ist ein erster Schritt in diese Richtung. Auch könnte es helfen, feministische Expert:innen oder zivilgesellschaftliche Akteur:innen in die Szenarienentwicklung und Politikplanung konsequenter miteinzubeziehen. Ein Beispiel wären gemeinsame do no harm“-Analysen mit der feministischen Zivilgesellschaft. Ziel wäre es, politische Maßnahmen, wie beispielsweise Sanktionspakete, so zu entwickeln und zu gestalten, dass sie effektiv ohne negative Auswirkungen auf besonders schutzbedürftige Gruppen umgesetzt werden können. Das würde sowohl die Nationale Sicherheitsstrategie robuster machen, als auch die Umsetzung der Leitlinien feministischer Außenpolitik stärken.

Ausreichend in langfristige Synergien investieren

Die Ereignisse der letzten 13 Monate, samt Zeitenwende und Sondervermögen für die Bundeswehr, machen den im Rahmen des Koalitionsvertrages diskutierten gleichwertigen Aufwuchs von Militärhaushalt, Entwicklungszusammenarbeit und diplomatischem Budget kaum realisierbar. Zusätzlich verschärfen Kürzungen in den Haushalten des Auswärtigen Amts und Entwicklungsministeriums die Ressourcenlage. 

Angesichts dessen stellt sich zum einen die Frage, ob die politische Priorisierung des Verteidigungsbudgets Antworten auf die Herausforderungen bietet, die globale Ungleichheit oder Klimakrise mit sich bringen. Zum anderen muss gefragt werden, mit welchen finanziellen und personellen Ressourcen feministische Außenpolitik eigentlich umgesetzt werden soll. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass ein Mainstreaming feministischer Außenpolitik mittel- bis langfristig Synergien schaffen und einen effizienteren Ressourceneinsatz ermöglichen kann. Dafür sind jedoch erst einmal gezielte Investitionen nötig. Im Auswärtigen Dienst neue Gender- und Diversitätskompetenz auszubilden, etablierte Arbeitsweisen zu hinterfragen, verstärkt den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen zu suchen, die Umsetzung der Leitlinien zu überprüfen und weiterzuentwickeln: all dies erfordert personelle und finanzielle Ressourcen. Der Haushalt für die kommenden Jahre sollte also zumindest diese initialen Mittel berücksichtigen, entsprechende Trainings ermöglichen und, wo nötig, Mittel für externe Expertise bereithalten. Wünschenswert wären auch finanzielle Posten für Monitoring, Evaluierung und Weiterentwicklung der Leitlinien. 

Angesichts knapper Ressourcen wird auch deutlich, dass die erfolgreiche Umsetzung feministischer Außenpolitik im konstruktiven Zusammenwirken mit der Nationalen Sicherheitsstrategie einen starken politischen Willen im Auswärtigen Amt benötigt. Aber mehr als das: ein feministischer Beitrag zum sicherheitspolitischen Diskurs insgesamt muss integriert gedacht werden. 


» Nachdem nun beide Strategien kurz nacheinander erscheinen, müssen sie auch zusammen erklärt werden – und wirken. «

— Barbara Mittelhammer

Siloübergreifend Netzwerke bilden

Beide Strategieprozesse fanden im Austausch mit Expert:innen von Think Tanks, Stiftungen und Zivilgesellschaft statt. Allerdings verliefen sie im Wesentlichen parallel, von wenigen Berührungspunkten abgesehen. Die erfolgreiche Umsetzung beider Strategien erfordert jedoch eine Vernetzung der feministischen und sicherheitspolitischen Fachcommunitys. Ein solcher Austausch über das eigene Silo hinweg zwingt dazu, eigene Annahmen kritisch zu hinterfragen und sich mit anderen Handlungslogiken auseinanderzusetzen. Gerade weil der Schreibprozess jetzt nahezu abgeschlossen ist, sollte im Umsetzungsprozess der Nationalen Sicherheitsstrategie eine stärkere Vernetzung sowohl auf Seiten des Amtes als auch im sicherheitspolitischen Diskurs insgesamt proaktiv betrieben werden. Möglichkeiten bieten sich mit der Diskussion der Ergebnisse beider Strategien oder im Hinblick auf die Weiterentwicklung bestehender Instrumente oder die Formulierung von Sektorstrategien genug.

Zuletzt ist wichtig, auch die Öffentlichkeit als Adressatin sowie Bürger:innen als Gesprächspartner:innen einzubeziehen, zu informieren und für Verständnis werben. Noch im Herbst 2022 hatten einer Umfrage der Körber-Stiftung zufolge 46% der Deutschen nie von feministischer Außenpolitik gehört, während sich 52% für eine stärkere Zurückhaltung Deutschlands in Bezug auf internationale Krisen aussprachen. Beide Werte zeigen, dass es noch viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit im Sinne feministischer Außenpolitik und proaktiver deutscher Außen- und Sicherheitspolitik braucht. Nachdem nun beide Strategien kurz nacheinander erscheinen, müssen sie auch zusammen erklärt werden – und wirken.


Barbara Mittelhammer

Unabhängige Politologin und Beraterin

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