Artikel von Nico Lange

Fünf Ideen für eine bessere Bundeswehr

In Ertüchtigung daheim: Verteidigung zukunftsfähig gestalten
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Deutschland braucht eine einsatzbereite und kampfstarke Truppe. Dafür muss die Bundeswehr ehrlicher planen, eigene Potenziale befähigen und realitätsnah üben.

Bei der Bundeswehr läuft es nicht, wie man es sich wünscht. Das ist schon länger so. Auch die Ursachen sind bekannt. Deutsche Bürger:innen und Entscheidungsträger:innen fühlten sich viele Jahre lang in der vermeintlich sicheren Lage Deutschlands wohl. Die deutsche Politik drückte auch in ihren Entscheidungen zur Bundeswehr aus, was die Menschen im Land gern wollten: einen klaren Fokus auf Wohlstandsmehrung und Sozialstaat, die starke Betonung moralisch aufgeladener Positionen bis hin zur Überheblichkeit, Ausblenden oder sogar Nichtwahrhaben-Wollen der sicherheitspolitischen Wirklichkeit und große Hoffnungen auf friedliche Konfliktlösungen. Es gab weder breite Proteste gegen die Aussetzung der Wehrpflicht noch große Demonstrationen für mehr Sicherheitsvorsorge oder höhere Verteidigungsausgaben. Übrigens auch nicht von so manchen, die jetzt Versäumnisse lautstark anprangern. Im Windschatten politischer Gleichgültigkeit entwickelten Verteidigungsministerium und Bundeswehr gleichzeitig Überverwaltung und institutionelle Schwerfälligkeit. Die ausschließliche Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze brachte zudem eine Kontingentkultur in die Streitkräfte, die nur mit viel Aufwand wieder in eine Richtung organisch gewachsener, integrierter Großverbände entwickelt werden kann.

Die Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annektion der Krim und Russlands Einmischung im Donbas 2014 führte immerhin zu Trendwenden‘. Jedoch bremste die SPD während der beiden letzten Großen Koalitionen, besonders in der Legislaturperiode ab 2017, konsequent weitergehende finanzielle und inhaltlich robustere Vorstellungen zu Sicherheit und Verteidigung. Bundeskanzlerin Merkel setzte um des Koalitionsfriedens willen härte Positionen nicht durch.

Die Diskussionen um mögliche Verbesserungen für die Bundeswehr kreisen seit Jahren immer wieder um ähnliche Fragen: Braucht es nur viel mehr Geld und alles wird gut? Muss der legendäre Planungsstab im Verteidigungsministerium wieder her? Erlebt die Wehrpflicht doch noch ein Comeback? Soll das Beschaffungsamt weg oder braucht es radikale Wunderheiler‘ von außen? Könnten die Inspekteure zurück ins Ministerium gehen oder gibt man besser viel mehr Verantwortung raus aus dem Ministerium zur Truppe? Braucht es doch noch einmal langwierige Fachkommissionen und akribische Bestandsaufnahmen?

Seit der Zeitenwende“ verging nun bereits mehr als ein Jahr. Hier sind fünf Ideen für eine bessere Bundeswehr:

1. Weniger ist mehr

So mancher Truppenteil der Bundeswehr kann einem leidtun. Gleich sechs, sieben oder acht übergeordnete Stäbe und Kommandos schieben ihn auf ihren Karten und in ihren PowerPoint-Folien umher, geben Befehle, fragen Sachstände ab und erwarten Meldungen. Statt realitätsnah zu üben, führen diese Einheiten meist Papierkrieg mit übergeordneten Dienststellen.

Schaut man auf die Strukturen der Bundeswehr seit dem 24. Februar 2022 stellt man fest: Statt sieben Drei-Sterne-Kommandos mit entsprechend ausgestatten Stäben wie zuvor hat die Bundeswehr jetzt acht. Dazu kommen eine ganze Reihe Ämter und Sonderstrukturen sowie ein Ministerium mit mehr als 2.500 Dienstposten. Das Wachstum der Militärbürokratie und der zivilen Verwaltung ab 2014 verhält sich nicht proportional zum Output an Einsatzbereitschaft, kampfbereiter Truppe, hochwertiger Ausbildung und Übung.


» Im System Bundeswehr hält jede:r eine Reform für notwendig - allerdings nur, wenn andere davon betroffen sind. «

— Nico Lange

Die Bundeswehr braucht schlankere Strukturen. Das heißt: weniger Stäbe, weniger Ämter, weniger Sonderstrukturen und weniger Detailarbeit durch weniger Dienstposten im Ministerium. Fragt man jedoch die potenziell betroffenen Stäbe, Ämter und ministeriellen Abteilungen nach Einsparpotenzialen, werden sie zielsicher weitere Posten und größere Strukturen fordern. Zwar hält auch im System Bundeswehr jede:r eine Reform für notwendig — allerdings nur, wenn andere davon betroffen sind.

In so einer Situation kann nur noch ein rein metrisches Eingreifen schnelle Veränderungen bringen, um Abläufe zu beschleunigen und die Truppe zukunftsfähiger aufzustellen: Ein Anfang wären sechs statt acht Drei-Sterne-Kommandos, 25 Prozent weniger Dienstposten im Ministerium und in allen verbliebenen Stäben und Ämtern sowie die Abschaffung des ausufernden Geflechts an Sonderstrukturen. Die dadurch im Haushalt freiwerdenden Dienstposten könnte man schrittweise in echte‘ Truppe reinvestieren. So verschiebt sich in den kommenden Jahren das Gewicht systematisch von den Stäben zur Truppe. 

Mit der Anwendung dieser strikt metrischen Methode könnte man auch gleich so manche Zwischenebene streichen sowie Laufwege von Vorgängen und Entscheidungsverfahren deutlich verkürzen. Die Wahrheit ist schlicht: Krieg und Krise lassen sich mit umständlichen und langwierigen Methoden des bürokratischen Friedensbetriebes nicht erfolgreich bewältigen. Die Zeitenwende ist ein harter Einschnitt, der auch in der Reaktion harte Einschnitte erfordert. Dazu muss die Politik neben der Einsparung und Umwidmung von Dienstposten auch Fragen von Dienstpostendeckeln und einer Dienstpflicht offen besprechen.

2. Endlich ehrlich planen

Viele in der Bundeswehr stehen vor Lageberichten und Besprechungen immer wieder vor derselben Frage: Wollen wir sagen, was ist oder rundgeschliffene und vorgeübte PowerPoint-Präsentationen abspielen? Eine Reform der Bundeswehr, die eine angemessene Reaktion auf die Zeitenwende ermöglicht, sollte jetzt die Gelegenheit ergreifen, mit mindestens zwei großen Lebenslügen der Bundeswehr aufzuräumen: 

Erstens plant die Bundeswehr schon lange mit Rüstungsprojekten, die sie nicht bezahlen kann. Die Reaktion auf das fehlende Geld ist, die Projekte einfach auf der Zeitleiste nach hinten zu verschieben. So türmt sich vor der Bundeswehr eine Bugwelle nicht finanzierter Projekte in der Größenordnung von hunderten von Milliarden Euro auf. 

Zweitens plant die Bundeswehr mit einer so großen künftigen Personalstärke, dass allein die Betriebskosten den gesamten Verteidigungshaushalt auffressen werden und keinerlei Investitionen mehr möglich sein werden. Ob die Bundeswehr die angestrebte Personalstärke von 203.000 überhaupt erreichen kann, ist mit Blick auf die Rekrutierungserfahrungen vergangener Jahre fraglich. Damit verbinden sich auch weitere seit längerem drängende Fragen: Wie kann die Personalgewinnung begabter Männer und Frauen für die Truppe und das Ministerium noch besser gelingen? Wie ermöglicht die Bundeswehr Quereinstiege und erkennt diese als Bereicherung? Wie gelingt Wertschätzung für das eigene Personal und Gestaltungsfreiheiten auf den Dienstposten? Und: Welche Rahmenbedingungen für Familien machen die Bundeswehr zu einer noch attraktiveren Option bei der Berufswahl? 

Selbst die 100 Milliarden Euro des Sondervermögens haben bisher noch nicht entscheidend geholfen. Der reguläre Verteidigungshaushalt muss weiter erheblich steigen. Gleichzeitig braucht die Bundeswehr eine Rüstungsplanung, die realistisch ist, Spielräume schafft und Prioritäten setzt – statt letztlich über Jahrzehnte nicht finanzierte Projekte auf Listen immer weiter fortzuschreiben. Für so eine realistischere Rüstungsplanung sind auch die Bundestagsabgeordneten gefragt, die so manches dieser Projekte aus industriepolitischen und Wahlkreis-Gründen auf den entsprechenden Listen halten. Und auch die Personalplanung muss offen angesprochen werden, um zu einer tragbaren, finanzierbaren und in der Personalgewinnung leistbaren Größe zu kommen. Eine Personalplanung, die neben den laufenden Kosten auch dauerhaft einen Anteil von Investitionen im Verteidigungshaushalt ermöglicht. Übrigens wird schon allein dafür eine sehr deutliche Verkleinerung der Verwaltungsstrukturen und Stäbe notwendig sein.

Kernpunkte:

  1. Schlankere Strukturen für die Bundeswehr bedeuten: Sechs Drei-Sterne-Kommandos, 25% weniger Dienstposten im Ministerium sowie die Abschaffung des ausufernden Geflechts an Sonderstrukturen.
  2. Die Bundeswehr braucht eine Rüstungsplanung, die realistisch ist, Spielräume schafft und Prioritäten setzt. 
  3. Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehrführung müssen Talente im eigenen Haus mit persönlicher Verantwortung ausstatten, um positive Veränderungen zu erzielen. 

3. Persönliche Verantwortung fördern und fordern

Jede:r in der Bundeswehrbürokratie kennt das berühmte Büroversehen: Alle haben gut gearbeitet, keine:r hat etwas falsch gemacht, aber irgendwie ist doch etwas schiefgelaufen, irgendwie ist das Ergebnis trotzdem unbefriedigend. Niemand ist jedoch dafür verantwortlich. Das System Bundeswehr diffundiert Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeit systematisch. Was intern Betriebsfrieden und stabile Prozesse schaffen soll, indem alle potenziell Betroffenen bei jeder Entscheidung mitreden können, hegt das Potenzial hoch motivierter, leistungsstarker Führungskräfte und kreativer Pragmatiker:innen ein. Das mindestens in Teilen realitätsferne Beurteilungssystem trägt außerdem dazu bei, dass es kaum Anreize dafür gibt, auf einem Dienstposten etwas zu wagen.

Es gibt in der Bundeswehr viele, die sehr gute Ideen haben, und viele, die sehr gute Lösungsvorschläge konkret umsetzen wollen. Es gibt viele in der Bundeswehr, die gerne mehr persönliche Verantwortung tragen würden, wenn ihnen das Gestaltungsspielräume eröffnet. Leider setzt das aktuelle militärbürokratische System der Bundeswehr die Potenziale der eigenen Talente bisher viel zu selten frei. 

Wenn die Führung des Ministeriums und die Führung der Bundeswehr positive Veränderungen wollen, dann müssen sie Träger:innen dieser Veränderung persönlich verantwortlich machen. Sie müssen ihnen Handlungsvollmacht und Werkzeuge geben, um mit dieser Verantwortung konkrete Ergebnisse zu erzielen. 

4. In neue Planung und Beschaffung einsteigen

Die Reaktion auf die Zeitenwende ist eng mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr verbunden. Nach einem Jahr kann man festhalten, dass der Ansatz Wir haben jetzt mehr Geld, ansonsten machen wir alles wie immer“ gescheitert ist. Die deutsche Sicherheitspolitik sollte das Sondervermögen als den Einstieg in neue Herangehensweisen und neue Strukturen nutzen.

Auf die Beschaffung“ und das Beschaffungsamt“, also das BAAINBw, wird viel geschimpft. Veränderungen sind notwendig und man sollte sich dafür auch offen eingestehen: Echte Reformen umzusetzen und gleichzeitig vollständige interne Ruhe zu bewahren — das wird nicht gehen. Doch die Kritik an der Beschaffung ist nur die halbe Wahrheit. Denn bevor Beschaffungsprojekte im BAAINBw ankommen, werden sie von Ministerium und Bundeswehrführung geplant. Das Ergebnis des Zusammenwirkens von Planung und Beschaffung unter gleichzeitiger ständiger Beteiligung vieler zusätzlicher Stellen ist bekannt: Alles wird zu kompliziert, alles wird zu teuer, alles dauert zu lange.


» Echte Reformen umzusetzen und gleichzeitig vollständige interne Ruhe zu bewahren - das wird nicht gehen. «

— Nico Lange

Man könnte jetzt damit beginnen, einzelne Beschaffungsprojekte aus den bisherigen Verfahren von Planung und Beschaffung zu lösen. Was spricht eigentlich dagegen, einzelne Projekte aus dem Sondervermögen von einer neuen Agentur planen und beschaffen zu lassen? Oder könnte eine Außenstelle‘ des Beschaffungsamts in Berlin neue Wege der Planung und Beschaffung für ausgewählte Projekte ausprobieren? Man könnte so leicht sehen, ob das wirklich einfacher, billiger und schneller ist. Schrittweise könnte eine solche neue Struktur dann immer mehr Projekte übernehmen. Ein paralleler Einstieg in neue Strukturen und Prozesse für Planung und Beschaffung unter Anwendung des Prinzips der persönlichen Verantwortung wäre vielversprechender als eine langwierige Reform des bestehenden Gesamtsystems. 

5. Üben, üben, üben

Die Militärbürokratie, die zivile Verwaltung und das Bundesministerium der Verteidigung sind kein Selbstzweck. Wohlgestaltete interne Prozesse sind gut, müssen aber dem Zweck militärischer Leistung dienen. Es geht also letztlich um eine kampfbereite, kampfstarke und durchhaltefähige Truppe mit hoher Einsatzbereitschaft. 

Neben vielen weiteren wertvollen Lektionen zeigt die ukrainische Verteidigung gegen Russlands Angriff gerade vor allem: Wer militärisch gut sein will, muss sehr viel und möglichst realitätsnah üben. In der Ukraine sieht man auch, wie der Krieg sich verändert – und damit auch die Anforderungen an die Truppe. Wir sehen die Renaissance der Artillerie und gleichzeitig ihre smartere Nutzung mit Hilfe von Drohnen und Software. Wir sehen den hohen Wert des Gefechts verbundener Waffen, das aber nur mit sehr viel Übung gut beherrschbar ist. Wir sehen den hohen Abstimmungsbedarf zwischen Militär und ziviler Verwaltung, der nur durch ständiges Einüben gelingt. Wir sehen auch, welchen Unterschied gut ausgebildete und gut geübte kleine Einheiten im Kampf im urbanen Gelände machen. Wir sehen, dass Datenerfassung, Datenübertragung, Datenanalyse und digitales Management des Schlachtfelds immer mehr über den Ausgang militärischer Auseinandersetzungen bestimmen. Wir sehen insgesamt, dass umfangreiche Übungs- und Einsatzerfahrungen wichtiger sind als der enge Blick auf die technischen Daten der materiellen Ausstattung. Kriege werden von Menschen gewonnen. Die Bundeswehr muss deshalb üben, üben, üben.


» Wer militärisch gut sein will, muss sehr viel und möglichst realitätsnah üben. «

— Nico Lange

Die Bundeswehr muss auch wegen der Coronahilfe aufgelaufene Ausbildungsdefizite aufholen und ihr Ausbildungs- und Übungsgeschehen steigern. Gleichzeitig werden Schulungen der ukrainischen Streitkräfte und die Abgabe von Material an die Ukraine, das dadurch für eigene Übungen nicht verfügbar ist, die Situation weiter belasten – wenn auch aus gutem Grund. Große Übungen der Logistik und viele Übungen unter den verschärften Bedingungen voller operativer Sicherheit und unter schwierigen Wetterbedingungen im Winter sind perspektivisch aber notwendig. All das entscheidet gerade über Erfolg und Misserfolg der realen Verteidigung der Ukraine, all das wird auch über unsere künftige Verteidigungsbereitschaft entscheiden. 

Mehr militärisch üben und sich weniger selbst verwalten. Mehr Truppe und weniger Stäbe. Mehr konkrete Ergebnisse, statt sich den eigenen komplizierten Prozessen unterwerfen. Mehr ungeschminkte Ehrlichkeit statt abgeschliffener, vorgeübter Vorträge. Mehr Übernahme persönlicher Verantwortung statt melden macht frei“ – das ist die Richtung für eine bessere Bundeswehr. Mehr als ein Jahr nach der äußeren Zeitenwende sind wir damit spät dran. In der Bundeswehr, in Ministerium und Truppe ist das Potenzial für eine innere Zeitenwende jedoch sehr groß. Was jetzt zählt: Dieses Potenzial endlich freisetzen und nutzen.


Nico Lange

Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative, Münchner Sicherheitskonferenz

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