UNverzichtbar für die deutsche Sicherheitspolitik: Die Vereinten Nationen garantieren Frieden und Sicherheit
Nur die Vereinten Nationen sind für die Wahrung des Weltfriedens verantwortlich. Das sollte die Nationale Sicherheitsstrategie auch klar so benennen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind Begriffe wie Zeitenwende und Wendepunkt national und auch international in aller Munde. Jüngst bemühte auch UN-Generalsekretär António Guterres den „Wendepunkt”, als er anlässlich der 77. UN-Generaldebatte zu transformativen Lösungen für die vielen miteinander verknüpften Herausforderungen aufrief. Die Vereinten Nationen sollen dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Aber kann die Weltorganisation das überhaupt leisten? Und welche Rolle spielt dabei Deutschland? Schließlich sind die Vereinten Nationen eine maßgebliche Grundkonstante in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
» Politiker:innen müssen den Wert der UN deutlich, klar und offensiv benennen. «
Vor nunmehr fünfzig Jahren traten beide deutsche Staaten der Weltorganisation bei, die wie keine andere internationale Organisation für den klassischen, normgeleiteten Multilateralismus steht. Nur dieses globale Forum kann durch seine universelle Mitgliedschaft die nötige Legitimität für internationale Sicherheitsthemen schaffen. Dieser Multilateralismus steht aufgrund der machtpolitischen Verwerfungen und multiplen Krisen des aktuellen internationalen Systems vor großen Herausforderungen.
Relevant in Fragen von Krieg und Frieden
In der Debatte um den russischen Krieg gegen die Ukraine werden die UN oftmals als ohnmächtiger, ja irrelevanter Zuschauer charakterisiert. Der kritische Blick gilt dem Sicherheitsrat, der aufgrund des russischen Vetos regelmäßig blockiert ist. Der UN-Generalsekretär selbst bezeichnete den Sicherheitsrat jüngst als „dysfunktional“. Sicherlich, die Fundamentalkritik steht nicht ohne Grund im Raum. Allerdings beruht die Wahrnehmung einer irrelevanten UN nicht auf der Passivität der Organisation, die mit den UN-Agencies, aktiv vor allem die Kriegsfolgen angegangen ist. Die UN-Generalversammlung hat den Krieg in den Notstandssondersitzungen immer wieder mit überwältigender Mehrheit verurteilt. Der UN-Generalsekretär nutzt alle diplomatischen Instrumente. Gefahrenabwehr durch vertrauensbasierte Kommunikation ist schließlich eine Kernkompetenz der UN.
Der Vorwurf der Irrelevanz ist eher der Tatsache geschuldet, dass mit diesem Krieg erneut die normative Grundfeste der UN ins Wanken geraten. Russland hat durch seinen Angriffskrieg gegen ein souveränes Nachbarland die fundamentalen Normen und Prinzipien des Völkerrechts verletzt. Das Regime verübt Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und führt Angriffe gegen zivile Einrichtungen, was in der Genfer Konvention geächtet wurde. Die Staatengemeinschaft erscheint in grundsätzlichen Fragen von Krieg und Frieden tief gespalten. Auch diese Spaltung ist einer der vielen Wendepunkte. Denn: Auf welche normative Basis können wir uns noch verlassen?
Legitimiert als universelle Friedens- und Sicherheitsorganisation
Für Deutschland und seine Handlungs- und Gestaltungsmacht bergen diese Verwerfungen nicht nur Risiken. Sie bieten auch die große Chance, sich konstruktiv einzubringen, in großen Visionen zu denken und gleichzeitig konkrete Schritte zur Stärkung des multilateralen Systems zu gehen. Deutschland sollte die Vereinten Nationen als Herzstück des Multilateralismus betrachten, als Instrument nutzen, als Forum beleben und als eigenständigen Akteur stärken. Deshalb müssen die Vereinten Nationen in der Nationalen Sicherheitsstrategie als Querschnittsthema verankert werden. Denn nicht EU oder NATO sind der globale Krisenmanager unter den Organisationen des internationalen Systems. Es sind die Vereinten Nationen, die für den Weltfrieden verantwortlich sind – im Feld der klassischen Sicherheit, aber vor allem auch in der menschlichen Sicherheit. Sie sind die einzige universelle Organisation mit einem Aufgabenspektrum, das jedes globale Problem behandelt. Sie sind UN-verzichtbar und müssen deshalb finanziell, personell und materiell bestmöglich ausgestattet werden. Das müssen Entscheidungsträger:innen in die deutsche Politik und Gesellschaft kommunizieren.
» Deutschland sollte die UN als Herzstück des Multilateralismus betrachten, als Instrument nutzen, als Forum beleben und als eigenständigen Akteur stärken. «
Die Rolle der UN als Bewahrerin des Weltfriedens gerät in der Debatte um die Nationale Sicherheitsstrategie oft in den Hintergrund. Denn dieser klassische sicherheitspolitische Aspekt wird fast reflexhaft mit EU und NATO verbunden. Die Nationale Sicherheitsstrategie jedoch sollte klar widerspiegeln, dass die Rolle der Vereinten Nationen als Friedens- und Sicherheitsorganisation den deutschen Interessen entspricht. Das gilt gerade auch mit Blick auf die zukünftige Verhandlungs- und Vermittlerrolle der UN zwischen Ukraine und Russland. Dazu sind Reformen, wie sie die Common Agenda des UN-Generalsekretärs António Guterres anstößt, dringend notwendig. Deutschland sollte hier seiner Verantwortung, die Reformagenda mitzugestalten – auch jenseits der Diskussionen um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – kontinuierlich nachkommen. Es gibt viel zu tun.
Multilateral nach innen und außen
Auch unterhalb der Reformebene muss Deutschland die Handlungsfähigkeit der UN stärken, indem es sich verlässlich zeigt und für die Normen und Werte der UN-Charta einsteht. Deutschland sollte stets auf eine Kodifizierung des multilateralen Konsenses bestehen. Das bedeutet: Regeln müssen in formales Recht gegossen werden, die nicht beliebig interpretiert und gedehnt werden können. Aktuell befüllen Staaten wie die Volksrepublik China die Normen der UN im Sinne des nationalen Wertekanons inhaltlich neu. Das kann nicht im Interesse Deutschlands liegen. Deutsche Politiker:innen sollten den Multilateralismus mit guten Argumenten offensiv vertreten, anstatt ihn als alternativlos der politischen Debatte zu entziehen. Gerade der russische Angriff auf die Ukraine zeigt, dass Multilateralismus schon längst nicht mehr common sense ist.
» Deutsche Politiker:innen sollten den Multilateralismus offensiv vertreten, statt ihn als alternativlos der politischen Debatte zu entziehen. «
Es geht auch darum, multilaterale Regeln zu schaffen, die eine faire Verteilung der Globalisierungsgewinne befördern und zur Entwicklung besserer Gesellschaftsverträge beitragen. Konzepte wie die Agenda 2030, die Sustainable Development Goals oder der Global Compact, der Unternehmen in die Pflicht nimmt, sind der Handlungsrahmen in dem sich Deutschland bewegen sollte. Solche Regeln haben das Potenzial, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit global voranzubringen. Allerdings muss Deutschland die Umsetzung forcieren. Zentrale Aufgaben einer deutschen Sicherheitspolitik in den Vereinten Nationen sind: Koalitionen aus like-minded countries schmieden, kritische Opposition und die Zivilgesellschaft einbinden sowie Mehrheiten organisieren. Deutschland muss den Dialog mit dem Globalen Süden weiter verstärken und sich dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen nicht zu einem Instrument von Großmachtinteressen verkommen. Die regelbasierte Friedens- und Sicherheitsordnung ist eine grundlegende Handlungsmaxime in Deutschland. Diese Ordnung wird in den Vereinten Nationen verteidigt, wenn beispielsweise die UN-Generalversammlung den Angriff Russlands auf die ukrainische Zivilbevölkerung mit einer Mehrheit von 141 Staaten verurteilt.
Menschliche Sicherheit ist Freiheit vor Not und Furcht
Die Vereinten Nationen sind im Rooseveltschen Diktum der „Freiheit vor Furcht und Not“ verpflichtet, was sich Deutschland nach 1945 in den außenpolitischen Handlungskodex schrieb. Diesen Geist atmet das deutsche Grundgesetz. Willy Brandt und Carl Friedrich von Weizsäcker übersetzten diese außen- und sicherheitspolitische Grundhaltung mit dem Begriff der „Weltinnenpolitik“. Deren Kern wird heute als ‚menschliche Sicherheit‘ bezeichnet. Danach umfasst Sicherheit nicht nur persönlichen Schutz vor Krieg und Gewalt, sondern auch wirtschaftliche Absicherung, Ernährung, Gesundheit, sichere Umweltbedingungen sowie gesellschaftliche und politische Sicherheit. Die sogenannten global public goods sind zentraler Anker dieser Sicherheit. Die Vereinten Nationen decken alle diese Themenbereiche menschlicher Sicherheit ab. Sie sind durch die Agenda 2030 und das Motto „Leave no one behind“ schon längst globales Managementsystem der Sicherung der fundamentalen Lebensgrundlagen.
Die Zeitenwende bietet nun die Gelegenheit, statt vermeintlich übergeordneter staatlicher oder wirtschaftlicher Interessen die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen weltweit in den Mittelpunkt von Sicherheitspolitik zu rücken. Deutschland sollte menschliche Sicherheit zentral in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie verankern. Das Konzept sollte durchdekliniert werden und – gerade von dem Hintergrund der feministischen Außenpolitik – das übergeordnete Ziel der Sicherheitsstrategie sein. Sicherheit entsteht nicht durch die Abwesenheit von Krieg, sondern durch die Abwesenheit struktureller Gewalt und die Sicherheit des Individuums. Das muss die Handlungsmaxime sein. So kann Berlin auf globale Krisen, wie die Klimakrise, mit der nötigen Priorisierung, ressortübergreifend und querschnittsorientiert reagieren.
Kernpunkte:
- Die UN müssen Querschnittsthema für die Nationale Sicherheitsstrategie sein, da nur sie die Bewahrerin des Weltfriedens sind.
- Die Nationale Sicherheitsstrategie sollte menschliche Sicherheit als Kerninteresse deutscher Sicherheitspolitik benennen.
- Deutsche Politik sollte den Wert der UN in der Öffentlichkeit hervorheben und breit diskutieren.
Die Vereinten Nationen sind „we, the peoples“!
Die Vereinten Nationen wurden nicht nur für und von Staaten geschaffen. Sie stehen nicht nur für den staatszentrierten Multilateralismus. Die Vereinten Nationen sind „we, the peoples“ – die Völker dieser Erde. Dem muss auch die deutsche Politik Rechnung tragen und die Öffentlichkeit stärker in die außenpolitischen Debatten einbeziehen. Politiker:innen müssen den Wert der Vereinten Nationen deutlich, klar und offensiv benennen. Die Projekte und Programme der Vereinten Nationen – ob Klimaschutz, Krisenmanagement oder Wiederaufbau – können nur dann gelingen, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Deshalb muss Berlin die gesellschaftliche Mobilisierung für eine Gestaltung der multilateralen Ordnung unterstützen und die Zivilgesellschaft stärken. Für die Sicherheit der Freiheit und die Sicherheit der Grundlagen unseres Lebens.
Lisa Heemann
Generalsekretärin, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
Alfredo Märker
Stellv. Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
Patrick Rosenow
Leitender Redakteur der Zeitschrift 'Vereinte Nationen', Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
Manuela Scheuermann
Stellv. Vorstandsvorsitzende, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
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