Feministische Außenpolitik heißt innere (Un-)Sicherheit ernst nehmen
(Sheggeor laker/Unsplash)
Wer feministische Außenpolitik betreiben will, muss die strukturelle Gewalt gegen Frauen, queere und Schwarze Menschen innerhalb Deutschlands anerkennen und aufarbeiten. Alles andere wäre Heuchelei.
Die Bundesregierung hat sich einer feministischen Außenpolitik (FFP) verpflichtet. Einer Außenpolitik, die zumindest in der Theorie den Anspruch besitzt, Marginalisierung und Diskriminierung zu bekämpfen, unterdrückende Machtverhältnisse zu transformieren und menschliche Sicherheit ins Zentrum zu stellen. Die Nationale Sicherheitsstrategie kann ein Werkzeug sein, um diesem Ideal näherzukommen. Das Konzept menschliche Sicherheit, welches gegenüber einem klassischen Sicherheitsbegriff den Schutz von Personen und Gruppen priorisiert, erfreut sich seit den 1990er Jahren steter Aufmerksamkeit in außenpolitischen Diskursen. Das Konzept lässt sich jedoch genauso auch auf die Analyse von Unsicherheiten, die Personen innerhalb Deutschlands erfahren, übertragen. Der Schutz der eigenen Lebensgrundlage und Persönlichkeitsrechte sowie vor Bedrohung und staatlicher Gewalt, ist für Schwarze Menschen, Personen of Color, queere Personen sowie arme, wohnungslose oder anders marginalisierte Menschen in Deutschland nicht garantiert. Zu oft häufen sich Vorfälle rechter, rassistischer und queerfeindlicher Gewalt, als dass noch von Einzelfällen die Rede sein kann. Diese Häufung von innerdeutschen Gewalterlebnissen untergräbt die Glaubwürdigkeit feministischen außenpolitischen Handelns. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss daher einen Sicherheitsbegriff aufnehmen, der diese Gewalterfahrung innerhalb Deutschlands anerkennt. Damit kann die Sicherheitsstrategie einen wertvollen ersten Schritt zur Unterbindung ebendieser Gewalterfahrungen leisten.
Augenmerk auf innere Missstände legen
Feministische Außenpolitik und menschliche Sicherheit ernst zu nehmen muss bedeuten, auch innenpolitische Unsicherheiten, strukturelle Gewalt und anti-feministische Realitäten anzuerkennen. Ein Land, in dem Femizide sowie Gewalt gegen Frauen, queere Personen, Schwarze Menschen und Personen of Color tägliche Realität ist, kann nicht guten Gewissens und ohne den Vorwurf der Heuchelei anderorts feministische Außenpolitik betreiben. Die Übernahme einer feministischen Außenpolitik sollte nicht von innenpolitischen Zuständen ablenken, sondern ganz im Gegenteil dazu anregen, sich diesen zu widmen. Dass Artikel 1 des Grundgesetzes offenkundig nicht ausreicht, um handlungsweisende Konsequenzen aus diesen Missständen zu ziehen, und es feministische Außenpolitik als Antrieb braucht, ist ein Armutszeugnis. Aber auch eine Gelegenheit, um Innen- und Außenpolitisches zusammenzudenken. Es braucht eine innenpolitische Auseinandersetzung damit, welche Konsequenzen aus feministischem außenpolitischem Handeln für innenpolitische Missstände entstehen. Dies kann zu konsistenterem, glaubhafterem und wirkmächtigerem Handeln beitragen. Ergebnis sollte es sein, dass marginalisierte Personen in Deutschland genauso sicher vor Gewalt sind wie weiße oder anders privilegierte Menschen. Außenpolitisch diskriminierende und patriarchale Machtverhältnisse anzuprangern, während diese innerhalb Deutschlands unangetastet bleiben, führt nicht nur zu kognitiver Dissonanz, sondern auch zu weniger Glaubhaftigkeit der eigenen außenpolitischen Bemühungen.
Feministische Außenpolitik bedeutet also innenpolitische Arbeit. Aber wo ansetzen? Wo steht menschliche Sicherheit derzeit auf dem Prüfstand und wo herrscht akuter feministischer Nachholbedarf? Die folgenden Beispiele sollen helfen, in der schier unendlichen Liste von potentiellen Antworten einen Anfang zu finden, um feministische Außenpolitik glaubhafter zu machen.
Nicht weiter untätig bleiben
Die Veröffentlichung eines Teils der sogenannten NSU-Akten durch das ZDF Magazin Royale und FragDenStaat Ende Oktober 2022 hat aufgebracht, was innerhalb der Mehrheitsgesellschaft längst wieder in Vergessenheit geraten war. Die Akten, die zunächst 120, später 30 Jahre unter Verschluss bleiben sollten, zeigen auf über hundert Seiten staatliches Versagen im Verfolgungs- und Aufklärungsprozess des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) auf. Die lückenhafte und zu großen Teilen fehlende Aufarbeitung des NSUs sowie die Verstrickung polizeilicher Organe und des Verfassungsschutzes in rechte Netzwerke ist ein Geschehnis in einer langen Reihe von rechter Gewalt gegenüber migrantischen Personen und staatlichen Versagens im Angesicht dessen. Der rechte Anschlag in Hanau, der Mord an Walter Lübcke, antisemitische Gewalt in Halle, zahlreiche Fälle von Tod in Polizeigewahrsam sowie die fehlende Aufklärung des Versagens und der Fahrlässigkeit deutscher Sicherheitsorgane rund um diese Ereignisse: All diese Missstände bedürfen ernsthafter innenpolitischer Arbeit, um einem feministischen Anspruch auch nur ansatzweise näherzukommen. Menschliche Sicherheit innerhalb Deutschlands ernst zu nehmen bedeutet, das Leben von nicht-weißen, migrantisierten oder anders marginalisierten Personen zu schützen. Die Konsequenz darf jedoch nicht sein, mehr Mittel für den Ausbau der Polizei und Bundeswehr bereitzustellen, ohne entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen in das Aufdecken und Aufarbeiten von rechten Netzwerken und Vertuschung in Bundeswehr, Polizei, BND und Verfassungsschutz zu stecken. Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Theoretiker:innen des Abolitionismus zeigen schon lange auf, dass die Strategie, mehr Ressourcen in Polizei und andere Sicherheitsorgane zu investieren, einen Staat nicht sicherer macht. Vor allem nicht für marginalisierte und bereits als Zielscheibe von staatlicher Gewalt oder Verwahrlosung markierte Personen.
» Menschliche Sicherheit innerhalb Deutschlands ernst zu nehmen bedeutet, das Leben von nicht-weißen, migrantisierten oder anders marginalisierten Personen zu schützen. «
Wie viele Betroffeneninitiativen in Deutschland schon seit Jahren aufzeigen: Rassismus in Deutschland ist nicht nur eine interpersonelle Erfahrung von tausenden Einzelfällen. Rassismus in Deutschland hat System und Struktur. Es braucht daher systematische und strukturierte Antworten auf diese zahlreichen innerdeutschen Sicherheitsfiaskos. Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte helfen, selbstkritische Fragen zu stellen, Kontrollmechanismen zu etablieren und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Um das Problem der Inkonsistenz an einem weiteren konkretem Beispiel aufzunehmen: Der deutsche Nationale Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Entwicklung von Leitlinien einer feministischen Außenpolitik. Das zeigt auch die Erfahrung anderer Länder mit feministischer Außenpolitik wie Kanada oder (ehemals) Schweden. Im NAP heißt es zudem, der Plan sei zwar außenpolitisch ausgerichtet, jedoch mit „innenpolitischen Elementen“ versehen. Laut dem Nationalen Aktionsplan für 2021 – 24 möchte Deutschland zur „langfristigen, ganzheitlichen und traumasensiblen Unterstützung von Überlebenden sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt“ beitragen. Im Fokus stehen dabei der Zugang zu reproduktiven Gesundheitsleistungen, medizinischer Beratung und psychosozialen Angeboten sowie der Aufbau von Schutz – und Fürsorgestrukturen für Personen, die aufgrund dieser Gewalterfahrungen flüchten mussten oder als Konfliktbetroffene und Geflüchtete besonders vulnerabel sind.
» Rassismus in Deutschland ist nicht nur eine interpersonelle Erfahrung von tausenden Einzelfällen. Rassismus in Deutschland hat System und Struktur. «
Wechseln wir nun allerdings den Blick von deutschen außenpolitischen Bestrebungen zu innenpolitischen Realitäten, greift dieser Schutz und die Sensibilität für Vulnerabilitäten plötzlich nicht mehr. Dies zeigt sich besonders am Beispiel der Ankerzentren, aus denen Geflüchtete wiederholt von Gewalterfahrungen und fehlender gendersensibler und adäquater Versorgung und Unterbringung berichten. Oder bei dem fehlenden Schutz für Geflüchtetenunterkünfte, die von Rostock-Lichtenhagen über Solingen bis heute regelmäßig von Rechten angezündet werden. Dabei ist in dem NAP explizit auch die „Verbesserung des Schutzes geflüchteter Frauen und Kinder, LSBTI, Menschen mit Behinderungen, von Menschenhandel Betroffene und weiterer besonders schutzbedürftiger Gruppen in Deutschland“ genannt. Nicht weiterzudenken und umzusetzen, was die Ergebnisse von feministischer Außenpolitik innenpolitisch bedeuten und wie diese handlungsweisend sein sollten, ist zu kurz gedacht. Die Bundesregierung muss die Wahrung von Sicherheit und Schutz für besonders vulnerable Personen auch innerhalb Deutschlands glaubwürdig zentrieren und darf dies nicht nur als Projekt feministischer Außenpolitik anderswo verstehen. Auch die Verschiebung des vorherrschenden Sicherheitsbegriffes von der Sicherung staatlicher Grenzen vor Geflüchteten hin zu der Sicherung des Wohlergehens vulnerabler Personen, sollte Einzug in eine nationale Sicherheitsstrategie halten.
Nicht jeden Widerspruch aushalten
Eine feministische Außenpolitik, wie sie Deutschland unter Bundesaußenministerin Annalena Baerbock anstrebt, ist ein ambitioniertes Unterfangen und wie viele wertegeleiteten Vorhaben voll von Widersprüchen, aber auch Chancen. Einige Widersprüche müssen in der Übertragung und Implementierung von theoretischen feministischen Konzepten auf nationalstaatlicher Ebene ausgehalten werden. Aber bei weitem nicht alle. Das transformative Potenzial feministischer Außenpolitik darf zum einen nicht die eigenen innenpolitischen Missstände vollständig ausklammern und zum anderen vor lauter Pragmatismus völlig hinten herunterfallen. Die Behandlung von feministischen Ansätzen als Querschnittsthema durch Ministerien hinweg könnte zusätzlich zur Institutionalisierung über eine Legislaturperiode hinaus beitragen und so transformatives Potenzial ausschöpfen. Der Entwicklungsprozess zu einer feministischen Außenpolitik kann wichtige Synergieeffekte hervorbringen. Denn Überlegungen dazu, wie ein Ministerium seine Arbeit feministischer gestalten kann, laden durchaus dazu ein, in Austausch zu treten und FFP nicht als stiefmütterliches Projekt eines alleinstehenden Außenministeriums ohne Berührungspunkte mit anderen Institutionen zu verstehen.
Kernpunkte:
- Die Bundesregierung muss das Leben marginalisierter und vulnerabler Personen innerhalb Deutschlands schützen, sonst ist eine feministische Außenpolitik nicht glaubwürdig. Dabei gilt es aus dem Versagen der Vergangenheit zu lernen und strukturellen Rassismus anzuerkennen.
- Alle Ministerien, nicht nur das Auswärtige Amt, sollten feministische Ansätze in ihrer Arbeit institutionalisieren.
Und zum Schluss noch eine Klarstellung: Alle Kritik an innenpolitischen Realitäten bedeutet nicht, dass nicht auch gleichzeitig an einer besseren Außenpolitik gearbeitet werden kann. Auch dieser Widerspruch muss ausgehalten werden. Inklusiver und vorausschauender ist eine ernsthaft umgesetzte feministische Außenpolitik allemal. Die deutsche Sicherheitsstrategie muss sich allerdings zum Ziel nehmen, nicht jeden Widerspruch zu übergehen, sondern auch innerhalb Deutschlands feministische Ansprüche zu erfüllen. Kritik soll nicht lähmen und dazu führen, dass gar keine Veränderung stattfindet. Sie soll anregen und aktivieren auch in den bestehenden Strukturen, zumindest inkrementelle Änderungen möglich zu machen, die die Lebensrealität von Menschen spürbar verändern. Kritik zeigt auf, wohin wir wollen, und zwar weiter weg von dort, wo wir im Moment stehen. Die Nationale Sicherheitsstrategie kann ein wichtiges Instrument sein, um einen selbstkritischeren Anspruch an deutsche innere Sicherheit zu stellen und die eigene Komplizenschaft an Zuständen von Unsicherheit anzugehen. Sich an all die Vorfälle von fehlender Sicherheit für marginalisierte Personen in Deutschland zu erinnern, bedeutet aus ihnen Lehren für Veränderungen zu ziehen. Denn erinnern heißt verändern.
Fennet Habte
Research Assistant, Global Public Policy Institute (GPPi)
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